Der SC Paderborn ist zurück. Dass dies ein Wunder ist, wird dem Ganzen nicht gerecht. Der Verein war eigentlich sportlich und finanziell ruiniert – spielt nächstes Jahr aber im deutschen Oberhaus.
Wasserfontänen, ein roter Teppich und etwa 200 Fans. Das erwartete die Kicker des SC Paderborn, als der Mannschaftsflieger des frisch gebackenen Erstligisten in Paderborn landete. „Das war ein prächtiger Empfang", sagte Martin Hornberger, Geschäftsführer des ostwestfälischen Vereins und fügte mit einer gewissen Selbstironie an: „Wie bei den ganz Großen." Rein von der Ligazugehörigkeit ist Paderborn jetzt auch wieder einer der Großen. Die Gegner in der neuen Saison werden Bayern München sein, Borussia Dortmund oder Eintracht Frankfurt. So hießen die Gegner bereits 2014. Da spielte der SCP auch schon in der deutschen Eliteklasse, war zwischenzeitlich sogar Tabellenführer – nur um dann doch wieder direkt abzusteigen. Selbst der Aufstieg war damals schon ein Wunder. Wer aber einen genauen Blick auf die jüngere Geschichte des Vereins wirft, wird nicht darum herumkommen, dass es dieses Mal viel mehr als ein Wunder ist.
Vor genau zwei Jahren war der Club klinisch tot, drohte in der Versenkung zu verschwinden. Der SCP war nicht nur im freien Fall, es schien, als wäre er bereits ganz unten angekommen. Aber der Reihe nach: Nach dem Abstieg aus der ersten Liga, folgte im darauffolgenden Jahr der Abstieg in die Zweite. Nach einem kurzen Gastspiel von Stefan Effenberg als Trainer ging es dann noch eine Etage tiefer in die Dritte Liga. Erneute zwölf Monate später hätte es sogar in die vierte Liga gehen müssen. „Wir waren auf der Intensivstation, und der Bestatter war schon unterwegs", erinnert sich Hornberger, der damals, am 18. Mai 2017, gemeinsam mit etwa 100 verzweifelten Anhängern vor dem Paderborner Rathaus stand. Der dritte Abstieg in Folge war perfekt, es drohte die Zahlungsunfähigkeit. Es wurde demonstriert und gehofft, dass der Rat der Stadt dem Verein zumindest eine Stundung bei der Rückzahlung von Verbindlichkeiten gewähren würde. Doch die Ratsherren, die sich in den erfolgreichen Jahren ausgiebig im Glanz des Vereins gesonnt hatten, blieben hart.
In Gedanken bei Wilfried Finke
Die Rettung kam dann aus dem Nichts. Zwei Wochen später, als alle sich schon auf die Vierte Liga eingestellt hatten, verzichtete 1860 München darauf, eine Lizenz für die dritthöchste Spielklasse zu beantragen. Investor Hasan Ismaik hatte sich nach jahrelangem Gezänke mit dem Verantwortlichen des Clubs geweigert, die nötige Millionen-Zahlung zu leisten, um den Spielbetrieb zu finanzieren. Nur deshalb durften die Paderborner trotz des sportlichen Abstiegs auch in der Saison 2017/18 in der Dritten Liga spielen. Sie bekamen nach einem bemerkenswerten Niedergang – auch das viel beachtete Trainer-Engagement von Stefan Effenberg war im Desaster geendet – doch noch eine Chance. „Deshalb bin ich in Gedanken jetzt auch bei Wilfried Finke", sagte Hornberger und gedachte eines Mannes, ohne den es den Verein schon lange vor jenem dramatischen Sommer 2017 nicht mehr gegeben hätte. Finke, der langjährige Präsident und Förderer des Vereins, verstarb im Januar. Zuvor bildete er den Grundstein dafür, dass in der Dritten Liga ein neuer Anlauf genommen werden konnte. Der charismatische Unternehmer, der neben dem Stadion sein Möbelhaus betrieb, hatte über 20 Jahre für den Verein Verantwortung übernommen und viel Geld und Herzblut investiert. Dabei wollte er eigentlich kürzertreten, als sich sein Lebenstraum 2014 erfüllte – den SC Paderborn in der Bundesliga zu sehen. In der höchsten Not und der schwärzesten Stunde des Vereins war er dennoch zur Stelle und half seinem Verein. „Wenn er uns damals fallen gelassen hätte, würden wir heute nicht hier stehen", sagt Hornberger. Finke sorgte nicht nur dafür, dass die Finanzierung des Sanierungsplans gesichert wurde, sondern traf auch eine Personalentscheidung, die sich als richtungsweisend herausstellen sollte: Er machte den langjährigen Paderborner Profi Markus Krösche zum Geschäftsführer Sport. Der wiederum verpflichtete Steffen Baumgart als Trainer. Krösche kannte den Verein als Spieler in- und auswendig und entwickelte daraufhin ein Konzept. Das Profil der Spieler, die für den Verein in Frage kamen, war klar: bezahlbar und entwicklungsfähig. Spielmacher Philipp Klement kam aus der Zweiten des Bundesligisten Mainz 05, Sebastian Vasiliades aus Aalen und Kai Pröger aus der fünften Liga – damals noch Rot-Weiß Essen. Spieler aus unterklassigen Vereinen und Talente aus dem eigenen Nachwuchsleistungszentrum bildeten die Mischung, aus denen Baumgart eine Mannschaft formte.
