Es ist nur das „kleine" Europacup-Finale, doch das Endspiel hat es diesmal in sich. Mit dem FC Chelsea und dem FC Arsenal stehen sich zwei Stadtrivalen aus London gegenüber – mit vier Deutschen im Aufgebot und vielen ehemaligen Bundesliga-Spielern.
Dass London die Fußball-Hauptstadt Europas ist, ist lange bekannt. Und daran lässt sich nicht rütteln. Für Laien ist das auf den ersten Blick aber nicht immer erkennbar. Denn wenn sie nicht fälschlicherweise mal „Chelsea London" oder „Arsenal London" genannt werden (statt wie es richtig heißt FC Chelsea und FC Arsenal, dann tragen die Vereine den Stadtnamen oft nicht im Titel. Doch hinter gleich sieben Clubs in der Premier League versteckt sich ein Verein aus London: Eben hinter dem FC Chelsea und dem FC Arsenal, aber auch hinter Crystal Palace, dem FC Fulham, Tottenham Hotspur, dem FC Watford und West Ham United.
Dass in einer Stadt, die mehr als ein Drittel aller Vereine in der stärksten Liga der Welt stellt, auch mal international hochklassiger Fußball gespielt wird, ist ziemlich folgerichtig. Doch was die Londoner Vereine in dieser Saison im Europacup auf die Beine gestellt haben, ist schon ein Wahnsinn. Denn die Premier League stellt alle vier Endspiel-Teilnehmer in den beiden Europacups. Und in Tottenham, das in der Champions League auf den FC Liverpool mit Jürgen Klopp trifft, sowie Chelsea und Arsenal, die im Endspiel der Europa League am 29. Mai in Baku aufeinandertreffen, kommen gleich drei davon aus London.
Ein Europacup-Finale also mit zwei Vereinen aus der ein und selben Stadt, deren Stadien ganze fünf Kilometer Luftlinie voneinander entfernt sind, ist schon eine außergewöhnliche Sache. Genauer gesagt gibt es das das erste Mal. Überhaupt hatte es in der ganzen Europacup-Geschichte zuvor nur zwei Finals zwischen englischen Teams gegeben: 1972 trafen im Uefa-Cup Tottenham und die Wolverhampton Wanderers aufeinander (die kommen nicht aus London) und 2008 in der Champions League Chelsea und Manchester United.
Das dritte Europa-Cup-Duell zwischen englischen Teams
Aber man stelle sich vor, im Finale eines Europacups würden der FC Bayern München und der TSV 1860 aufeinandertreffen. Der 1. FC Köln und Fortuna Köln. Der Hamburger SV und der FC St. Pauli. Oder auch der VfB Stuttgart und die Stuttgarter Kickers. Okay, in Deutschland ist das sowieso unrealistisch. Aber zum Beispiel auch ein Endspiel zwischen dem AC Mailand und Inter Mailand oder zwischen zwei von drei Großclubs aus Istanbul (Galatasaray, Fenerbahce und Besiktas) hat es in Europa noch nie gegeben. Dass das englische Duo es in der Europa League geschafft hat, verdeutlich aber auch ein Umdenken in der Premier League. Die hatte den „kleinen Europacup" stets als etwas minderwertig betrachtet. Wer nicht in der Champions League spielte, ließ bei den Europacup-Spielen unter der Woche gern mal die zweite und dritte Garde ran. Kräfte sparen ist in einer Liga, die keine Winterpause hat, ja sowieso noch ein bisschen wichtiger.
Aber die Europa League hat aus zweierlei Gründen an Wert gewonnen, die in der enormen Leistungs-Dichte in der Premier League begründet liegt. In eben den drei großen Londoner Vereinen Chelsea, Arsenal und Tottenham sowie den beiden Manchester-Vereinen City und United sowie dem FC Liverpool gibt es mindestens sechs große Vereine, die um den Titel und damit auch die Champions League spielen wollen – Überraschungs-Team wie der 2016er-Sensationsmeister Leicester City gar nicht eingerechnet. Für keinen von ihnen ist demnach die Qualifikation für die europäische Königsklasse eine Selbstverständlichkeit. Daher ist die Europa League wirklich zumindest ein erreichtes Mindestziel und keine reine Abstrafung mehr. Zudem ist sie eben dann doch auch ein Weg zu einem Titel – und somit auch eine Hintertür in die Champions League. Denn der Titelträger steigt in der kommenden Saison auf. Für Arsenal, das die Qualifikation als Fünfter über die Liga im Gegensatz zum drittplatzierten FC Chelsea verpasste, ist das Endspiel von Baku also einerseits eine Zusatzchance und andererseits auch die letzte Gelegenheit überhaupt.
