Lena Meyer-Landrut hat Millionen Follower auf ihren Social-Media-Kanälen. Ihr fünftes Album heißt „Only Love, L". Die gebürtige Hannoveranerin hat eine persönliche Krise in tanzbare Rhythmen mit positiven Botschaften verwandelt. Im Interview spricht die 28-jährige Sängerin, Schauspielerin und Moderatorin über Liebe, Schmerz und Missverständnisse.
Lena, „Only Love, L" ist Ihr fünftes Album. Haben Sie das Gefühl, sich als Künstlerin zu 100 Prozent verwirk-lichen zu können?
Tja, das ist im Grunde genommen eine Fangfrage. Ich würde nicht sagen, dass dieses Album alles umfasst, aber ich kann mich damit für den Moment zu 100 Prozent identifizieren.
Worauf haben Sie bei dem Album besonderen Wert gelegt?
Ich habe schon vor dreieinhalb Jahren angefangen, an dem Album zu schreiben. Als es fast fertig war, habe ich es weggeschmissen, weil ich mich damit nicht wohl gefühlt habe. Ich hatte die eine oder andere persönliche Krise, und das Album hatte auf einmal keinen authentischen Boden mehr. Nach einer Auszeit habe ich wieder angefangen, und es wurde mir klarer, worum es auf dem Album gehen soll.
Worum denn?
Um meine Geschichte und meine Gefühle. Ich habe gemerkt, dass es für mich wichtig ist, zu mir selbst zurückzufinden und authentisch handeln zu können. Ich habe dann über Themen geschrieben, über die ich noch nie geschrieben habe.
Welche Themen sind das?
Zum Beispiel über Autobiografisches und über echte, tiefe Gefühle. Über Veränderungen, die ich durchmache und sehr private Gedanken.
In welcher Stimmung haben Sie den berührenden Song „Private Thoughts" geschrieben?
Ich war in LA in einem kleinen Studio mit zwei Songschreibern. Dort herrschte eine ganz angenehme Stimmung, und wir konnten uns schnell darauf einigen, worüber wir einen Song machen wollten. Aber so was kann auch in die Hose gehen, weil man sich nicht vor jeder Person sofort öffnen kann. Deswegen genieße ich es auch, dass ich hier in Berlin eine absolute Sicherheit mit meinen Jungs und meinem vertrauten Produzententeam habe.
„Only Love, L" lautet Ihre Signatur, weil Sie der Meinung sind, dass man alles mit Liebe abschließen sollte. Haben Sie als Künstlerin einen poetischen Blick auf die Liebe?
Mein Blick auf die Liebe verändert sich auf jeden Fall immer, weil er vom Moment abhängig ist. Es gibt familiäre, platonische und romantische Liebe; für mich war in den letzten Jahren die Selbstliebe super wichtig. Ich bin ein Fan davon, offen und transparent zu sein.
Wie schlimm war die Krise, in die Sie hineingeschlittert waren?
Es war ermüdend. Ich war bedrückt und traurig. Der Spaß und die Freude an den Dingen stand bei mir nicht mehr im Vordergrund. Irgendwann habe ich die Reißleine gezogen, weil eine grundsätzliche Unzufriedenheit bei mir herrschte.
Hat die Musik Sie aus dem Tief wieder herausgeholt?
Mich hat herausgeholt, dass ich gern das nächste Kapitel in meinem Leben anfangen wollte. Die Musik hat mir dabei definitiv geholfen. Mit ihrer Hilfe konnte ich meine persönlichen Themen verarbeiten – und damit auch ruhen lassen.
Sie singen auf dem aktuellen Album über Liebe, Aufrichtigkeit und Verständnis – anderen und vor allem aber sich selbst gegenüber. Fühlen Sie sich bei sich selbst und musikalisch angekommen?
Ich wurde durch eine Castingshow in die Branche hineingeworfen. Und jetzt habe ich mich gefragt, welches die Daseinsberechtigung für dieses Album ist. Wer bin ich, und womit bin ich glücklich? Nach ein bisschen Abstand von allem habe ich gespürt, dass mir die Musik noch immer sehr viel Energie gibt. Es ist für mich kein Beruf, sondern Berufung. Durch die Musik habe ich gemerkt, dass es meine Bestimmung ist, für einige Menschen Sprachrohr zu sein. Das macht mich total happy.
Fühlen Sie sich als Künstlerin verstanden?
Ich glaube, man fühlt sich nie so richtig verstanden, weil es immer mindestens 18 verschiedene Meinungen über einen gibt. Ich kriege immer sehr viel Feedback. Ich fühle mich in dem Sinne verstanden, als dass ich mich im Moment wohl fühle. Mehr kann ich nicht machen. Ich kann nicht erwarten, dass das, was ich ausdrücken will, auch bei jedem Hörer ankommt. Eine Person des öffentlichen Lebens ist eine Projektionsfläche. Jeder sieht in ihr das, was er gerade braucht. Ich fühle mich von mir selbst verstanden, weil ich den Mut besitze, so ein ehrliches Album herauszubringen.
Welches ist das größte Missverständnis, das in der Öffentlichkeit über Sie existiert?
Da gibt es so einige. Am meisten berührt mich die Voreingenommenheit, dass ich zickig und arrogant sei. Das habe ich aber gar nicht in mir! Ich habe mir in letzter Zeit viele Gedanken darüber gemacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich mich in der Vergangenheit wahrscheinlich so verhalten habe.
Warum haben Sie das getan?