„Er ist absolut authentisch und kann unsere Spielidee perfekt vermitteln", beschreibt Krösche den Trainer, dem auf Anhieb der Aufstieg in die Zweite Liga gelang – und nun sogar der Durchmarsch ins Oberhaus. Der Fußball, den der ehemalige Bundesligastürmer von Hansa Rostock spielen lässt, besticht vor allem durch Stringenz und Klarheit: mutiges Auftreten, aggressives Pressing und schnelles Umschalten. Im Gegensatz zu vielen anderen Zweitligisten ist in Paderborn eine klare Philosophie zu erkennen. „Mich freut besonders, dass wir in diesem Jahr für unseren offensiven Fußball gelobt werden. Wir werden ernster genommen als bei unserem ersten Bundesligaaufstieg", sagt Hornberger. Damals wären in erster Linie Klischees bemüht worden: „Da war die Rede von dem Provinzverein, wo die Kühe neben dem Stadion grasen", sagte er. Was allerdings auch nicht völlig falsch war. Steffen Baumgart hat diesem Verein ein Gesicht gegeben, zumindest ein fußballerisches. In einem Interview mit dem Magazin „11 Freunde" wurde zudem klar, dass Baumgart ein durchaus kantiges Profil aufweist: „Wenn ich sehe, dass Kollegen erzählen, sie haben in den ersten 45 Minuten das System fünfmal umgestellt, muss ich an mich halten", sagte er. Ähnlich tritt seine Mannschaft auf: klar und schnell nach vorne.
Budget auf 22 Millionen Euro erhöht
Ihre Außenseiterrolle können und wollen sie in Paderborn auch gar nicht leugnen. Die herausragenden Akteure der beiden Aufstiegsjahre wie Klement und Pröger stehen längst auf dem Wunschzettel größerer Clubs – was zudem nicht nur für die Spieler gilt. Auch Krösche, der entscheidende Architekt, wechselt wohl Anfang Juli zum Brauseklub aus Leipzig. Zuletzt waren die Ablösemodalitäten noch zu klären. Schalke 04 war bereits interessiert, nun hat RB Leipzig aber den Zuschlag bekommen. Vor einem Jahr wollte sogar der HSV Krösche verpflichten, Finke forderte aber 2,5 Millionen Euro und konnte dieses Angebot noch abwehren. Diesmal legt Krösche zum Abschluss zumindest den Grundstein für die neue Saison. Sein Nachfolger steht bereits in den Startlöchern, der bisherige Kaderplaner Martin Przondziono soll übernehmen, wenn Krösche Ende Juni wirklich sein Büro räumt. Das Budget wird von 6,5 Millionen Euro auf 22 Millionen erhöht – es ist der mit Abstand niedrigste Erstliga-Etat der kommenden Saison. Dass sie damit als erster Abstiegskandidat gehandelt werden, ist den Paderbornern bewusst – doch es ist ihnen egal.
Anstatt sich über ein möglich schweres nächstes Jahr Gedanken zu machen, leben sie in Paderborn eher den Moment. Die Spieler ließen sich auf dem Rathausplatz feiern, feierten intern bis in die Morgenstunden. Danach ging es auf die Abschlussfahrt – klassisch nach Mallorca. Zudem trugen alle Spieler ein Riemann-Trikot. Der Torwart des VfL Bochum hielt gegen Paderborns Konkurrenten Union Berlin alles und sicherte so den Aufstieg des SCP – trotz eigener Niederlage. In Mallorca schließt sich dann ein Kreis. Mallorca war die Lieblingsinsel des verstorbenen Wilfried Finke. Dieser liebte diesen Verein und stand ihm immer zur Seite. Zudem legte er den Grundstein für die letzten Aufstiege – mit seiner Hilfe in der Dritten Liga. „Ich bin ganz sicher, dass er uns aus dem Himmel zuschaut und ein Fässchen aufmachen wird", sagte Hornberger.