Mit dem fünften Doppelsieg in Folge reist das „Überflieger"-Team Mercedes nach dem Europa-Auftakt in Spanien zum Straßen-Klassiker an diesem Sonntag, 26. Mai, in Monaco. Ferrari und Sebastian Vettel sind hingegen auf dem Weg, hinter Red Bull nur dritte Kraft zu werden.
Das ist ein neuer, historischer Formel-1-Rekord: Mercedes ist das erste Team, das mit fünf Siegen im Doppelpack in eine Rennsaison gestartet ist. Statistiker haben außerdem herausgefunden: Die Silbernen haben in diesem Jahr mehr Doppelsiege eingefahren als Ferrari im aktuellen Jahrzehnt. Und: Mercedes hat ebenfalls mehr Doppelsiege erreicht als im kompletten Jahr 2018. In der vergangenen Saison hatte sich der vierte Doppelsieg erst im zwölften Rennen beim Ungarn-Grand-Prix eingestellt.
Verinnerlichen wir noch ein paar nackte Zahlen, Daten und Fakten nach dem fünften Saisonrennen in Barcelona: Mit seinem Sieg beim Spanien-Grand-Prix erzielte Weltmeister Lewis Hamilton seinen dritten Triumph im Jahr 2019. Es war gleichzeitig der 76. Sieg in seiner Formel-1-Karriere. Mit seiner schnellsten Rennrunde heimste er zu den 25 Siegzählern noch einen Bonuspunkt ein und führt die Fahrer-WM mit sieben Punkten Vorsprung (112) auf Teamkollege Valtteri Bottas (105) an. Verfolger ist Red-Bull-Pilot Max Verstappen (66), der als Dritter das Barcelona-Podium komplettierte. Ferrari-Star Vettel, für den es auf dem Circuit de Catalunya nur für Platz vier reichte, ist WM-Vierter (64) vor seinem aufstrebenden Stallgefährten Charles Leclerc (57), der den Spanien-GP als Fünfter beendete. In der Konstrukteurs-Wertung liegt Mercedes (217 Punkte) mit 96 Zählern vor Ferrari (121). Angesichts dieser Zahlen scheint für viele Pessimisten die WM 2019 schon gelaufen zu sein – obwohl noch 16 Rennen zu absolvieren sind.
„Bottas kam sehr nahe, ich wusste dann nicht wohin"
Zum Rennverlauf: Für Vettel, der als Dritter gestartet ist, war das Rennen schon vor der ersten Kurve verloren. Beim Versuch, den vorneweg fahrenden Hamilton, der das Startduell gegen Polesetter (Fahrer auf dem ersten Startplatz) Bottas gewann, zu attackieren, verbremste sich der Heppenheimer heftig. Er fing sich am rechten Vorderreifen einen Platten ein und musste auch noch Max Verstappen im Red Bull vorbeilassen. Vettel klagte anschließend über Vibrationen. Hinzu kam, dass die Ferrari-Strategen mehrfach unklug und kurios agierten und so ihre beiden Piloten in unnötige Manöver trieben. Leclerc machte wie schon in den vergangenen Rennen Druck auf den viermaligen Weltmeister, schließlich ließ Vettel den Monegassen freiwillig vorbeiziehen. Vettel hatte per Funk mehrfach einen Reifenwechsel gefordert, der durch eine Standzeit von 4,4 Sekunden auch noch ordentlich daneben ging. Nebenbei sei erwähnt: Den schnellsten Boxenstopp machte die McLaren-Truppe, die Carlos Sainz nach 2,07 Sekunden Standzeit wieder ins Rennen schickte. Der absolute Rekord liegt aber immer noch bei 1,92 Sekunden, aufgestellt von Williams bei Felipe Massa in Baku 2016. Nachdem Vettel ein weiteres Mal die Reifen wechseln musste, zog Ferraris Nummer eins auf Teamgeheiß an Leclerc vorbei. In den vier Rennen zuvor wurde Leclerc bereits zweimal vom Kommandostand eingebremst.
