Sage noch einer, die Jugend sei unpolitisch. Spätestens die „Fridays" zeigen: Jungen Menschen geht es um die grundsätzlichen Fragen, nicht um das Klein-Klein parteipolitischer Debatten. Das gilt auch für das Thema Europa, wie Ministerin Anke Rehlinger in einer Politik-Klasse erleben durfte.
„Ich dachte, Ihr seid ein Politik-Leistungskurs und steht kurz vor dem Abitur", fordert Anke Rehlinger (SPD) mit einem Augenzwinkern die angehenden Abiturienten am Peter-Wust-Gymnasium (PWG) in Merzig zu einer Diskussion auf. „Also was ist, habt Ihr keine Fragen?" Ihr Lachen bricht das vorherrschende Schweigen der Schüler und ermuntert die rund 80 Anwesenden zumindest zu einer ersten Wortmeldung. Das erste aufgeworfene Thema dreht sich um Brexit und um die Fragte nach einer zweiten Volksabstimmung: Wäre ein weiteres Referendum im Vereinigten Königreich überhaupt noch sinnvoll oder würde eine solche Bürgerabstimmung die Gesellschaft nur noch mehr spalten? Darauf gibt die Wirtschafts- und Verkehrsministerin eine klare Antwort. „Ich bin seit Wochen unterwegs mit der These, dass ein zweites Referendum das sinnvollste wäre, was Großbritannien in der vorherrschenden Situation machen kann", betont Rehlinger. Eine Neuwahl allein sei nicht ausreichend, dafür sei der Erkenntnisgewinn aus den vergangenen Wochen auch für die Briten zu groß gewesen. Es wurde den Bürgern suggeriert, dass es einfach sei, aus der EU auszutreten, weiß Rehlinger. „Jetzt wird es den Menschen bewusst, dass es eben nicht so einfach sein wird. Deswegen bin ich auch der Meinung, dass es die klügste Idee wäre, Neuwahlen mit einem Referendum zu verbinden." Die Schüler nicken zustimmend. Es scheint, als würden auch die künftigen Wähler ungern auf Großbritannien als Teil der Europäischen Union verzichten. Die Diskussion kommt in Gang. „Na, geht doch", freut sich die Ministerin. „Was wollt Ihr noch wissen?" Nach einem kurzen Zögern schießen plötzlich gleich mehrere Hände in die Luft. „Ihr seid ja doch politisch", kommentiert sie die wachsende Begeisterung an der Europa-Stunde. „Na, wenn das so ist, dann los."
Das über zwei Stunden andauernde Gespräch führt die Ministerin im ehemaligen Musiksaal des PWG. „Als Schülerin verbrachte ich in diesem Raum viele schöne Momente", schwelgt Rehlinger zur Begrüßung kurz in Erinnerungen. Dann geht es für die angehenden Abiturienten und die Ministerin auch schon los. „Keine Angst, ich werde jetzt nicht versuchen, Europa in allen seinen Institutionen zu erklären", verspricht die Politikerin gleich am Anfang und löst damit eine spürbare Erleichterung innerhalb des Kurses aus. „Diese unerfreuliche Aufgabe überlasse ich eurem Politiklehrer. Und um ganz ehrlich zu sein, ist es auch nicht der spannende Teil an Europa. Der viel spannendere Teil ist das, was dort passiert."
„Wenn Ihr etwas verändern wollt, dann geht wählen"
So wie beispielweise die spürbar anwachsenden nationalistischen Tendenzen innerhalb der europäischen Gemeinschaft. „Kann man sich diesem Trend widersetzen und wenn ja, was wäre der richtige Weg?", fragt ein junger Mann aus dem Plenum. Hier sieht die Ministerin die Lösung in einem Dialog. „Wir brauchen mehr gesellschaftsorientierte Wertedebatten im Europäischen Parlament, die Klarheit darüber bringen, wo man letztendlich steht", betont Rehlinger. Aber auch die Bürger sollen sich „mehr engagieren und ihrer Regierung deutlich machen, was sie wollen." Sie selbst sei auch ein bisschen in Sorge, wenn sie Richtung Ungarn blickt, oder „wenn ich mir Teile Polens anschaue", gibt Rehlinger offen zu. „Wir müssen dort eine Debatte führen, wo Minderheiten, Presse- und Meinungsfreiheit mit Füßen getreten werden und auch in diesen Ländern die Kräfte stärken, die auf Demokratie setzen." Auch Länder, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen und somit auch ihren humanitären Verpflichtungen nachzugehen, verurteilt Rehlinger aufs Schärfste. „Die Länder, die sich weigern, müssen meiner Meinung nach Ausgleichszahlungen tätigen. Das wäre eine mögliche Lösung."
Aber auch die Debatte um den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und die Zukunft von Diesel- und Elektroautos stand im Fokus der angehenden Abiturienten. Bei diesem Thema plädierte Rehlinger für eine mögliche Strompreisdämpfung. „Sonst ist es auch die nächste Debatte, die uns blüht, ein Gespräch über die Strompreise", betont die Ministerin. Zudem seien die Elektroautos noch gar nicht so weit entwickelt, um die für die Bevölkerung nötige Reichweite zu decken. Es gäbe nicht genug Ladestationen, und auch die Entsorgung der rohstoffaufwendigen Lithium-Ionen-Batterien sei umweltschädlich. Parallel sprach sich die Politikerin für den Diesel aus. „Wir brauchen den Diesel, weil dieser weniger Kohlenstoffdioxid ausstößt", betont Rehlinger. Dennoch sollte sich auch der ÖPNV den Bedürfnissen der Menschen anpassen. „ÖPNV ist kein Luxus und soll auch nicht nur der reichen Schicht der Bevölkerung zugänglich sein", sagt Rehlinger. „Wenn Ihr also etwas verändern wollt, dann geht wählen."
Tatsächlich lässt sich das politische Interesse der Jugend nur schwer einschätzen. Auf der einen Seite scheinen sich immer weniger Jugendliche mit der traditionellen parlamentarischen Politik und der konventionellen Art der Partizipation identifizieren zu können. Das spiegelt sich nicht nur in der rückläufigen Wahlbeteiligung seitens der Volljährigen, sondern auch an den sinkenden Zahlen der Mitglieder in Jugendorganisationen und Parteien. Auf der anderen Seite waren schon lange nicht mehr so viele junge Menschen auf der Straße, um für ihre Ziele und Werte wie beispielsweise den Klimaschutz zu demonstrieren. Für die Kritiker dient die „Fridays for Future"-Bewegung als eine Legitimation, um der Schule fernbleiben zu können, die Befürworter – unter anderem auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – sehen in dieser Initiative eine aufkeimende, politische Partizipation der Jugend.
Dieser Meinung schließt sich auch Anke Rehlinger während der Podiumsdiskussion an ihrem ehemaligen Gymnasium an. „Es ist wichtig, über den Klimaschutz zu diskutieren und nicht über die Fehltage", sagt die Politikerin und beschränkt sich dabei nicht nur auf die Umwelt. „Viele Themen, die aktuell diskutiert werden, sind die Themen Eurer Generation."