Beim Formel-1-Rennen im Spielerparadies Monte Carlo fiel die Kugel auf Silber. Lewis Hamilton hat im Mercedes den Monaco-Grand-Prix vor Sebastian Vettel gewonnen. Der Ferrari-Pilot sieht vor dem Kanada-Grand Prix jedoch Licht am Ende des Tunnels.
Endlich! Hin und wieder huschte ihm diesmal sogar ein Lächeln übers Gesicht. Wann sah man nach einem Formel-1-Rennen in dieser Saison schon einen (halbwegs) zufriedenen Sebastian Vettel? Und jetzt, nach „nur" einem zweiten Platz? Und ausgerechnet beim Lewis-Hamilton-Triumph des prestigeträchtigen Glanz-, Glamour-, Kult- und Klassiker-Rennens in Monaco. Um in dieser Liga ganz oben mitzumischen, ist der Ferrari derzeit noch nicht bereit. Aus eigener Kraft ist der SF90, so die Typenbezeichnung, noch nicht siegfähig. Aber die Freude über Platz zwei hinter Sieger Lewis Hamilton im Mercedes (dazu später) war nicht zu übersehen. Vettels Hochgefühl war greifbar und spürbar. Was aber dennoch suggeriert: Der viermalige Weltmeister hat mit Titel Nummer fünf im Visier fast schon abgeschlossen. Denn Fakt ist: Vettels bestes Saisonergebnis darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er und Ferrari von den Fehlern der Konkurrenz profitiert haben. Dazu steht der Heppenheimer auch ohne Wenn und Aber. „Das Ergebnis war ein gutes, das nehmen wir mit, aber wir hatten Glück. Ohne die Fehler der anderen hätte es für diesen Platz nicht gereicht." Der Monaco-Zweite war „zufrieden, aber nicht komplett zufrieden, zumal wir damit nicht rechnen konnten. Wir wissen ja, dass wir nicht schnell genug sind, um vorne mitzufahren. Da gibt Mercedes immer noch den Ton an." Genau auf dieser Erkenntnis reiten auch die italienischen Gazetten. So schrieb die „Gazetta dello Sport": „Vettels Auto erlaubt es ihm, nur die zweite Geige zu spielen." Der „Corriere dello Sport" stellt fast schon resignierend fest: „Einen Sieg Ferraris zu beanspruchen ist zu viel verlangt."
„Wir sind nicht schnell genug"
Dem Weltmeister-Team bescheinigte Vettel, dass sich selbst die Nachricht vom Tod ihres Oberaufsehers Niki Lauda fehlerlos auf die Truppe ausgewirkt habe. Mercedes habe perfekt im Sinne von Niki ihren Job gemacht. Vettel selbst versuchte sich als „Kommissar", um den Fehlern seiner Truppe auf die Spur zu kommen. Und zwar auf die Spur des „Grip-Kerls", wie er den Täter nannte. Soll heißen: Der „Kerl mit mehr Bodenhaftung" sei gesucht. Seinen Humor hat der Hesse trotz nicht zufriedenstellender Ergebnisse noch nicht verloren. Er freue sich auf die nächsten drei, vier, fünf Rennen. Man müsse das Auto natürlich weiter verbessern und für mehr Grip, also Bodenhaftung, sorgen, „damit man schneller werde. Aber diesen Kerl, der für die Bodenhaftung zuständig ist, zu finden, sei nicht einfach. „Er versteckt sich einfach", scherzte Vettel. „Wir suchen ihn schon seit einer Weile", meinte er. Und Vettel musste anerkennen: „Mein Ferrari ist durch die Kurven wegen fehlender Bodenhaftung der Reifen nicht schnell genug. Die Überlegenheit auf den Geraden reicht nicht aus, um die übermächtigen Silberpfeile zu bezwingen." Aus dem „nicht ganz zufriedenen" Ex-Weltmeister sprudelt es weiter nur so heraus: „Wir sind immer noch nicht da, wo wir sein wollen. Aber wir arbeiten in die richtige Richtung und mit Hochdruck daran, die Lücke nach vorne zu schließen und den Spieß möglichst bald umdrehen zu können, damit der Saisonverlauf nicht so langweilig wird wie in den vergangen Jahren." Ein Satz, der zu verstehen gibt: Wir geben nicht auf, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Große Hoffnung setzt der italienische Rennstall auch auf seinen Jungstar Charles Leclerc. Selbstbewusst ist er. Talentiert ist er. Siegreich ist er in seinem zweiten Formel-1-Jahr noch nicht. Auf seiner Homepage preist er sich als „frühreifen Champion mit einem atemberaubenden Talent." Ähnlich bescheiden geht die Aufzählung weiter. Er demonstriere eine überwältigende Bandbreite an Fähigkeiten. Bei seinem Heimrennen wollte Leclerc seine Fähigkeiten erst recht zeigen. Der 21-jährige waschechte Monegasse spielte bei seinem zweiten Formel-1-Rennen in seiner Geburtsstadt neben Sieger Hamilton eine der Hauptrollen. Und dafür hatte der Lokalmatador sich so viel vorgenommen. Doch am Ende war die Enttäuschung groß. Wie kam es dazu? Seine Ferrari-Strategieabteilung (die Fahrer haben da nix zu sagen) hatte ihrem Hoffnungsträger die Zeitenjagd am Samstag für die Startaufstellung am Sonntag völlig vermurkst. Gefrustet und mit dickem Hals stürzte sich der Monegasse von Platz 15 in seinen Heim-Grand-Prix. Zuvor hatte er angekündigt: „Ich werde jedes Risiko eingehen und Unfälle in Kauf nehmen." Und es sollte sich bewahrheiten. Nach nur acht Runden fetzte er sich mit Renault-Pilot Nico Hülkenberg in der engen Rascasse-Kurve. Es kam zu einem folgenschweren Kontakt. Bei diesem Manöver schlitzte sich Leclerc den rechten Hinterreifen auf. Nach nur zehn Runden musste der Lokalmatador seinen Ferrari abstellen – und aus der Traum vom (ersten) Heimsieg.