Die ganze Resonanz ist mir irgendwann über den Kopf gewachsen. Dieses ständige Feedback hat mich so sehr berührt, dass ich einen Schutzmechanismus aufgebaut habe. Diese Wand um mich herum sollte mich davor schützen, dass ich mir das ganze Feedback zu Herzen nehme. Diese Wand hat mich aber auch von anderen Menschen energetisch abgeschottet, weshalb ich manchmal kühl, genervt und gereizt war.
Und heute?
Ich bin froh, dass ich diese Wand aufbrechen konnte!
Sie bespielen die verschiedensten sozialen Medien. Lesen Sie die ganzen Kommentare auf Ihren Internetseiten?
Es ist nicht zuträglich, sich zu viel durchzulesen. Das ist gefährlich, weil man sich damit selbst vergiftet. Ich bin sehr aktiv im Netz, das heißt aber nicht, dass ich mir immer alle Kommentare durchlese.
In „Thank you" beschreiben Sie, wie Sie die Hass-Kommentare und die Kritik an Ihrer Person während Ihrer Auszeit von der Musik verarbeitet haben. Ist das Ihre Art, mit Mobbing umzugehen?
In dem Song bedanke ich mich bei all dem, was mir an Schlechtem so passiert ist. Auf diese Weise kann ich gelassener durchs Leben gehen. Ich sehe die Momente, in denen es mir schlecht ging, und benutze sie, um daraus zu lernen. Sie sind für mich ein Wendepunkt, ein Neustart.
Ihre letzte Tour hieß „End Of Chapter One". Beginnt für Sie jetzt ein neues Kapitel?
Ich würde sagen, das zweite Kapitelchen hat jetzt angefangen. Vielleicht bin ich aber auch schon bei drei oder vier. Ich habe in den letzten anderthalb Jahren gleich ein paar Phasen durchgemacht.
Also ein ganz neues Lebensgefühl?
Ich fühle mich gut. Ich würde es aber nicht explizit als mein neues Lebensgefühl bezeichnen, sondern einfach als Entwicklung. Man ist ständig im Fluss.
An wen richtet sich der Song „Don’t Lie To Me"?
Der Song beschreibt eine private Situation, die mir passiert ist und die ich auf diese Weise verarbeite. Ich möchte damit das ganze Lügenthema von einer anderen Seite beleuchten.
Was haben Sie über das Lügen herausgefunden?
So einiges. Eine Lüge kann man nie pauschal als Lüge bezeichnen. Es kommt immer auf die Situation an. Man muss jedes Puzzleteil einzeln betrachten. Für mich hat sich herausgestellt, dass ich ein Mensch bin, der nicht nachtragend ist. Man kann mit Menschen immer wieder neue Ebenen schaffen. Auch andere verändern sich ja.
Macht ein gebrochenes Herz kreativ?
(lacht) Jedes Gefühl macht kreativ, vor allem, wenn man aufmerksam ist und Gefühle wie Schmerz und Freude sofort aufschreibt. Andernfalls würde man sie ganz schnell wieder vergessen.
Sind Künstler sensibler als „normale" Menschen?
Das würde ich so nicht sagen. Viele Menschen, die keine Künstler sind, sind hochsensibel. Aber Sensibilität führt vielleicht dazu, dass ein Künstler sich viele Stunden des Tages mit sich selbst beschäftigt. Dadurch denkt er mehr über seine Emotionen nach und wird höchstwahrscheinlich auch sensibler für andere Emotionen.
Wie viel sind Sie bereit, von sich preiszugeben?
In der Musik kann ich viel offener sein als in Interviews. Wobei ich finde, dass ich da auch schon sehr offen bin, was meine Person angeht. Vorletztes Jahr habe ich zum Beispiel einen autobiografischen Song über meinen Vater veröffentlicht, „If I Wasn‘t Your Daughter". Fragen zu meinem Vater sind mir zu intim, die möchte ich nicht beantworten. Aber in meiner Musik kann ich mir erlauben, meine Emotionen zu besingen.
Wenn Sie neue Musik schreiben, versuchen Sie dann, das Alte so weit wie möglich von sich wegzuschieben?
Nicht aktiv. Ich versuche immer, den Moment zu betrachten. Der erste Song auf dem Album ist ein Brief an mich selbst. Das hätte ich gern gelesen, als ich 18 Jahre alt war. Am Ende der Songwriting-Session hat Joe Walter mich gefragt, ob ich den Brief abschicken würde. Da sagte ich: „Auf keinen Fall!" Denn dann wären ja alle Erfahrungen meines Lebens für die Katz‘ und alles wäre einfacher gewesen. Es hatte schon alles seine Richtigkeit.
Wie hart muss man arbeiten, um sich im Musikgeschäft auf Dauer zu halten?
Man muss schon arbeiten! Man ist nicht irgendwo, weil man Glück hatte. Man kann zwar zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, aber das hält sich nicht über neun Jahre. Um die Frage zu beantworten: Ich arbeite viel. Ich war über Silvester im Urlaub, und mein nächster richtiger Urlaub wird wieder über Silvester stattfinden. Ich habe keine Wochenenden und keine festen Arbeitszeiten, aber es ist ja auch mein Leben. Eigentlich arbeite ich immer.
Wie würden Sie Ihren Ton, Ihre Persönlichkeit beschreiben?
Ich fühle mich offen und weich und voller Energie und Freude.
Lena – „Only Love"-Tour:
Freitag, 21. Juni, 19 Uhr
Stuttgart, Im Wizemann
Sonntag, 30. Juni, 20 Uhr
Berlin, Kesselhaus