Lynyrd Skynyrd zählen laut „Rolling Stone" zu den 100 größten Bands der Musikgeschichte. Ihre Story ist gezeichnet von Triumph und Tragik. Seit 1964 sind elf Bandmitglieder verstorben. Im Juni geht die Gruppe zum letzten Mal auf Tour. Gitarrist Rickey Medlocke spricht im Interview unter anderem über das Woodstock-Festival und seine indianischen Wurzeln.
Mr. Medlocke, die „Last of the Street Survivors Farewell"-Tour markiert das Ende für die ganz großen Touren mit Lynyrd Skynyrd. Warum ziehen Sie jetzt einen Schlussstrich?
Bandgründer Gary Rossington hat gesundheitliche Probleme. Ende 2017 saßen Gary, Johnny Van Zant und ich zusammen, um über die Modalitäten unserer Abschiedstour zu sprechen. Normalerweise spielen wir 80 bis 100 Konzerte pro Jahr, aber Gary fühlte sich nicht mehr fit genug für solch ein Pensum. Ich persönlich würde das noch schaffen, aber wir machten uns Sorgen um Gary. Also beschlossen wir, die „Last of the Street Survivors Farewell"-Tour zu machen. Das bedeutet, dass wir jetzt noch einmal in allen Ländern spielen, die wir jemals beehrt haben. Dazu kommen einige, in denen wir noch nie waren. Das Abschiednehmen wird insgesamt drei Jahre dauern.
Haben Sie bereits Pläne für danach?
Die Band wird weiterbestehen. Wir haben auf jeden Fall vor, weitere Studioplatten zu veröffentlichen. Die Beatles haben ja auch aufgehört, live zu spielen und dann ihre besten Platten gemacht. Sehr wahrscheinlich werden wir in Zukunft nur noch auftreten, wenn es einen besonderen Anlass gibt. Zum Beispiel bei Spendengalas oder bei mehrwöchigen Gastspielen in Las Vegas oder Europa. Die Leute sollen lieber zu uns kommen, statt dass wir zu ihnen reisen. Wir werden uns definitiv nicht auflösen.
Ist das Reisen das Anstrengendste an Ihrem Job?
So ist es. Wir sind unser ganzes Leben auf Achse gewesen. Ganz ohne Reisen wird es auch in Zukunft nicht gehen, aber wir wollen es uns bequemer machen und mehr Zeit mit unseren Familien verbringen. Voriges Jahr hat unser Sänger Johnny seine älteste Tochter verloren, sie hatte Krebs. Das hat ihn fast zerrissen. Ich kann verstehen, dass er in Zukunft mehr mit seiner Familie zusammen sein will.
Lynyrd Skynyrd haben im Lauf der Jahre insgesamt elf Bandmitglieder verloren. Wie gehen Sie damit um?
Oh mein Gott, Gary und ich waren schon auf so vielen Beerdigungen! Jedes Mal, wenn wir „Freebird" spielen, zünden wir auf der Bühne eine Kerze für jedes verstorbene Bandmitglied an. Kürzlich haben wir Ed King verloren. Das macht etwas mit einem. Diese vielen Toten sagen mir, dass auch ich sterblich bin. Jeden Morgen nach dem Aufwachen bedanke ich mich beim Herrgott dafür, dass er mir einen weiteren Tag geschenkt hat. Das tun übrigens alle von uns. Aber es ist uns auch wichtig, dass wir mit der Band weiterhin Musik machen. Zudem hat jeder einzelne Nebenprojekte. Es wird von Lynyrd Skynyrd in absehbarer Zeit kein finales Abschiedskonzert geben.
Was werden Sie auf Ihrer Tour spielen?
Wir haben eine unfassbar lange Liste von Songs zusammengestellt. Und wenn wir auf die Bühne gehen, spielen wir eine Stunde und 45 Minuten lang unsere besten Songs und ein paar neuere Titel aus den vergangenen 23 Jahren. Es ist eine sehr schöne Mischung.
Sie haben drei Lead-Gitarristen in der Band, was sehr ungewöhnlich ist. Hat jeder von Ihnen einen eigenen Stil?
