Eine Woche vor der Europa-Wahl hat ein Video mehr als eine Regierungskrise in Österreich ausgelöst. Kontakte, Finanzierung und Ziele rechtspopulistischer Parteien, die ins Europaparlament streben, stehen auf dem Prüfstand.
Alles lief ziemlich routiniert bis langweilig. Die Spitzenkandidaten hatten ihre Fernsehduells und Talkshows weitgehend absolviert, die ersten Plakate zeigten wetterbedingte Anzeichen von Auflösungserscheinungen. Für die letzten Pro-Europa-Demos war alles gerichtet. Dann sorgte das politische Beben in der Alpenrepublik für Zündstoff, dessen explosive Wirkung kaum abzuschätzen ist. Das sogenannte Ibiza-Video hat Fragen auf die Tagesordnung gesetzt, die weit über den Bruch der Koalition in Österreich hinausgehen.
Aus der Alpenrepublik wird von „ungläubigem Entsetzen" berichtet, dokumentiert doch das Video in seltener Klarheit die demokratieverachtende Haltung eines Mannes, der bis dahin Vize-Regierungschef und Vorsitzender der FPÖ war. Wobei das Entsetzen nur bedingt nachvollziehbar ist. Schließlich war Heinz-Christian Strache alles andere als ein Unbekannter, als er mit seiner FPÖ 2017 von mehr als einem Viertel der Österreicher (26 Prozent) gewählt wurde. Wahlslogan damals: „Fairness". Auch Regierungschef Sebastian Kurz wusste, mit wem er sich da einlässt. Dass Strache ein Mediensystem à la Viktor Orban im Blick hat, ist eigentlich nur die auf dem Video ausgesprochene konsequente Fortsetzung seines bisherigen Verhältnisses zu Medien.
Die Grüne Spitzenkandidatin Ska Keller stellt als Konsequenz fest: „Das Kernproblem ist, dass es die Konservativen nicht schaffen, sich klar abzugrenzen." Sollte es das Kalkül von Kurz gewesen sein, die FPÖ durch die Regierungsbeteiligung sozusagen einzuhegen, ist das gründlich schief gegangen. Für Keller fängt das Problem schon vorher an. Wer versucht, „im rechten Lager zu fischen, macht sie salonfähig". Und das ist beileibe kein österreichisches Problem allein.
Das „Entsetzen" wirkt gekünstelt
Manfred Weber, Spitzenkandidat von CDU/CSU und der EVP, damit aussichtsreicher Aspirant auf die Juncker-Nachfolger, attackiert zwar Strache, der offensichtlich bereit gewesen sei, „sein Land zu verkaufen", verweist auf Vorgänge beim ehemaligen französischen Front National (FN), heute Rassemblement National (RN), muss sich gleichzeitig aber abmühen, um das Verhältnis der EVP zu Viktor Orban zu erklären, dessen Partei Fidesz schließlich Mitglied der EVP-Familie ist, derzeit allerdings suspendiert.
Das Video offenbart auch eine weitere Gemeinsamkeit populistisch-nationalistischer Parteien in Europa: ihre Nähe zu Putins Russland. Italiens Vize-Regierungschef Matteo Salvini, zugleich Chef der „Lega", verkündete unlängst, lieber Russland als die Türkei in die EU aufnehmen zu wollen. So zumindest verlautet die russische Nachrichtenagentur Sputnik. Über der „Lega" stehen, wie über anderen politisch ähnlich orientierten Parteien, Fragezeichen hinsichtlich der Finanzierung. Unlängst warfen Recherchejournalisten die Frage auf, ob Salvini möglicherweise über Ölgeschäfte mit Russland seinen Lega-Wahlkampf finanzieren wollte. Das Magazin „L’Espresso" konnte aber nicht abschließend belegen, ob der Deal zustande kam. Bemerkenswert ist jedenfalls die Einigkeit rechtspopulistischer Parteien im Kampf gegen die EU-Sanktionen gegen Putin.
Salvini und der deutsche AfD-Spitzenkandidat Jörg Meuthen basteln bereits länger an einer neuen Fraktion für das Europäische Parlament, der „Europäischen Allianz der Menschen und Nationen". Die jetzt durch das Video ausgelösten Diskussionen kommen da höchst ungelegen. Meuthen versuchte abzuwiegeln: alles nur ein „singulärer Vorfall". Strache selbst hatte bereits in seiner Stellungnahme zum Rücktritt die Strategie eingeschlagen, die Veröffentlichung als „Schutz- und Desinformationskampagne" sowie „gezieltes politisches Attentat" zu bezeichnen. Österreich ist in Sachen Pressefreiheit nach einer Erhebung von „Reporter ohne Grenzen" im vergangenen Jahr von Platz elf auf 16 abgerutscht.