Für Vettel und sein Team war dieses Rennen, das die Wende bringen sollte, erneut ein Tiefschlag im Kampf um die WM. Vor den TV-Mikrofonen wirkte der Hesse geknickt und etwas ratlos. Und das mit einem brandneuen Motor und einigen Änderungen an Front- und Heckflügel. Und dann noch auf einem Kurs, auf dem Farrari bei den Wintertests im Februar die Konkurrenz in Grund und Boden fuhr. Zu seinem Fahrfehler, dem heftigen Verbremser, sagte er bei RTL: „Ich hatte in der ersten Runde geahnt, dass vielleicht etwas geht, aber dann kam Bottas sehr nahe, und ich wusste dann nicht wohin. Und dann musste ich ein bisschen außenrum und Max (Verstappen) hat davon profitiert (mit Platz drei). Der erste Stint (deutsch: Rennabschnitt) war ein Schuss in den Ofen." Die Jagd auf den Branchenprimus scheint ziemlich aussichtslos. Dazu Vettel: „Zu diesem Zeitpunkt macht es keinen Sinn, auf die WM zu schauen. Wir müssen es Rennen für Rennen sehen. Barcelona war für uns ein enttäuschendes Wochenende. Wir hatten gehofft, etwas schneller zu sein. Die Pace (Geschwindigkeit) war ein großer Schritt nach hinten, aber so ist es. Mercedes ist für uns noch weit weg." Die italienische Zeitung „Corriere della Sera" sieht Vettel in einer „tiefen Identitätskrise. „La Stampa" schreibt: „Von den Hoffnungen zum Desaster. Ferrari ist nach fünf Rennen zusammengebrochen und kann bereits die Titelträume begraben."
Auch für Ferrari-Teamchef Mattia Binotto war der Europa-Auftakt enttäuschend und ernüchternd. Er gab zu, dass das Rennen deutlich unter den Erwartungen blieb. Die Verbesserungen am Auto hätten „gut funktioniert", und Ferrari sei „mehr als zufrieden" mit ihnen, „allerdings haben sie sich als unzureichend herausgestellt". Vor dem Rennen hatte der 49-jährige Italiener mit Schweizer Wurzeln noch auf die hohe Topgeschwindigkeit hingewiesen. Doch gegen die silbernen Siegmaschinen hatte Ferrari trotzdem nicht den Hauch einer Chance. „Wir wissen, dass wir noch eine Menge zu tun haben und dass wir uns verbessern müssen. Das wurde uns deutlich aufgezeigt", so der Teamchef weiter. „Aber wir verlieren nicht unser Herz. Die Stimmung im Team ist weiterhin gut, und wir haben ein starkes Verlangen, es besser zu machen. Jetzt müssen wir Taten sprechen lassen." Doch selbst für den Fall, dass Ferrari bei der Entwicklung des SF90 eine falsche Richtung eingeschlagen haben könnte, glaubt Binotto nicht an eine verlorene Saison: „Wenn du dich als Team verbesserst, dann ist es keine Katastrophe. Und es gibt Dinge, die du während der Saison beheben kannst."
„Es gibt Dinge, die du während der Saison beheben kannst"
So wie die Mercedes-Ingenieure konkret das Problem mit Bottas Kupplung zu beheben haben. Noch lange nach dem Rennen haderte der Finne, der zum dritten Mal in Folge auf der Pole-Position stand. „Ich habe das Rennen am Start verloren", räumte der 29-Jährige verbittert ein. Ich hatte einige Vibrationen in der Kupplung, die ich noch nie zuvor gehabt habe. Deshalb bin ich so langsam losgefahren.
