Erst auf die feine englische Art in der Art-Déco-Lounge Tee trinken, danach ein munterer Abstecher per Cocktail nach Lateinamerika: Das „Ritz-Carlton" hat seinen Afternoon Tea und das Bar-Konzept im „Curtain Club" nach der Generalüberholung angenehm verändert.
Das „Ritz-Carlton" am Potsdamer Platz hat unlängst das Kunststück vollbracht, sich per Rückbesinnung auf die „Goldenen Zwanziger" zu verjüngen und lockerer zu präsentieren. Richtig gelungen wirkt das in der größer, heller und leichter wirkenden Lounge – Spiegel an den Säulen, eine Sonne an der Rückfront und ein zackeliges „Criss Cross"-Muster vom Teppich bis zu den Porzellanrändern tragen zu diesem Eindruck bei. Filmmuseum hin, Potsdamer Platz her: Eine Tea Time im Art-Déco-Ambiente, die schon zu vorigen Grand-Hotel-Zeiten zu den besten in Berlin zählte, will auch in der Neuausgabe seit Jahresanfang 2019 genossen werden.
Federboa und Flapperkleid bleiben im Schrank, kommen wir doch gegen Ende eines Arbeitstages zum Afternoon Tea und wollen entspannen. Das gelingt uns nicht zuletzt durch den herzlichen Empfang von Tee-Sommelière Sarah Harleux mit einem Glas Rosé-Champagner, während wir noch Block, Kameras und Stifte und uns selbst rund um die beiden Couchtische drapieren. Auf dem größeren ist bereits eingedeckt, auf dem kleineren finden kurz darauf die von Chef-Patissière Sabrina Schanz bestückten Etageren ihren Platz. Wir sind bereit für das Einstimmungsritual von Sarah Harleux, die uns eine kleine Schale Grüntee „from my personal collection" reicht.
Teegenuss wird hier zelebriert
Einmal jährlich schicke ihr ein Freund von seiner Ernte diesen Tee aus der chinesischen Provinz Yunnan. Der Willkommensschluck hat im ersten Aufguss ein warmes, butteriges, frisches Aroma. Für mich schmeckt er ein wenig nach Gras und wohliger Mandarine. Ein Geschmackseindruck, der sich beim zweiten Aufguss in die kräftig-buttrige Richtung verstärkt. Manche Gäste sind überrascht von so viel ausgefeilter Tee-Kultur, erzählt Sarah Harleux: „Für viele Deutsche bedeutet Tee gleich Kräutertee." Die gebürtige Französin kam viel herum, studierte in London, kam dort professionell zum Tee. Sie verfeinerte und perfektionierte ihr Wissen zuletzt bei Tea Master Sharyn Johnston in Melbourne.
Waren die Tees von „Mariages Frères" zuvor die bevorzugten im „Ritz-Carlton", setzt Harleux nun auf den direkten Kontakt zu den Produzenten. „Ich schätze die größere Bandbreite in der Auswahl", sagt sie. Ebenso achte sie auf faire und nachhaltige Produktion und Handel. Kräutertee hätte ich nicht unbedingt, geschweige denn ausschließlich, zum Afternoon Tea im „Ritz-Carlton" erwartet. Einen Oolong-Tee, wie wir ihn nun erhalten, als unkomplizierten Begleiter zu Sandwiches und Scones dagegen schon.
Wir widmen uns dem Sandwichbalken auf der untersten Ebene der Etagere. Zwei Bissen große Happen mit Lachs, Roastbeef, Gurke und Brie unter einem Kressestreifen zitieren die große britische Sandwichtradition. „Der Grundgedanke ist und bleibt die klassisch englische Tea Time, die wir leicht abwandeln", sagt Sabrina Schanz. Sie wacht als Chef-Patissière des „Ritz-Carlton" über die feinen Süßigkeiten des Hauses sowie über die Schnittchen und Scones zum Afternoon Tea. „Macarons zum Beispiel haben nichts mit unserer Etagere zu tun." Die Scones mit und ohne Rosinen dagegen sehr. Ebenso wie die selbstgemachte Orangen-Ingwer-Marmelade, die eine Nuance würziger als eine klassische Jam aus Bitterorangen daherkommt.
„Ich kenne die Scones aus Asien ausschließlich mit Beeren-Konfitüre", merkt die Begleiterin an, die sich als Lifestyle-Journalistin international schon durch so manchen Afternoon Tea hindurchgegessen und -getrunken hat. Berlin punktet also mit Marmeladen-Überraschung und durch die echte, importierte „Clotted Cream", einem dicken Rahm aus Rohmilch, der stilecht und üppig geschmackvoll auf die Scones gehört, aber ansonsten kaum in der Stadt zu bekommen ist. Selbstredend essen wir uns von unten nach oben und von herzhaft zu süß hindurch.
