Sie gilt als das neue, junge Europa-Gesicht in der deutschen Politik. Als Präsidentin der liberalen Jugendverbände kennt sie die Facetten von Chancen und Herausforderungen. Svenja Hahn (29) im FORUM-Redaktionsgespräch über die Faszination der Vielfalt Europas und Bildung und Klima als Megathemen der Jugend.
Frau Hahn, was fasziniert junge Menschen an Europa?
Eigentlich alles. Europa ist die Geschichte von Begegnungen. Als Vorsitzende der Europäischen Jungliberalen war ich in den letzten fünf Jahren in 33 verschiedenen europäischen Ländern. Das Erleben von Vielfalt, das ist Europa.
Junge Menschen haben überall sehr ähnliche Träume, aber die Herausforderungen sind unglaublich unterschiedlich. Es macht einen Unterschied, ob man aus einem reichen Land der Europäischen Union kommt oder einem wirtschaftlich schwächeren. Das ist eine Ungerechtigkeit, die mich sehr beschäftigt. Das war auch ein Grund für meine Kandidatur. Europa ist für mich ein Gefühl von Freiheit und Vielfalt und ganz stark geprägt von den Menschen.
Beim Brexit-Referendum haben sich die Jungen zurückgehalten, was sich offenbar im Ergebnis ausgewirkt hat. Was ist die Lehre aus dieser „Enthaltsamkeit"?
Junge Menschen haben die Errungenschaften lange für selbstverständlich genommen. Ich bin einige Monate vor dem Fall der Mauer geboren, ich kenne nur ein immer mehr geeintes Europa. Jüngere Menschen sowieso. Die jungen Briten, mit denen ich gesprochen habe, konnten sich gar nicht vorstellen, dass die Idee eines Austritts aus der EU, der das alles infrage stellt, bei einem Referendum durchkommt. Jetzt gehen massenweise junge Menschen auf die Straße, weil sie erleben: Das, was ich für selbstverständlich gehalten habe, ist gar nicht so selbstverständlich. Das gilt für Großbritannien oder für Ungarn, wo Grundwerte von der Regierung konsequent untergraben werden. Deshalb hoffe ich auf eine sehr hohe Wahlbeteiligung junger Menschen.
Die historischen Errungenschaften Europas werden immer wieder als Argument ins Feld geführt. Interessiert das junge Menschen, oder geht es denen mehr um einen Blick in die Zukunft, Beispiel „Fridays for Future"?
Für mich ist der Blick in die Vergangenheit wichtig. Wenn man nicht weiß, was es wert ist, dann weiß man auch nicht, dass es sich lohnt, etwas dafür zu tun. Das geht weit über den Geschichtsunterricht in der Schule hinaus. Natürlich müssen wir darüber reden, wie wir Europa weiterentwickeln wollen. Dabei ist es eigentlich absurd, alle fünf Jahre vor den Europawahlen die Fragen nach Ja oder Nein zu Europa zu stellen. Ich will die Frage stellen, wie wir Europa gestalten wollen. Dieses „Wie" kommt häufig zu kurz. In den letzten Jahren haben Menschen Europa oft als Krise wahrgenommen, Eurokrise, Brexit, Flüchtlingssituation. Und weil die Europäische Union sehr komplex ist, war oft unklar, ob die EU handelt oder nicht. Es ist alles sehr erklärungsbedürftig. Mir geht es darum, aus dem Krisenbewältigungsmodus herauszukommen und die Frage nach der Weiterentwicklung zu diskutieren. Dabei geht es auch um Reformen der Institutionen. Wichtig ist mir, dass man nicht nur alle fünf Jahre über Europa redet, sondern Europa immer ein Thema ist.
Was sind Ihre Visionen?
Das Fernziel ist für uns Freie Demokraten ein föderal verfasster demokratischer Bundesstaat, also die Weiterentwicklung des Föderalismus auf der nächsten Ebene. Dabei muss man austarieren, welche Kompetenzen auf welcher Ebene angesiedelt sind, wie im deutschen Föderalismus auch. Über solche Ideen wird auch im Wahlkampf viel zu wenig geredet.
