Im Sommer 1989 demonstrierten Studenten auf dem Tiananmen-Platz für ein demokratischeres China. Am 3. und 4. Juni ließ das Regime die Versammlung gewaltsam auflösen, vermutlich mehrere Tausend Menschen kamen ums Leben. Eine Aufarbeitung der Ereignisse hat in der Volksrepublik bis heute nicht stattgefunden.
Seinen echten Namen kennt bis heute niemand. Als Tank Man ist er in die Geschichte eingegangen, als Panzer-Mann: jener Chinese, der sich am 4. Juni 1989 todesmutig den Panzern auf dem Tiananmen-Platz in Peking entgegenstellte. Tags zuvor hatte die Staatsführung die chinesische Demokratiebewegung durch das Militär blutig niederschlagen lassen, doch das schreckte den Mann nicht ab. Unbewaffnet trat er den Kettenfahrzeugen entgegen, in der linken Hand hielt er lediglich eine Plastiktüte. Immer wieder wirbelte er sie herum, so als wollte er damit die Panzerkolonne verscheuchen. Vergebens. Schließlich wurde er von anderen Männern weggezogen – ob es Agenten der Staatsgewalt waren oder doch nur besorgte Passanten, weiß keiner.
Der friedliche Protest hat den Tank Man zum Symbol des Aufstands gemacht und zu einer Ikone von Menschenrechtlern und Friedensaktivisten weltweit. Das Foto der Szene ging um die Welt. Es stammt von Jeff Widener, damals Südostasien-Korrespondent bei der Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Beinahe wäre es jedoch gar nicht zu dem Bild gekommen. In der Nacht zuvor war Widener in den Straßen rund um den Platz des Himmlischen Friedens, wie der Tiananmen-Platz auch genannt wird, mitten in die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Demonstranten hineingeraten. Ein Wurfgeschoss der Demonstranten zerstörte das Gehäuse seiner Kamera, er selbst kam mit einer schweren Gehirnerschütterung davon.
Viele andere hatten weniger Glück. Zwar gab es auf dem Tiananmen-Platz selbst keine Opfer – der Name Tiananmen-Massaker ist insofern irreführend –, doch in anderen Stadtteilen Pekings kamen am 3. und 4. Juni 1989 zwischen mehreren Hundert und mehreren Tausend Menschen ums Leben, viele weitere wurden verletzt. Die genaue Opferzahl ist allerdings bis heute nicht bekannt. Die offizielle Zahl von mehr als 200 toten Soldaten und Zivilisten, darunter 36 Studenten, dürfte jedoch deutlich zu niedrig liegen.
Genaue Opferzahl ist bis heute unklar
Eine öffentliche Aufarbeitung der Ereignisse hat in China bis heute nicht stattgefunden. Stattdessen wird das Tiananmen-Massaker totgeschwiegen – aus Chinas größter Online-Enzyklopädie Baidu Baike ist das Jahr 1989 gar komplett getilgt worden. Es gibt Menschen, die haben von der Revolte noch nie etwas gehört. Vor dem 30. Jahrestag hatten chinesische Zensoren auch die Online-Enzyklopädie Wikipedia zeitweise komplett gesperrt, sie war im bevölkerungsreichsten Land der Erde in sämtlichen Sprachen nicht abrufbar. „Seit Tiananmen befinden sich die chinesischen Politiker im Zustand der Paranoia. Noch in der friedlichsten, harmlosesten politischen Gruppe sehen sie eine fundamentale Gefahr", sagte der Friedensnobelpreisträger von 2010, Liu Xiaobo, im Jahr 2006.
Gleichzeitig hatte die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes auch eine abschreckende Wirkung: Sie hat die chinesische Demokratiebewegung um Jahrzehnte zurückgeworfen. Solange die Wirtschaft brummt, scheinen viele Chinesen die politische Unfreiheit nunmehr stillschweigend zu akzeptieren.
In den späten 80er-Jahren wollten sie die weiterhin repressive Haltung des Staates – trotz wirtschaftlicher Liberalisierung – und das Machtmonopol der Kommunistischen Partei (KPCh) dagegen nicht länger hinnehmen. Bereits im Dezember 1986 kam es in mehreren chinesischen Städten zu Demonstrationen mit bis zu 70.000 Teilnehmern, die gegen die einseitige Besetzung der Volkskongresse durch die KPCh protestierten. Die Proteste dauerten bis in den Januar 1987 an. Urspünglich waren es vor allem Studenten, die aufbegehrten, doch ihnen schlossen sich bald auch andere Bevölkerungsschichten an. Arbeitervertreter organisierten sich in Gewerkschaften und forderten mehr Rechte; Unternehmer beklagten die staatliche Verwaltung und die Korruption vieler KPCh-Funktionäre. Als Vorbild für die chinesische Demokratiebewegung dienten die Reformbestrebungen in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow sowie in Polen und Ungarn.
