Nach zahlreichen zweiten Plätzen in der Berlin-Liga holt der SV Tasmania die Meisterschaft und spielt erstmals seit 20 Jahren wieder überregional.
Touristen und auch Einheimische auf dem Kurfürstendamm oder vor dem Brandenburger Tor dürften etwas ratlos gewesen sein angesichts der Feiergesellschaft auf dem offenen Sightseeing-Bus. Der guten Stimmung bei Spielern, Verantwortlichen und Fans des SV Tasmania Berlin tat das auf der „Meistertour" im eigens gecharterten Vehikel Anfang Juni aber keinen Abbruch – eher im Gegenteil. Auch die vorausgegangene 2:4-Niederlage am letzten Spieltag beim SV Empor war auf der Rundfahrt längst kein Thema mehr. Denn Platz eins und den damit verbundenen Aufstieg in die NOFV-Oberliga Nord hatten die Neuköllner bereits vorher gesichert. Viel wichtiger als das Ergebnis an diesem Nachmittag also war die Ehrung inklusive Pokalübergabe für den „Berliner Meister 2019".
Die Bundesligasaison 1965/66 hat dem Verein nachhaltig geschadet
Aber: Tasmania – da war doch was …? Genau, das ist der Verein, der bis heute den Negativrekord der Fußball-Bundesliga hält: 1965/66 hatte man sich bereit erklärt, den durch Zwangsabstieg von Hertha BSC vakanten Platz (dem im Grunde nur ein Politikum und keine sportliche Qualifikation zugrunde lag) einzunehmen. Resultat des „Abenteuers" im Oberhaus: die bis heute wenigsten erzielten Treffer (15), die meisten Gegentore (108) sowie – überflüssig zu erwähnen – die wenigsten Zähler (acht; nach Drei-Punkte-Wertung wären es auch nur zehn gewesen). So „kultig" diese Zahlen mittlerweile sind und diese bis heute regelmäßige Erwähnungen sichern: Eigentlich hat jenes Bundesligajahr dem Verein nachhaltig geschadet. Denn der SC Tasmania 1900, so der ursprüngliche Name, ging 1973 bankrott. Der seinerzeit neu gegründete SV Tasmania ist also eigentlich ein Nachfolgeverein des „Kultclubs". Und trotz aller Bekanntheit verlor sich die Spur für viele im unterklassigen Fußball – überregional spielte man zuletzt vor 20 Jahren. Die Talfahrt ging zwischenzeitlich hinunter bis in die achtklassige Bezirksliga, der Traum zumindest von der Oberliga aber blieb. Zwischen 2003 und 2007 verpasste man den Sprung allerdings viermal als Zweiter denkbar knapp. Nach Rückkehr in die Berlin-Liga reichte es 2014 wieder nur für die Vizemeisterschaft – und als es im folgenden Jahr ausnahmsweise zwei Aufsteiger gab, Tasmania aufgrund des schlechteren Torverhältnisses aber nur auf Platz drei einlief, war der Ruf der „Unaufsteigbaren" endgültig zementiert. Mit Tennis Borussia kehrte damals ein anderer Traditionsverein auf die überregionale Bühne zurück, der FC Hertha 03 hatte es zuvor bereits geschafft und Blau-Weiß 90 folgte 2018. Nur auf Tasmania wartete man offenbar vergeblich.
Vor dieser Spielzeit gehörten die Neuköllner zwar einmal mehr zum erweiterten Kreis der Titelanwärter: Topfavorit allerdings war Eintracht Mahlsdorf, wo seit Jahren mit einem weitgehend festen Spielerstamm und punktuellen Verstärkungen gearbeitet wird. Doch der Vizemeister der beiden Vorjahre musste sich überraschend bereits in der Hinrunde aus dem Titelrennen verabschieden. „Vorne" hatten sich der SV Sparta, der SFC Stern 1900 sowie der Berliner SC in Position gebracht. Und Tasmania? Verlor seine ersten drei Saisonspiele gegen eben jene Gegner und lief der Musik zunächst hinterher. Bis zur Winterpause jedoch arbeitete sich das Team von Trainer Tim Jauer, der auch in der schwierigen Startphase weiter das Vertrauen des Vorstands besaß, auf den zweiten Platz vor. Sparta aber lag zu diesem Zeitpunkt immer noch fünf Punkte voraus und präsentierte sich in bestechender Form. Schon in der Rückrunde der vergangenen Spielzeit hatten die Lichtenberger als Aufsteiger mit 14 Siegen ihr Potenzial bewiesen. 2018/19 wurde die Mannschaft, deren Trainer Dragan Kostic gern offensiv spielen lässt, nun zu dem Meisterschaftskandidaten, den es für die Konkurrenz zu überwinden galt. Für Stern und den BSC, das stellte sich spätestens zu Beginn der Rückrunde heraus, war Sparta schon mal eine Nummer zu groß. So lief alles auf einen spannenden Zweikampf um Platz eins mit dem SV Tasmania hinaus.
Die „Torfabrik" aus Lichtenberg (am Ende 110 Treffer) um Schützenkönig Sanid Sejdic (35 Tore) konnte zu Beginn der Rückserie allerdings nicht jedes Mal mehr treffen, als man selbst hinnehmen musste. Das eine oder andere Unentschieden ließ den Vorsprung langsam dahinschmelzen, und Ende März holte sich Tasmania durch den Sieg im Nachholspiel bei den Füchsen Berlin Reinickendorf erstmals die Tabellenführung. Doch nur zwei Runden später sorgte ein „Ausrutscher" für einen erneuten Wechsel an der Spitze: Nach elf Dreiern in Folge kamen die Neuköllner gegen Abstiegskandidat Spandauer Kickers nur zu einem 2:2. Das direkte Duell beider Meisterschaftskandidaten Ende April schien nun den Ausschlag geben zu müssen. Trotz mehr als einer Stunde in Unterzahl zeigte sich Tasmania bei Sparta als das reifere Team und ging zweimal in Führung, konnte den Ausgleich zum 2:2 in der Nachspielzeit aber nicht verhindern. Somit hatte man Meisterschaft und Aufstieg nicht mehr selbst in der Hand – und der leidgeprüfte Neuköllner Anhang eine erneute Vizemeisterschaft mehr als lebendig vor Augen. Doch dieses Mal sollte es anders kommen: Sparta erlebte in der 31. Runde beim 1:4 gegen Al-Dersimspor (die erste Pleite nach 24 Partien) einen schwarzen Tag und musste Tasmania erneut passieren lassen. In der Drucksituation am 33. Spieltag – der Rivale hatte tags zuvor bereits einen Sieg vorgelegt – verlor Sparta auch bei Türkiyemspor (0:4) und die anwesenden Spieler, Fans und Verantwortlichen von Tasmania konnten schon einmal spontan Titel und Aufstieg feiern.
Den Stamm um Torwart Schelenz, die Verteidiger Bähr, Loder und Kirli oder die Mittelfeld-Asse Demir, Robrecht und Thiele wird man auch für die Oberliga halten können. Während Außenbahnspieler Engelhardt in letzter Sekunde auch noch zusagte, folgt aber der auf der rechten Seite stark aufgetretene Babaev dem Ruf von Berlin United. Und auch Torjäger Romario Hartwig (30 Saisontore) bleibt nur noch auf Zeit: Nach Abschluss seiner Ausbildung wechselt er im Winter zurück zu Regionalligist VSG Altglienicke. Passender Ersatz tut also not an der Oderstraße – aus der Vergangenheit aber konnte man dort zumindest eine Lehre ziehen: Man gibt kein Geld mehr aus, das man (noch) nicht hat.