Unbehelligt von den Problemen Ferrari/Vettel und denen seines Teamkollegen, zog Hamilton in einem lange ereignisarmen GP einsam und ungefährdet seine Runden an der Spitze. Für Hamilton war es der dritte Sieg in Folge in Barcelona und der fünfte für Mercedes in den vergangenen sechs Spanien-Grand-Prix. „Hier wird Geschichte geschrieben", lobte Hamilton die erdrückende Übermacht der Silberpfeile. „Es ist das stärkste Auto, das wir je gebaut haben und das stärkste Team, das es je gegeben hat", schwärmte der 34-Jährige weiter. Lob auch vom Drittplatzierten Max Verstappen für das Ungestüm-Team: „Mehr als Platz drei ist nicht drin gewesen. Wir haben kein schlechtes Auto, aber derzeit ist Mercedes überall schneller." Und Red-Bull-Teamchef Christian Horner lobte seinen „Jung-Bullen" über den grünen Klee. „Max hat ein großartiges Rennen geliefert. Hinter Mercedes auf Platz drei zu fahren, ist phänomenal." Für den 21-jährigen Niederländer war Rang drei in Barcelona sein 24. Podiumsplatz – mehr als Schumacher und Hamilton im gleichen Alter eingefahren hatten.
Punkte einfahren – das heißt, unter die ersten Zehn kommen – will das Supertalent auf jeden Fall an diesem Sonntag, 26. Mai, beim ersten Saison-Höhepunkt in Monaco. Ob es beim Auto-Roulette im mondänen Zockerparadies für einen Podiumsplatz reicht, vermag er nicht zu sagen. Verstappen aber weiß, dass die 78-Runden-Hatz durch die engen Straßenschluchten und den Leitplanken-Dschungel des Fürstentums eine reine Fahrerstrecke ist. Und als aktueller WM-Dritter will er auf dem 3.337 Kilometer kurzen Stadtkurs seine fahrerischen Fähigkeiten und Qualitäten voll entfalten. Ein Sieg im Fürstentum kommt einem Ritterschlag gleich. Das weiß auch Toto Wolff. Der Mercedes-Teamchef ist „ganz heiß" auf das berühmteste Stadtrennen der Welt. Der 47-jährige Wiener stapelt tief: „Monaco ist eine Strecke, auf der wir in den letzten Jahren keine guten Leistungen gezeigt haben. Vergangenes Jahr fuhr Red-Bull-Pilot Ricciardo (damals noch Verstappens Teamkollege, heute bei Renault) dort in einer eigenen Liga. Die Herausforderung ist groß, aber wir sind gespannt, wie es diesmal läuft." Zur Erinnerung: Mercedes hat in den vergangenen Jahren viermal in Folge in Monaco dominiert (Nico Rosberg 2013-2015, Hamilton 2016), 2017 und 2011 war Vettel im Ferrari der „Rennfürst von Monaco". Und dieses Jahr? Mercedes wird jedenfalls von der Konkurrenz in die Favoritenrolle gedrängt.
