Ohne Generikahersteller würde der ArzneiÂmittelÂmarkt zusammenbrechen. Verbraucher profitieren von niedrigen Preisen für lebenswichtige Medikamente. Doch Fälschungssicherheit und drohende Engpässe machen der Branche zu schaffen.
Nachahmerprodukte, das Wort hört man in der Branche nicht gern. Generika sind keine Imitationen. Aber sie werden den Originalen nachgebaut. Das tut jede Pharmafirma, ob sie nun Novartis, Merck oder Pfizer heißt, wenn die Patente abgelaufen sind. Das kann allerdings 15 bis 20 Jahre dauern. In dieser Zeit hat sich einiges in der Pharmabranche verändert – nur nicht das Originalprodukt. Das anzupassen käme die Hersteller viel zu teuer, denn dann müssten sie über ihren Vertrieb in allen Ländern neue und veränderte Tabletten auf den Markt bringen. Diese Kosten schmälern den Gewinn, den die Pharmafirma braucht, um die riesigen Forschungs- und Entwicklungskosten auszugleichen. Schließlich durchläuft ein neues Medikament Hunderte von Untersuchungen und Tests, bevor es auf dem Markt kommen darf: Nebenwirkungen, Stabilität, Dosis, Abbau, Umweltwirkungen …
Der Nachteil: Die einmal patentierten Tabletten oder Pulverlösungen schmecken und riechen noch genauso wie vor 20 Jahren und sehen auch noch genauso aus.
Medikamente für geänderte Bedürfnisse
Das ist die Chance für die Generikahersteller: Sie können die Arzneimittel den geänderten Bedürfnissen und Gewohnheiten der Verbraucher anpassen. Wie zum Beispiel die Aristo Pharma in Berlin, die Tabletten mit einem dünnen Film überzieht, so dass sie nicht mehr bitter, sondern nach gar nichts schmecken und beim Schlucken besser flutschen. Pülverchen bekommen Aromen und Geschmacksstoffe zugesetzt, ergänzt Geschäftsführer Guido Zimmermann, so dass sie aufgelöst gut riechen und schmecken. Dass eine Tablette bis zu eineinhalb Zentimeter lang ist, mag man vor 20 Jahren halt klaglos akzeptiert haben. Heute haben die meisten Schwierigkeiten, solche Riesendinger zu schlucken. Also machen die Generikahersteller die neuen Tabletten so klein wie möglich oder bauen eine Bruchkante ein, damit man auch eine halbe schlucken kann. Wohlgemerkt: Die Inhaltsstoffe werden nicht verändert, sie sind exakt vorgegeben und müssen auch exakt so gemischt werden.
Seit Februar 2019 muss EU-weit wegen der Fälschungssicherheit auf jeder Arzneimittelverpackung ein Barcode aufgedruckt sein. Über 100 Firmen haben den Produktionsprozess bereits entsprechend verändert. Durch die achtstellige Nummer ist jedes Arzneimittel eindeutig gekennzeichnet: Name, Darreichungsform, Packungsgröße, Wirkstoffstärke. Die Pharmazentralnummer (PZN) ist auf jeder Packung sowohl als Strichcode als auch im Klartext aufgedruckt. Ergänzt durch die Pharmacy Product Number (PPN) können mit der PZN gekennzeichnete Handelspackungen sogar weltweit identifiziert werden. Die Nummer wird von der IFA vergeben, einem Informationsdienst, zu dem sich Pharma-Industrie, Pharma-Großhandel und Apothekerverband zusammengeschlossen haben.
„Eigentlich ist das ganz einfach", erklärt Guido Zimmermann. „Der Apotheker scannt die PZN bereits bei der Anlieferung und ein weiteres Mal bei der Abgabe an den Patienten ein. Anschließend bucht er die Packung als „abgegeben" aus der Datenbank aus. Wenn eine Nummer zwei Mal vorkommt, merkt er, dass etwas nicht stimmt." Die Verpackungsmaschinen mussten aber noch eine weitere Neuerung verkraften: Jede Schachtel mit Tabletten wird neuerdings fest zugeklebt, so dass sofort erkennbar ist, ob sie schon einmal geöffnet wurde. Eine solche Maschine steht am Ende des Produktionsprozesses – und sie hat viel zu leisten: Tabletten in den Blister drücken, Beipackzettel falten und einstecken, Schachtel bedrucken und am Ende auch noch verkleben.
Sichere Arzneimittel nur in Apotheken
Generikahersteller setzen auf Großproduktion, deswegen investieren sie auch immer mehr in aufwendige Maschinen und leistungsfähige Prozessautomation. Denn die Gewinnspanne ist schmal: Generika sind zu billig, heißt es in der Branche. Einerseits durch den Preisdruck der Konkurrenz von außen, andererseits durch die Rabatte, zu denen die Generikahersteller von den Kassen gezwungen werden. „Bei Generika herrscht in Deutschland und Europa ein massiver Preiswettbewerb", sagt Professor Gerd Glaeske, der die Arzneimittelbewertungsstelle bei der Stiftung Warentest leitet. „Daher lassen deutsche Firmen Medikamente oder deren Grundstoffe zunehmend in Ländern mit billigen Produktionsbedingungen wie Indien oder China herstellen."
Dabei würde ohne Generikahersteller die gesamte Arzneimittelversorgung zusammenbrechen. Obwohl nur 9,2 Prozent der Gesamtausgaben in ihre Taschen fließt, liefern sie 78 Prozent aller Medikamente. Fällt bei einem Generikahersteller die Produktion von Wirkstoffen in Indien etwa durch einen Großbrand oder eine Überschwemmungskatastrophe aus, kann das bedeuten, dass ein Arzneimittel nicht nachgeliefert werden kann. Pro Generika, ein Verband, dem 17 Unternehmen in Deutschland angehören, macht seit einiger Zeit durch Anzeigen, auf denen zum Beispiel eine brennende Medikamentenschachtel oder eine halbierte Ampulle zu sehen ist, auf diese Gefahr aufmerksam. Es könne nicht sein, dass nur drei Anbieter für die lebenswichtigen Antibiotika unter Vertrag mit den Abnehmern, Kassen, Kliniken und anderen Gesundheitseinrichtungen stehen, argumentiert der Verband. Diese hohe Abhängigkeit erhöhe in gefährlicher Weise das Risiko von Arzneimittelengpässen
Und wenn dann alle drei noch von einer Firma in China abhängig sind, kann das dazu führen, dass sich mögliche Verunreinigungen schnell ausbreiten. Erst im Herbst vergangenen Jahres deckte die Stiftung Warentest auf, dass der Blutdrucksenker Valsartan mit einem Mittel verunreinigt war, das Krebs verursacht. Betroffen waren 17 Unternehmen in ganz Europa. Der Wirkstoff kam von der chinesischen Firma Zhejian Huahei Pharmaceutical.
Noch gefährlicher aber sind die Fälschungen, die außerhalb der legalen Vertriebskette gehandelt werden. „Illegal lässt sich nicht regulieren", sagt Pro-Generika-Geschäftsführer Bork Bretthauer. Fälscher, die oft auf gewinnbringende Lifestyle-Produkte fokussiert sind, offerieren auf dunklen Wegen Produkte mit anderen, weniger oder gar keinen Wirkstoffen. Das einzige, was hilft, ist, die Verbraucher aufzuklären. Denn es liegt an ihnen, zu entscheiden, ob sie ein Arzneimittel in einer Apotheke oder bei einem dubiosen Internetanbieter kaufen. Nur der Bezug von Arzneimitteln in der Apotheke ist sicher, betont der Verband.