Wenn Sie sich einmal die Originalbesetzung von Lynyrd Skynyrd anschauen, dann werden Sie feststellen, dass es bei uns von Anfang an drei Lead-Gitarristen gab: Gary Rossington, Allen Collins und Ed King. Anschließend hatten wir eine Phase mit nur zwei Gitarristen, bis wir mit Steve Gaines wieder einen dritten Lead-Spieler gefunden hatten. Seine kleine Schwester hatte den Backgroundgesang übernommen. Auch mein jüngerer Bruder ist ein unglaublich guter Gitarrist. Er besuchte einmal eine Show von Lynyrd Skynyrd in Oklahoma, wo er herkommt. Die Band bat ihn auf die Bühne, und ohne jemals mit ihr geprobt zu haben, jammte er drauflos. Jeder Lead-Gitarrist, der jemals bei Lynyrd Skynyrd gespielt hat, hatte einen ganz eigenen Sound.
Sie waren ursprünglich der Schlagzeuger der Band. Wie wurden Sie Lead-Gitarrist von Lynyrd Skynyrd?
Ich war einer der ersten Drummer von Lynyrd Skynyrd und bin 1996 wieder eingestiegen – als dritter Lead-Gitarrist neben Gary Rossington und Hughie Thomasson. Als Hughie uns 2006 verließ und ein Jahr später verstarb, waren wir nur noch zu zweit. Aber dann fanden wir Mark Matejka, der bis heute bei uns spielt.
Wie haben Sie zu Ihrem Stil gefunden?
Ich spiele Gitarre seit meinem fünften Lebensjahr. Meine wichtigsten musikalischen Einflüsse sind Elvis Presley und die Beatles. Am liebsten mochte ich George Harrison. Und dann tauchte ein Typ in der Szene auf, der auf seiner Gitarre so was von explosiv spielte: Jimi Hendrix. Über ihn bin ich schließlich auf Jeff Beck, Eric Clapton und Cream gestoßen. Wenn man mich spielen hört, wird man viel von diesen drei Leuten heraushören. Ich bin sehr stark vom Delta Blues inspiriert, mein Großvater Shorty war ein Country-Blues-Mann. Ronnie van Zant, unser erster Sänger, hat uns oft zuhause besucht, weil er meinem Großvater so gern zuhörte. Das war seine Inspiration.
Haben Sie Jimi Hendrix live erlebt?
Ja, ich habe ihn sogar dreimal live gesehen. Das erste Mal sah ich ihn im Juli 1967 in Jacksonville in Florida im Vorprogramm der Monkees – ob Sie es glauben oder nicht. Und im November 1968 kam er zurück in unsere Stadt, um im Coliseum als Headliner aufzutreten. Das letzte Mal sah ich ihn 1969 auf dem Woodstock Festival.
Wie war der Jimi-Hendrix-Auftritt beim Woodstock-Festival?
Ich erinnere mich daran, wie ich in einem klatschnassen Schlafsack aufwachte, weil ich jemanden „Star Spangled Banner" spielen hörte. Ich stand auf und sah Jimi Hendrix auf der Bühne. Jeder Musiker, der in Woodstock war, wird Ihnen bestätigen, dass dieses Ereignis ihn für den Rest seines Lebens verändert hat.
Dieses Jahr jährt sich Woodstock zum 50. Mal. Wie fühlt sich das für Sie an?
Ich würde gerne auf der Jubiläumsveranstaltung spielen. Auf dem Gelände gibt es ein Amphitheater. Genau dort war 1969 die Bühne. Unser Drummer Michael hat mich dabei fotografiert, wie ich genau an derselben Stelle stand, wo ich als junger Mann Jimi Hendrix zugesehen habe. Das war sehr aufregend wegen all der Erinnerungen. In dem Moment hatte ich wieder den Lärm im Ohr, den das Woodstock-Publikum gemacht hat, als Hendrix und die anderen spielten.
Hat Woodstock Amerika bis heute verändert?
Natürlich! Die Rockbands, die in Woodstock spielten, hatten einen ganz neuen Stil. Natürlich ist das Festival Geschichte, aber die Musik von damals lebt noch.
Kulturpessimisten behaupten, Rock sei tot. Wie denken Sie darüber?