In einer Sekunde von 180 auf 50 km/h runterbremsen
Stichwort drängen: Seit Donnerstag drängen sich Zehntausende Formel-1-Fans in den engen und pastellfarbenen Gassen des Mini-Fürstentums Monaco. FORUM stimmt seine Leser mal auf eine schnelle Runde über den langsamsten GP-Kurs im Formel-1-Kalender ein. Zur Erinnerung: Der „fliegende Holländer" Max Verstappen umrundete 2018 mit seinem Red-Bull-Boliden den 3.337 Kilometer kurzen Kurs mit dem neuen Streckenrekord von 1:14,260 Minuten. Also bitte anschnallen, festhalten, und los geht’s. Eine Runde um das weltbekannte Casino. Die Ampel springt auf Grün, 20 „Raketen auf Rädern" fliegen unter den Bäumen der Rue Albert 1er davon: 210 Meter vom Start bis zur ersten Kurve haust schon der erste Schrecken. Hier, bei Saint Dévote, rutscht Zuschauern und Fahrern das Herz bereits in die Hose. Ausgerechnet dort, wo die Schutzpatronin von Monaco seit 1070 in einer römisch-katholischen Kapelle verehrt wird, da hält der winklige Stadtkurs seine erste von vielen Mutproben bereit. Es ist jedes Mal eine große, sehr große, Verbeugung vor den 20 Piloten, wenn die Vierrad-Artisten sich unbeschadet durch diese erste Kurve hoch hinaus zum weltberühmten Casino manövrieren und schlängeln. Der eine oder andere Fahrer hat auch schon die Schutzpatronin am Samstag vor dem Rennen angefleht, ihn heil diese erste Mutprobe bestehen zu lassen. Knapp 1.000 Meter bergauf, vorbei an den Edeljuwelier-Läden; Straßenbreite knapp fünf Meter, hüfthohe Leitplanken rechts und links, Bodenwellen, die die Formel-1-Autos zusammenstauchen und Kanaldeckel, die die Fahrer schmerzhaft in ihren maßgeschneiderten Cockpits zusammenprügeln – bei Tempo 260. Links und rechts surren die Leitplanken. Oben angekommen, geht’s über eine Kuppe, ein teuflischer Linksbogen vor dem weltberühmten Casino. Neben Blumenkübeln reißen die Fahrer ihr Arbeitsgerät um die Rechtskurve, stürzen zur Mirabeau-Kurve hinunter. Kurz anbremsen, rechts – und schon wartet die Erste-Gang-Kurve vor dem Grand Hotel, dem früheren Loews. In einer Sekunde von 180 auf 50 km/h runterbremsen. Dann wieder links in Richtung Hafen, wo 1988 McLaren-Pilot und später der sechsmalige Monte-Carlo-Sieger Ayrton Senna seinen Vorsprung von 54 Sekunden an die Leitplanken setzte. Danach mit 300 „Sachen" ab in und durch den extrem engen Tunnel. Vom hellen Tageslicht der Schuss in die erleuchtete Röhre.
Endlich: Am Schluss wieder der glitzernde, hellblaue Himmel über Monte Carlo. Tempo: 275, sechster, siebter Gang. Vollbremsung auf 70 km/h vor der neuen Schikane, kurzes Aufdrehen vor der Tabak-Kurve, dann vorbei am Schwimmbad, wo nur Verrückte ein Überholmanöver wagen. Anschließend die kurze Anfahrt zur eckigen bergauf führenden Haarnadel Rascasse, eine 60 km/h langsame Kurve, wo Fans ihre Spaghetti einen Meter neben der Piste in sich reinschaufeln. Wieder heult der Motor auf. Rechtskurve – und schon sind die Piloten auf der Start-Ziel-Geraden, mit 280 „Sachen" unter den Schattenspendern hindurch. Noch 77-mal der „Ritt auf der Kanonenkugel", wie „Rennfürst" Senna gleichermaßen erschreckt und fasziniert festgestellt hatte. Mit einem Durchschnitt von 160 km/h inklusive 19 Kurven mit 50 Schaltvorgängen pro Runde und etwa 4.000 Schaltungen im Rennen.
Was den Großen Preis der Extreme in dem kleinen Zwergstaat an der Cote d’Azur so grausam und zugleich faszinierend macht, ist schlicht und einfach: Die einmalige Atmosphäre mit Glanz, Glitzer, Glamour, Luxusyachten, VIPs, Stars und Sternchen, den Schönen und Reichen dieser Promiwelt. Der Monaco-GP ist die glamouröseste Veranstaltung und Höhepunkt im Formel-1-Kalender, das tollste Spektakel, das die meisten Zuschauer anlockt. Für die Piloten aber ist die Strecke die ultimative fahrerische Herausforderung. Für Lewis Hamilton sogar „ein haarsträubendes Erlebnis, die härteste Achterbahn, die man sich vorstellen kann."