Bei den Protesten von 1986/87 hatte der damalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei Hu Yaobang noch Nachsicht walten lassen. Er galt als Reformer, wurde aber von Hardlinern innerhalb der Partei 1987 abgesetzt. Sein Tod im April 1989 war für die Demokratiebewegung deshalb ein willkommener Anlass, die Proteste wieder aufzunehmen. Seine Trauerfeier auf dem Tiananmen-Platz geriet zur regimekritischen Demonstration, die rasch immer mehr Anhänger fand. Etliche Teilnehmer traten in den Hungerstreik, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Waren es am 4. Mai bereits rund 100.000 Demonstranten, strömten vier Tage später bis zu eine Million Menschen auf den Platz des Himmlischen Friedens. Eine provisorische Zeltstadt wurde errichtet, es gab Rockkonzerte, die Stimmung war ausgelassen.
Staatsführung sah sich blamiert
Noch war es ein großes Fest der Freiheit, über das die chinesischen Medien entgegen der Parteianweisung auch ausführlich berichteten. Wegen des parallel stattfindenden Staatsbesuchs Michail Gorbatschows in Peking weilten zudem zahlreiche ausländische Korrespondenten in der Stadt. Sie machten die chinesische Demokratiebewegung und ihre Forderungen weltweit bekannt. Das mit großem Pomp geplante Gipfeltreffen mit dem Sowjetführer stand plötzlich im Schatten der Studentenproteste. Weil diese den Tiananmen-Platz besetzt hielten, konnte Gorbatschow die Große Halle des Volkes sogar nur durch einen Seiteneingang betreten. Eine Blamage für das Regime.
Parteichef Zhao Ziyang hatte die Studentenproteste zu Beginn noch für weitgehend harmlos gehalten, da er sie als durchaus konstruktiv betrachtete. Er schrieb in seinen Memoiren: „Ich dachte, wenn die Studentendemonstrationen gemäß der Prinzipien von Demokratie und Gesetz, mit Dialog und Entspannung gelöst werden könnten, würde dies Chinas Reform stärken, einschließlich einer politischen Reform." Doch Zhao war schon durch seine Wirtschaftsreformen in die Kritik geraten, die vielen in der Partei zu weit gingen. Als er nun die Situation auf dem Tiananmen-Platz nicht unter Kontrolle bekam, wurde er abgesetzt und für den Rest seines Lebens (er starb 2005) unter Hausarrest gestellt.
Ministerpräsident Li Peng sowie Parteipatriarch Deng Xiaoping forderten dagegen ein entschlossenes Vorgehen. Deng regierte die Volksrepublik China faktisch von 1979 bis 1997, ohne dabei die Spitzenämter jemals persönlich einzunehmen. Bevor er die Panzer losschickte, soll er zynisch angemerkt haben: „Zweihundert Tote können China zwanzig Jahre Frieden bringen." Ab 19. Mai 1989 versuchte die Armee, aus den Vororten in die Innenstadt von Peking vorzurücken. Die versammelten Menschenmengen sowie Barrikaden auf den Straßen verhinderten anfangs jedoch, dass die Truppen bis zum Tiananmen-Platz vorrücken konnten. Noch in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni konnte der Vormarsch erneut gestoppt werden. Bis dahin war alles friedlich geblieben. Allerdings verbreitete die Regierung über Lautsprecher und den Rundfunk zusehends schärfere Warnungen, so dass sich Teile der Demonstranten sicherheitshalber zurückzogen. 24 Stunden später schlug die Staatsmacht dann zu.
Das brutale Vorgehen sowie weitere Repressionen und auch Hinrichtungen in den Wochen und Monaten nach der Niederschlagung schädigten das Ansehen Chinas in der Welt nachhaltig – zum Teil bis heute. So hat etwa ein Waffenembargo der EU und der Amerikaner gegen die Volksrepublik auch 30 Jahre nach den Ereignissen weiterhin Bestand. Die Schockwellen waren auch in der DDR zu spüren, wo die Bürger 1989 ebenfalls aufbegehrten und mehr Freiheiten forderten. Die ostdeutsche Führung unterstützte das harte chinesische Vorgehen – viele Bürgerrechtler befürchteten, dass man sich für eine „chinesische Lösung" entscheiden könnte. Es kam zum Glück anders.