Hier in Amerika gab es früher Tausende Rockradiosender. Heute sind es nur noch ein paar Hundert. Rock-Pop, Country-Pop, Hip-Hop und Elektronik-Pop haben die Überhand gewonnen. Es gibt keinen großartigen Rock mehr in Amerika. Diese Musik zählt heute zum Underground. Insofern stimme ich Ihnen zu: Rock ist tot! Gitarristen wie Jimi Hendrix und George Harrison, die die Musik verändert haben, gibt es heute kaum noch. In den späten 70er-Jahren tauchte ein Typ namens Eddie Van Halen auf. Mit ihm hat sich die Rockmusik ein weiteres Mal verändert. Alle wollten plötzlich wie Eddie klingen.
Wer ist der Jimi Hendrix von heute?
Das ist die große Frage. Nennen Sie mir einen aktuellen Gitarristen, der so bedeutend ist wie Hendrix oder Van Halen. Ich weiß, dass Joe Bonamassa ein großartiger Musiker ist. Ich kenne ihn persönlich und respektiere ihn sehr. Ich habe ihn kennengelernt, als er 16 Jahre alt war und seine Wege sich mit meiner Band Blackfoot kreuzten. Aber mir fällt nicht ein einziger ein, der die Gitarrenmusik der Gegenwart verändert hat. Das sagt doch alles. Rock ist tot. Es ist eine Schande.
Wie fühlt es sich an, in der heutigen Zeit Rockmusik zu machen?
Für mich und die Band fühlt es sich nach wie vor gut an. Wenn ich auf die Bühne gehe, möchte ich, dass der Zuhörer mit jeder Faser seines Körpers spürt, dass wir noch am Leben sind. Und überhaupt werden unsere Songs länger leben als jeder Hip-Hop- und Country-Pop-Song. Das verspreche ich Ihnen.
Es gibt auch ein neues Biopic über Ihre Band: „Lynyrd Skynyrd: If I Leave Here Tomorrow". Was ist das Besondere an dieser Dokumentation?
In diesem Film sieht und hört man Gary Rossington. Er ist der einzige von der Gründungsbesetzung, der heute noch dabei ist. Der Film kommt ohne Animositäten aus. Ich komme auch darin vor und erzähle von meinem Großvater und meinen Einflüssen. Aber über Lynyrd Skynyrd wurde auch viel Bitterkeit ausgeschüttet. Bis heute verstehe ich nicht, weshalb manche Leute so negativ gegenüber Gary und Ronnie eingestellt sind. Aber eines weiß ich: Ich bin froh, dass es diesen Film gibt, in dem Gary Rossington seine Sicht der Dinge darstellt. Ich bin stolz, dass ich dabei sein durfte.
Wie wird man sich einmal an Lynyrd Skynyrd erinnern?
Als eine Band, die Grenzen verschoben und unverwüstliche, historisch bedeutende Musik kreiert hat. „Freebird" und „Sweet Home Alabama" sind Songs für die Ewigkeit. Ronnie Van Zant, Gary Rossington und Allen Collins haben vor 50 Jahren etwas Magisches erschaffen.
Sie sind Angehöriger des Stammes der Lakota Sioux und der Cherokee. Was bedeutet es Ihnen, Native American zu sein?
Nun, jetzt sprechen wir über Politik. Ich bin sehr stolz auf meine Herkunft. Meine Vorfahren sind die Ur-Amerikaner. Aber ich bin nicht besonders stolz auf die Art und Weise, wie die Ureinwohner von den restlichen Amerikanern behandelt wurden. Die Demokratische und die Republikanische Partei sind für den historischen Genozid an meinen Leuten verantwortlich. Viele ethnische Gruppen in den USA wollen für das, was ihnen in der Vergangenheit angetan wurde, entschädigt werden. Aber bevor man an sie Wiedergutmachungen zahlt, sollte man zuerst uns Ureinwohner berücksichtigen. Denn wir sind die ersten, die verfolgt wurden.
Sind Sie von der Musik Ihrer Vorfahren beeinflusst?
Absolut. Denn die Musik meiner Leute ist sehr rhythmisch. Der Produzent Stevie Salas hat 2017 die Dokumentation „Rumble. The indians who rocked the world" herausgebracht. Er ist selbst ein Apache. Der Film zeigt, wie indianische Musiker mit ihren rhythmischen Fähigkeiten schwarze amerikanische Künstler beeinflusst haben. Ich habe diesen Rhythmus in meinen Genen.