Und so ist es im Wortsinne auch ein sehr wertvolles Finale, das die Fans in diesem eigentlich kleineren Europacup sehen. In der Marktwert-Tabelle Europas liegt Chelsea bei transfermarkt.de mit 888 Millionen auf Rang sieben und damit auch vor Juventus Turin oder Bayern München, Arsenal mit 625 Millionen auf Rang zwölf. In der Liste der wertvollsten Spieler belegt Chelseas Eden Hazard Rang acht, sein Teamkollege N‘Golo Kanté ist Elfter. Bei Chelsea spielen zudem Weltstars wie David Luiz, Gonzalo Higuain oder der Ex-Gunner Olivier Giroud. Bei den Gunners sind es zum Beispiel Petr Cech, Laurent Koscielny oder Alexandre Lacazette.
Großer Konkurrenz-Kampf in Englands Eliteliga
Zudem haben beide Kader ganz viel Bundesliga-Bezug zu bieten. Bei den Blues von Chelsea spielt in Antonio Rüdiger – der wegen einer Knie-Operation allerdings in Baku fehlen wird – zwar nur ein Deutscher, dazu kommt im Ex-Gladbacher Andreas Christensen ein ehemaliger Bundesliga-Spieler und im vom FC Bayern heftig umworbenen Supertalent Callum Hudson-Odoi (das allerdings auch verletzt fehlen wird) ein möglicherweise künftiger.
Der Kader von Arsenal liest sich derweil wie eine Bundesliga-Auswahl aus dem vergangenen Jahrzehnt. In Torhüter Bernd Leno, Shkodran Mustafi und Mesut Özil sind es auch nach den Abgängen von Lukas Podolski und dem heutigen Arsenal-Nachwuchsleistungszentrumsleiter Per Mertesacker immer noch drei deutsche Nationalspieler. Bundesliga-Vergangenheit haben zudem die Ex-Dortmunder Sokratis, Henrich Mchitarjan und Pierre-Emerick Aubameyang, der frühere Schalker Sead Kolasinac und der Ex-Gladbacher Granit Xhaka. Auch ohne die im Halbfinale im Elfmeterschießen an Chelsea gescheiterten Frankfurter bietet dieses Endspiel also viele in Deutschland bekannte Gesichter.
Im Basken Unai Emery haben die Gunners übrigens auch einen absoluten Europa-League-Spezialisten als Trainer: Mit dem FC Sevilla gewann er zwischen 2014 und 2016 dreimal hintereinander den Pokal, ehe er zu Paris St. Germain wechselte und nach der Ablösung durch Thomas Tuchel im vergangenen Sommer dann Nachfolger des ewigen Arsene Wenger nach 22 Jahren bei Arsenal wurde.
Ein Wermutstropfen für die vielen englischen Fans ist jedoch, dass ausgerechnet dieses Endspiel in Baku stattfindet. Rund 4.000 Kilometer von London entfernt im Kaukasus. Selbst die alles andere als polemische BBC klagte: „Die Stadt ist weiter entfernt als Riad in Saudi-Arabien oder Bagdad im Irak. Und sie liegt näher an Mumbai in Indien als an der englischen Hauptstadt." Baku will sich als die große Brücke zwischen Europa und Asien präsentieren und bewirbt sich deshalb auch fleißig um die Ausrichtung publikumswirksamer Sport-Veranstaltungen. Die ersten Europaspiele 2015 wurden dort ausgetragen, die Formel 1 fährt dort, auch um Olympia 2016 und 2020 bewarb sich die Stadt.
Doch die weite Entfernung alleine ist nicht das Problem der englischen Fans. Es gibt keinerlei Direktflüge zwischen London und Baku rund um den Spieltag am Mittwoch. Die einzige Variante ginge von Sonntag bis Sonntag. Die meisten terminlich passenden Flüge dauern mit Umstieg rund zehn Stunden. Mit dem Zug, auch das hat die BBC ausgerechnet, würde man bei Durchfahrt von sieben Ländern vier Tage brauchen – mit elf Umstiegen. Mit dem Auto käme man auf rund 59 Stunden.
Die Buchmacher sehen Chelsea leicht in Front
Und sozusagen als Krönung steht nun auch fest, dass Arsenal nicht auf Mchitarjan zurückgreifen kann. Dessen Heimatland Armenien und Aserbaidschan streiten sich seit vielen Jahren in blutigen Auseinandersetzungen um die Region Bergkarabach. Der Verein zeigte sich „hochgradig besorgt" um seine Sicherheit, auch wenn eine Sprecherin des Außenministeriums Aserbaidschans zusagte, dass Mchitarjan einreisen dürfe. 2015 hatte Mchitarjan bereits als Dortmunder aus Sicherheitsgründen auf die Reise nach Baku zum Europa-League-Spiel bei FK Qäbälä verzichtet.
Und wer ist nun der Favorit? Für die Buchmacher liegt Chelsea ganz knapp in Front. Die Blues beendeten die Saison eben zwei Plätze besser, wenn auch mit nur zwei Punkten mehr.
Auch in Europa waren sie zuletzt erfolgreicher. Nach dem Champions-League-Sieg im „Finale dahoam" gegen den FC Bayern 2012 in München holten sie 2013 auch schon mal die Europa League. Arsenals letzter und einziger Europacup-Sieg liegt dagegen schon 25 Jahre zurück: 1994 gewannen die Gunners den inzwischen abgeschafften Europapokal der Pokalsieger.