Ein kilometerlanger Strand und ein kühlender Wind in subtropischer Hitze: Die Ostküste von Fraser Island hat alles, was Sonnenanbeter lieben. Doch gegen einen Handtuchurlaub spricht einiges. Im Wasser schwimmen Haie, und das Meeresufer ist Teil der Nationalstraße. Die Reize liegen woanders.
Der Allrad-Truck bahnt sich die letzten Meter über die furchige Sandpiste. Noch einmal schaukeln die Fahrgäste in den Sitzen hin und her, dann gleitet die aufgebockte Touristensänfte ruhig daher. Die Sicht durch die Seitenfenster ist nicht mehr durch baumhohe Farne und ausufernde Palmwedel versperrt, und zum ersten Mal auf dieser motorisierten Dschungeltour gibt es eine Aussicht zu genießen. Sand und Wasser so weit das Auge reicht. Ein perfekter Strand – 120 Kilometer lang und so schnurgerade, dass seine Enden mit dem Horizont verschwimmen.
„Willkommen auf der 75-Mile-Beach-Road", knistert es aus den Lautsprechern, die Busfahrerin Anne Bauer über ein Headset mit Worten füttert. Die Touristenführerin wählt eine von zwei Möglichkeiten und biegt links ab. Wir sind in Richtung Indian Head unterwegs, dem Aussichtsfelsen am nördlichen Strandende. „Der Strand gehört zum öffentlichen Straßennetz Australiens, er ist offiziell Teil des Highway 1." Und das heißt etwas: Denn die Straße, die ganz Australien umrundet, ist mit über 14.000 Kilometern die längste Nationalstraße der Welt.
Für die Strandpiste braucht man Allrad
Der sandige Bruchteil auf Fraser Island lässt davon jedoch nichts erahnen. Zum einen trennt ihn das Meer von der Festlandroute. Zum anderen gibt es keine Asphaltierung, keine Markierungen oder Planken und Leitpfosten. Immerhin: Der Untergrund ist plan. „Der Strand wird durch die ablaufende Flut immer wieder ganz von selbst so glattgezogen wie eine normale Straße." Instandhaltungskosten? Ein Fremdwort. Anne lächelt und umklammert das riesige Lenkrad. „Allerdings braucht man ein Allradfahrzeug, um überhaupt hierher zu kommen." Und natürlich die Fähre. Im Dunst der Gischt kommen uns Geländewagen und robuste Tourbusse entgegen. Ihre Scheinwerfer sind schon kilometerweit zu sehen, wie leuchtende Murmeln, die immer größer werden. Nur langsam geben die Fahrzeuge ihre Konturen preis. Von Zeit zu Zeit tauchen schief im Sand steckende Schilder auf und verkünden das Tempolimit am Traumstrand: Größtenteils mit 80 km/h dürfen die Autos über den Strand rasen – wo Flüsse sich in den Ozean ergießen, auf felsigem Areal und auf dem Rest der Insel sind nur 30 erlaubt. „In den vergangenen Jahren gab es einige tödliche Unfälle hier", sagt Anne. Zuletzt seien drei junge Touristen bei einem Crash ums Leben gekommen. Seitdem gelten auf der ganzen Insel strengere Regeln. „Es ist zum Beispiel kein Gepäck auf dem Dach mehr erlaubt", sagt Bill Worden, einer der beiden Insel-Polizisten von der Eurong Police Station. Das Risiko von Überschlägen auf schrägen Strand- und Pistenabschnitten soll mit dem Verbot gesenkt werden. Auch der starke Seitenwind kann zur Gefahr werden. An anderen Gefahren, die an das Risiko einer Wattwanderung an der Nordsee erinnern, können die Behörden nichts ändern. „Die größte Herausforderung ist die Flut", sagt Anne. Wenn man sich zur falschen Zeit festfährt und das Wasser kommt, hat man ein Problem." Aber zum Steckenbleiben weich ist der Sand von Fraser Island eigentlich nur direkt nach einer Flut und dann, nämlich zwei Stunden danach und auch davor, sind keine Fahrzeuge auf dem Strand-Highway erlaubt.
Besichtigung eines Schiffswracks
Es ist der Rhythmus der Gezeiten, der dieser eigenartigen Straße regelmäßig Vollsperrungen verordnet – nicht Massenunfälle wie auf deutschen Autobahnen. Und wie an jedem anderen langgestreckten Sandstrand bleibt genügend Platz für alle. Für die Angler, die knietief in der Brandung des Pazifiks stehen, die Kraftfahrer oder die patrouillierenden Ranger – nur Handtuchurlauber sucht man vergebens. „Baden empfiehlt sich bei aller Verlockung am 75-Mile-Beach nicht", scheppert Anne durch ihr Mikro. „Die Strömungen sind zu gefährlich, und in den Wellen jagen Tigerhaie." Auch über Wasser muss die Begegnung mit einem wilden Tier nicht unbedingt gesucht werden: dem Dingo. Der Vierbeiner gilt auf Fraser Island als der reinrassigste Wildhund überhaupt. Und er ist mitunter angriffslustig.