Leclerc feiert sich als Champion
Unbeeindruckt von Scharmützeln und Kontakten der unangenehmen Art, die ihn ablenken konnten, spulte Hamilton an der Spitze eiskalt und nervenstark seine Runden ab. Und in jeder sich dem Ende nähernden Runde spürte der abgebrühte Hamilton den Atem seiner Verfolger. Es war eine Augenweide, ein Genuss in Vollendung zu sehen, wie der fünfmalige Champion die wilden Attacken des „Jungbullen" Max Verstappen im Red-Bull-Boliden souverän abwehrte. Später schilderte Hamilton seine Gefühle. Diese hätten in ihm Purzelbaum geschlagen. „Auf den Reifen war absolut nichts mehr drauf, und es war unglaublich schwierig, das Fahrzeug auf der Strecke zu halten. Dann dachte ich mir: „Was würde wohl Niki machen?" Ich gab mein Bestes, einfach alles. Ich versuchte, voll konzentriert zu bleiben und keine Fehler zu machen", gestand der Rennfürst von Monaco. Er habe seinen Freund Niki nicht enttäuschen wollen. „Ich wusste, dass er mir zusehen würde, aber mit Niki an meiner Seite haben wir den Sieg geschafft", bekannte Hamilton. Der Sieg, der 77. in seiner Formel-1-Karriere, „war der am härtesten umkämpfte. Es war das härteste Rennen das ich je gefahren bin, einfach nur unheimlich hart. Noch nie hatte ich mit einem Auto so zu kämpfen", ereiferte sich der Sieger nach der Zieldurchfahrt. Sein dritter Monaco-Triumph und vierter Saisonsieg seien ein „Wunder" gewesen. „Und mein hartnäckigster Herausforderer war nicht Vettel, sondern Verstappen", gestand Hamilton. Die Angriffe des Niederländers blieben letztlich unbelohnt. Wegen einer Rangelei mit Hamiltons Teamkollege Valtteri Bottas in der Boxengasse bekam „Rabauke" Verstappen eine Fünf-Sekunden-Strafe aufgebrummt und wurde von Platz zwei auf Rang vier hinter Bottas zurückversetzt.
Falsche Reifenwahl
Für Sportchef Toto Wolff bedeutet Hamiltons Sieg „sehr viel". Emotionsgeladen sagte der Österreicher: „Dieses Ergebnis war eine weltmeisterliche Leistung für einen Weltmeister, der leider nicht mehr unter uns weilt. Das Rennen hätte nicht dramatischer verlaufen können. Entsprechend bin ich erleichtert, dass es vorüber ist. Lewis hat heute in einem wahnsinnig hart umkämpften Rennen gegen Max (Verstappen. Anm. d. Red) fantastische Arbeit abgeliefert. Rückblickend wissen wir, dass die Reifenwahl bei Lewis die falsche war. Da haben wir einen Fehler gemacht. Eigentlich hätte es soweit überhaupt nicht kommen dürfen", übte Wolff Selbstkritik.
Nach ihrem Auftritt an der Côte d’Azur mit einer anfänglich wenig aufregenden Prozessionsfahrt zieht die Formel 1 nun munter weiter – über den „großen Teich" nach Montreal in Kanada (20.10 Uhr RTL/Sky). Auf der 4,361 Kilometer kurzen Hochgeschwindigkeitsstrecke können die Voraussetzungen ganz anders sein als im Fürstentum. Für Ferrari ist das möglicherweise die Chance, eine Trendwende herbeizuführen. Hamilton aber wird unbeirrt auf seinen sechsten WM-Titel zusteuern. Nach sechs von 21 Rennen hat er 137 Punkte eingefahren. Zweiter ist Bottas mit 120. Auf Vettel (3.) und Verstappen (4.) beträgt der Vorsprung bereits 55 beziehungsweise 59 Punkte. Das sind mehr als zwei Siege. Und bei den Konstrukteuren steht es zwischen Mercedes und Ferrari sogar 257:139.