Stammgäste auf dem Dach

Im brandenburgischen Linum sind Störche und Kraniche ständig vor Ort – Natur für alle live zum Erleben im Dorf der Vögel.

Am 25. März setzte in diesem Jahr das erste Storchenmännchen zum Landeanflug auf Linum an. Zwei Tage später folgte die Dame seines Herzens – und dann ging es Schlag auf Schlag: Bald waren die meisten Horste auf Dächern, Kaminen und Telefonmasten besetzt.

Die Störche haben Linum fest im Griff. Um die 15 Storchenpaare brüten Jahr für Jahr in dem Dorf in der Ostprig­nitz und haben es damit zu einer überregionalen Touristenattraktion gemacht.

Wenn die großen Vögel aus Afrika zu ihren Nistplätzen in Linum zurückkehren, haben die meisten von ihnen eine Flugstrecke von mehr als 10.000 Kilometern hinter sich. In der Regel fliegen die Männchen voraus, um das Nest aus dem Vorjahr zu besetzen. Und ganz wortwörtlich gehört bei den Störchen Klappern zum Handwerk: sowohl zur Nestverteidigung als auch zur Balz. Die Treue, die vielen den Störchen zuschreiben, bezieht sich im Übrigen nicht notwendigerweise auf den Partner, sondern auf den Horst. Zu dem kehren die männlichen Exemplare Jahr für Jahr zurück. Ob sie dort aber mit derselben Partnerin wie im Vorjahr einziehen, hängt vom Erfolg des erneuten Liebeswerbens ab.

Linum liegt in der feuchten Niedermoorlandschaft des Rhinluches – und ist damit ein idealer Ort für die Störche. Hier finden die Fleischfresser auf den Feuchtwiesen, in den Sumpfgebieten und am Rande der zahlreichen Teiche Nahrung: Frösche, Mäuse und auch Fische – alles ist reichlich vorhanden. Die Teiche sind nichts anderes als mit Wasser vollgelaufene Torfabbauflächen. Vor 200 Jahren wurde in Linum nämlich besonders hochwertiger Torf gestochen, den man auf Kähnen nach Berlin brachte. Der ­Torfabbau bescherte Linum damals eine Blütezeit, mehr als 2.000 Menschen lebten ehemals hier, dreimal so viele wie heute. Wer etwas über Störche erfahren möchte, besucht die Storchenschmiede. Das große Infozentrum des Naturschutzbundes (Nabu) liegt mitten im Dorf. Sobald sich im Nest auf dem Dach ein Storchenpaar eingenistet hat, wird das Geschehen per Livekamera nach unten in die Ausstellungshalle übertragen.

Jährlich mehr als 40.000 Besucher

In der Storchenschmiede informiert man auch über Kraniche, und das hat auch seinen Grund: Denn was den Störchen im Sommer recht ist, ist Kranichen im Frühjahr und Herbst billig. Die bis zu 1,30 Meter großen Vögel legen in der Umgebung von Linum gerne Rast ein auf ihrem Weg gen Norden oder Süden. Inzwischen ist der Ort der größte Binnenrastplatz Europas: Mehr als 70.000 Tiere legen hier einen Futterstopp ein, bevor sie weiterziehen.

Ebenso wie den Störchen bietet die Region auch den Kranichen ideale Bedingungen. Als Pflanzenfresser sind die Vögel zwar nicht an den Fröschen in den Teichen interessiert. Aber dafür holen sie sich die Nahrung von den Feldern rund ums Dorf und im weiteren Umkreis. Dennoch sind die Wasserflächen auch für die Kraniche wichtig: Am besten schlafen sie, wenn sie knietief im Wasser stehen. So sind sie besser vor ihren Feinden, allen voran dem Fuchs, geschützt. Und so ist das Storchendorf inzwischen auch zum Kranichdorf geworden. Da auch noch an die 60.000 Gänse auf ihrer langen Reise rund um Linum rasten, hat sich der Ort zu einem Mekka für Ornithologen entwickelt. Die kommen fast in gleicher Zahl wie die Vögel: Jährlich zieht das havelländische 700-Seelen-Dorf mehr als 40.000 Besucher an.

Neben den Vogelguckern unternehmen vor allem Familien den Ausflug zu den Störchen. Außerdem kommen Wanderer und Pilger: Vor einigen Jahren wurde der alte Pilgerpfad zwischen Berlin und Bad Wilsnack wieder ins Leben gerufen. 120 Kilometer ist er lang und führt auch durch Linum.

Wer sich vielleicht nicht so für die gefiederten Teilzeit-Linumer interessiert, findet einen weiteren Anziehungspunkt des Dorfes am Eingang der neugotischen Kirche: Dort erinnert eine Gedenkplakette an Linums berühmteste Bewohnerin, die religiöse Dichterin Luise Hensel. Die Nichte des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy kam hier 1798 zur Welt. Bekannt gemacht hat sie vor allem das Nachtgebet „Müde bin ich, geh’ zur Ruh’, schließe beide Äuglein zu", das Mendelssohn Bartholdy vertont hat.

Die Augen schließen sollte man bei einem Besuch Linums jedoch keinesfalls. Zu viel gibt es in der kleinen Gemeinde zu sehen: ein riesiges Storchennest beispielsweise. Direkt auf dem Kirchendach neben einer Krone, die Friedrich I. 1711 der Kirche gestiftet hat.