Sie haben die Komplexität der EU angesprochen. Wie würden Sie europäische Politik nachvollziehbarer gestalten?
Wir wollen das Europäische Parlament aufwerten, beispielsweise mit einem Initiativrecht ausstatten, und ich kann mir gut vorstellen, es zu einer gleichwertigen Kammer mit dem Rat der Europäischen Union zu machen. Ähnlich wie wir es in Deutschland von Bundestag und Bundesrat (Vertretung der Länder) kennen. Und wir müssen überlegen, ob wir das Prinzip der Einstimmigkeit noch in allen Bereichen brauchen. Dadurch werden viele Reformen blockiert.
Wie soll das gehen? Es gibt doch auch jetzt schon Beschlüsse, an die sich einige schlicht nicht halten.
Es ist grundsätzlich so, dass man sich in einer Gemeinschaft auch an die Regeln halten muss, die einem vielleicht nicht gefallen. Im Übrigen sind auch die nationalen Politiker in der Pflicht zu mehr Transparenz, was auf der europäischen Ebene geschieht. Manchmal wird ja auch der Weg über Brüssel gewählt, um etwas zu erreichen, was auf der nationalen Ebene unbequem ist. Und dann wird verschwiegen, dass man das selbst im Rat mitbeschlossen hat, vielleicht sogar selbst initiiert hat. Dagegen arbeiten das Parlament und die Kommission wesentlich transparenter.
Dem Parlament wird oft vorgeworfen, dass man sich dort einen ruhigen Job machen könnte.
Dazu nur ein Vergleich: Das Europäische Parlament hat vierzig Sitzungswochen im Jahr, der Deutsche Bundestag nur zwanzig. Viele wissen leider gar nicht, wie der Arbeitsalltag eines Europaabgeordneten aussieht. Der hat aber auch wegen der Sitzungswochen weniger Zeit für seinen Wahlkreis, um es dort zu erklären. Und die Wahlkreise sind auch noch größer als die von Bundestagsabgeordneten.
Beim Stichwort Europa der Jugend wird gerne auf „Erasmus" verwiesen …
Genau. Eine Million „Erasmus-Babys" können nicht lügen. Es funktioniert also. Dieser Austausch im universitären Bereich läuft schon sehr gut. Wir wollen das ausbauen, besonders für Auszubildende. Wir fassen das unter dem Begriff „Bildungsfreizügigkeit" zusammen im Sinne der großen Grundfreiheiten in der EU. Das kann dazu beitragen, Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Austausch und andere Kulturen kennenzulernen, ist auch Schlüssel zu europäischer Identität und europäischem Zusammenwachsen. Dazu fordert die FDP auch Free Interrail. Der Ansatz für Begegnungen ist grundsätzlich gut, trotzdem habe ich mich persönlich dagegen ausgesprochen, weil ich aktuell priorisiere, dass die Mittel in anderen Bereichen, etwa Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, eingesetzt werden, dass junge Menschen nicht nur gute Ferien sondern ein gutes Leben haben können.
Da es mit Visionen in der Politik so eine Sache ist, frage ich Sie einfach mal nach Ihren Wünschen für Europa.
Ich wünsche mir eine Europäische Union, in dem egal, wo jemand herkommt, alle jungen Menschen Zugang zu guter Bildung haben. Auch die gegenseitige Anerkennung von Bildung ist ein großes Thema. In der Praxis hapert es da noch, und dann nutzt auch das Versprechen von Freizügigkeit nicht viel. Das ist natürlich besonders für Grenzregionen ein wichtiges Thema. Großes Thema für junge Menschen ist auch der Klimawandel. Den kann man nicht allein auf nationaler Ebene bekämpfen, der macht an Grenzen nicht halt. Und viele treibt die Frage um, wie es mit Europa in der Welt weiter geht, schließlich war für uns Europa immer ein Garant, war immer da. Für mich geht die europäische Einigung immer weiter, und ich glaube, das geht vielen jungen Menschen so.