Einer der Angler riecht offenbar so verlockend, dass ihm ein Dingo in den auslaufenden Wellen an die Wathose will. Erst ein Ranger, der mit seinem Geländewagen zufällig vorbeikommt, kann das Tier verscheuchen. Für das Schauspiel hat Anne den Bus angehalten: „Jetzt auf keinen Fall aussteigen." Die Touristen drücken sich an den Scheiben die Nasen platt und schießen massenweise Fotos. Nach einer Stunde Fahrt parkt die Touristenführerin den 280-PS-Truck am Indian Head, dem östlichsten Punkt der Insel. Hier endet die 75-Mile-Beach-Road und erweist sich letztlich als Sackgasse. Der Aufstieg auf den vulkanischen Felsbrocken wird belohnt: Oben liegt einem der lange Strand in voller Schönheit zu Füßen, die Brandung rollt über eine Distanz von vielleicht 200 Metern urgewaltig heran. Einer Urgewalt haben Touristen auch eine andere Attraktion zu verdanken: das Wrack des einstigen Luxusdampfers „S.S. Maheno" nahe der Mündung des Eli Creek. 1935 wurde das Passagierschiff während eines Zyklons an den Strand geschleudert. Es war auf seinem Weg nach Japan, um dort abgewrackt zu werden. Seitdem liegt es da und zieht die Strandbesucher magisch an. Schon von Weitem ist das alte Schiff aus Annes Tourbus als schwarzer Punkt in der Ferne zu sehen, als wir wieder auf dem Rückweg sind.
Vor Ort angekommen, herrscht fast schon buntes Treiben für diesen Strand. Die „S.S. Maheno" ist der Ort der täglichen Rushhour auf der 75-Mile-Beach-Road. Nicht umsonst gilt hier Tempo 30. „Und Fußgänger sollten sich vor allem hier immer nach Autos umsehen, wenn sie den Strand queren", rät Polizist Worden. Denn durch den Wind und das brandende Meer sind die Motoren fast nie zu hören. Spätestens seit den tödlichen Unfällen fährt die Inselpolizei auf der Sand-Piste täglich in ihrem Toyota Land Cruiser Streife. „Der Strand sieht zu jeder Tageszeit anders aus, und du weißt oft nicht, was Dich erwartet", sagt der Inselpolizist. Zuletzt musste Worden bei der Bergung eines Buckelwals helfen.
Eine infrastrukturelle Notwendigkeit ist die 120-Kilometer-Straße am Strand von Fraser Island nicht, sonst wäre parallel wohl längst eine Küstenstraße asphaltiert worden. Immerhin bietet sie oft den praktischsten Weg, touristische Einrichtungen wie manches Resort zu erreichen, anstatt sich im 1.500 Kilometer langen Netz an Sandpisten, das sich über Fraser Island legt, zu verfahren. Im Grunde ist der abgenabelte Teil des Highway 1 eine Touristenattraktion. „Es gibt ja nur 120 Einwohner, aber wir haben 300.000 Gäste im Jahr. Am meisten sind also Touristen unterwegs, Familien im Leihwagen oder eben auf einer Bustour wie dieser hier", sagt Anne.
Die sandige Straße dient leichtem Luftverkehr offiziell auch als Start- und Landebahn. Sie ist Ausgangspunkt beliebter Insel-Rundflüge in kleinen Sportflugzeugen. „Kraftfahrer müssen deshalb öfters als anderswo in die Spiegel sehen, ob nicht ein Flugzeug reinkommt", warnt der Inselpolizist. Bei aller Skurrilität: Es gibt eine Zeit, in der Bill Worden und seine Kollegen hart durchgreifen. Zur Feriensaison, wenn es vergleichsweise voll wird auf dem endlosen Strand, wird Verstärkung durch die Polizei in Maryborough hergeflogen. „Während der Ferien kassiert die Polizei doppelt so hohe Bußgelder bei Geschwindigkeitsverstößen", sagt Anne. Die Fahrerin des hochgebockten Touristenbusses setzt ordnungsgemäß den Blinker, kontrolliert ihren Gurt und biegt ab. Der Rückweg zum Hotel durch den holprigen Dschungel ist angetreten.