Alle Köstlichkeiten gibt’s auch für Allergiker
Bei den kleinen süßen Kunstwerken zeigt das sechsköpfige Patisserie-Team so richtig, was es kann: Red Velvet Cake, Pekannuss-Brownie, Millionaires Shortbread, ein Dundee Cake und das schon vorher bekannte und beliebte Himbeertörtchen warten aufs Vernaschen. Pluspunkt im „Ritz-Carlton": „Wir bieten alles auch ohne Allergene an", sagt Schanz. Einzige Bedingung: „Man muss bei der Reservierung Bescheid sagen." Laktosefrei, glutenfrei oder ohne andere Allergie-Auslöser – es lasse sich beinah alles handhaben. Schanz bekennt ebenfalls, sie sei „ganz großer Malz-Fan" und habe es gern „weniger süß-süß". Beim Red Velvet Cake wird Malz zu erdigen Krümeln. Außerdem ist der Cake mit Schokoladen-Leder belegt. Ja. Schokoladen-Leder. Die hauchdünnen, aber zäheren Scheiben schmelzen nicht so schnell im Mund und transportieren den Geschmack länger als pure Schokolade. Rote-Bete-Pulver obenauf und ein hellrosafarbener, trockener „Rote-Bete-Schwamm", wie ich ihn nenne, bringen die fruchtige Süße der Bete anstelle von Wurzeligkeit ins Spiel. Die dunkelbunte Überraschung macht Spaß.
Ich habe ebenfalls viel Freude am Millionaires Shortbread, das sich von seinem „Arme-Leute-Kollegen" aus purem Mürbteig durch üppige Auflagen angemessen distanziert: Auf eine weiche Karamellschicht folgen eine Schokoladen-Ganache sowie eine Kugel vom angegarten Apfel und Apfelchips. Da großer Reichtum oft mit kluger Sparsamkeit und Nachhaltigkeit einhergeht, versteht sich, dass die Chips aus der Apfelschale selbst hergestellt werden.
„Wir nutzen alles und machen alles, was geht, selbst." Das „From root to leaf"-Prinzip, die Verwendung von Obst und Gemüse von der Wurzel bis zum Blatt, wird in der Patisserie in Süß umgesetzt.
Beim Dundee Cake, einem traditionellen schottischen Früchtekuchen, fasst sich Sabrina Schanz dagegen kurz: „Manche Klassiker muss man einfach so lassen, wie sie sind." Insbesondere, wenn sie Fürsprecher wie die Queen haben: „Queen Elizabeth is reported to favour Dundee cake at tea time", berichtet die englischsprachige Wikipedia. Himbeerscheibchen auf Mandelboden und geliertem Apfelpüree sind dagegen die Bestandteile der üppig mit Schokobögen und Blüten verzierten Himbeertörtchen.
Den Pekannuss-Brownie hebe ich mir zum Abschluss und für die zweite Tee-Runde mit einem Earl Grey auf. Er wurde als „sehr herb" angekündigt, ist aber vielmehr nussig intensiv. Der Afternoon Tea ist pur mit Tee und Happen für 42 Euro, mit einem Glas Champagner für 54 Euro und mit einem Martini-Cocktail für 57 Euro zu haben.
„Last orders, please" heißt es in der Lounge um 17 Uhr. Wer wie wir ein eher später Vogel ist, kann sich mit dem Austrinken, Aufessen und Plaudern jedoch bis 20 Uhr Zeit lassen, wie uns Sarah Harleux auf dem Weg zu ihrem metallenen Teewagen zuruft. Der „Beefeater", der früher mit seinem Auftritt um 18 Uhr die Eröffnung des benachbarten „Curtain Club" ankündigte, wurde mit dem Relaunch in Pension geschickt. Nun verschwindet eine große, ornamentale Sonne aus Spiegelstreifen an der Stirnseite der Lounge hinter einem ausklappbaren Bild des Mondes.
Neues Barkonzept in leichtfüssigem Stil
Wir nutzen bald darauf die Gelegenheit zum Umzug in den „Curtain Club", dessen Anmutung von der eines altehrwürdigen „Gentlemen‘s Club" in die einer leichtfüßigeren lateinamerikanischen Bar verwandelt wurde. Bar-Manager Arnd Henning Heißen und seine Bartender haben mit Latino-Rhythmen, mexikanisch inspirierten Drinks und Düften einen luftigen Raum zum Chillen geschaffen. „Wir bieten das, wonach sich Menschen nach einem Arbeitstag sehnen", sagt Heißen. Bei einem Blue Agave Cacao, einer verflüssigten Hommage an die mexikanische Schokoladenkultur, oder einem fröhlich-flatterigen Orange Blossom mit Orangenlikör, Jasmin und Tonkabohne finden Einheimische wie Reisende gewiss zu einem beschwingten Abendgefühl.
Und wer wäre Arnd Henning Heißen, wenn er nicht als „die Nase" des Berliner Barwesens und Chef auch der benachbarten „Fragrances"-Bar im „Ritz-Carlton" sein Faible für Düfte ungewöhnlicher Art ins Glas oder in den Becher bringen würde? Beim Día de los Muertos huldigen wir der fröhlichen mexikanischen Totenkultur mit weißem Tequila, Gin mit Kardamomnoten, Vetiver, Kaffirlimetten, Zimt und aromatischem Tonic. Heißen selbst brennt für uns geradezu zeremoniell Weihrauch aus dem Oman über dem Drink ab. In jedem Fall wacht Maskottchen Juan, eine große Stoffpuppe mit Sombrero, in seinem eigenen Sessel in der Bar darüber, dass jeder Gast abendliche Entspannung oder Munterkeit im „Ritz-Carlton" findet.