Giuseppe Penone, bedeutender Vertreter der italienischen Gegenwartskunst, gestaltete für den Erweiterungsbau der Modernen Galerie in Saarbrücken eine ortsspezifische Installation. Museumsdirektor Roland Mönig hat die Ausstellung kuratiert.
Herr Dr. Mönig, Giuseppe Penone wird als Vertreter der Arte Povera, auf Deutsch Arme Kunst, bezeichnet. Von armen Künstlern hat man schon gehört. Aber von Armer Kunst? Was ist darunter zu verstehen?
Der Begriff wurde in den 60er- und 70er- Jahren von einem italienischen Kunsthistoriker in Umlauf gebracht und versuchte, eine neue Tendenz in der Kunst zu beschreiben: den Gebrauch von einfachen Materialien aus der Natur und dem Alltag –
von Dingen und Prozessen, die man bis dahin nicht für kunstfähig gehalten hatte. Penone hat sich von dem ursprünglichen Begriff inzwischen weit weg bewegt, weil er nicht nur mit armen Materialien umgeht, er verwendet auch Marmor oder Bronze, aber was er mit diesen Materialien tut, das ist immer noch aufregend, immer noch neu und gegen die Konvention – Bildhauerei der anderen Art.
Etliche Museen lassen ihre Kunstwerke im Innenraum mit der Natur der Außenwelt in Beziehung treten, ich denke an das Museum Insel Hombroich oder an die Fondation Beyeler in Basel. Auch die Architektur des Erweiterungsbaus in Saarbrücken eröffnet neue Sichtachsen und Aussichten. Beeinflusst Sie dies beim Kuratieren?
Massiv! Und: auf die allerschönste Weise. Und es beeinflusst nicht nur mich als Kurator und Museumsleiter, es beeindruckt auch die Künstler. Dass wir Penone gewinnen konnten, das liegt an der besonderen Qualität des Ortes und daran, wie das Museum in die Natur und in die Stadtlandschaft eingebettet ist. Und es liegt an den einzigartigen Proportionen des Raumes im Zentrum des Erweiterungsbaus, der sich in der Vertikalen zum Himmel und in der Horizontalen zur Landschaft öffnet.
Künstler haben immer versucht, die Natur zu imitieren oder als Inspirationsquelle zu nutzen. Kann man sagen, Penone orientiert sich an der Natur?
Penones ganzes Denken kreist um die Natur: darum, was in der Natur vorgeht, was zwischen den Menschen und der Natur vorgeht. Sein Werk handelt vom Körper des Menschen und seiner Beziehung zu den Körpern der Natur.
„Ripetere il bosco"; dieser Titel gibt einen Hinweis zur Intention des Künstlers. Er bedeutet so viel wie den Wald wiederholen. Sie wissen mehr.
Sie können die Worte auch trennen. Den Wald wieder holen, den Wald zurückholen. Penone befragt Hölzer, die wir gewöhnlich einfach nur benutzen: zum Hausbau, um daraus Tische und Bänke zu schneiden, und stellt fest: In den Balken findet man immer noch den Wald, aus dem sie geschnitten wurden. Man findet immer noch die ursprüngliche Form des Baumes. Penone sucht in den Balken die Skulptur, die die Natur selbst hervorgebracht hat. Er lauscht dem Material die in ihm schlummernde Form ab. Er findet eine Skulptur – statt sie zu erfinden.
Eine Formation von 20 Tannenholzbalken wächst 14 Meter von oben in den Raum herab. Im Museum ist auf seltsame Weise ein Wald gewachsen. Steckt hinter dieser Installation „Ripetere il bosco" eine Botschaft des Künstlers im Sinne von Natur- oder Landschaftsschutz?
Penone hat sozusagen das Ohr immer an der Natur, aber er ist kein Naturaktivist, er ist kein Künstler, der sich auf die Fahne geschrieben hat, politisch für die Natur einzutreten. Er sieht das ganz grundsätzlich und sagt: ‚Der Mensch ist Teil der Natur. Alles, was er tut, ist immer schon Natur. Und die Natur wird immer größer sein als der Mensch.‘
Das Verrückte ist: Seine bearbeiteten Holzstämme wirken gleichermaßen natürlich wie auch künstlich. Nehmen Sie das auch so wahr?
Ja. Ich sehe das auch so: Sie tragen beides in sich: die Botschaft der Natur und die Botschaft der Zivilisation – die Errungenschaften einer über Jahrhunderte, Jahrtausende gewachsenen Kultur. Man spürt unweigerlich etwas Erhabenes in diesem Raum. Gehe ich mit Menschen durch die Ausstellung, sagen manche: ‚Diese Bäume machen aus dem Raum eine Art Kathedrale.‘ Die Kunst von Penone hat etwas zutiefst Menschliches – das rührt einen direkt an, dieses Gegenüber der Bäume. Penone bringt Momente zum Klingen, die von einer tiefen kulturellen Prägung her kommen. Die einfachen Dinge, die er tut, erzeugen ein ganz tiefes Echo bei mir und bei den Menschen, die durch die Ausstellung gehen.