Grün und viel Blau: Das gibt es zu entdecken per Rad, auf geführten Touren oder per Boot. Der Müritz-Nationalpark lockt mit Buchenwäldern, sanft geschwungener Landschaft und idyllischen Städtchen in die Seenlandschaft.
Ein leichter Wind lässt die Blätter der Bäume rascheln, durch den dichten Laubwald blitzt immer wieder mal Blau hervor: Willkommen im Müritz-Nationalpark, den wir uns heute quasi „durch die Hintertür" erschließen. Bequem sind wir von Berlin aus mit dem Regionalzug angereist, eineinhalb Stunden an klatschmohngespickten Feldern, sattgrünen Wiesen und verschlafenen Dörfern vorbei. Dann ist auch schon der Bahnhof von Kratzeburg erreicht – eine der Nationalpark-Gemeinden, die nördlich von Neustrelitz liegt.
Ein paar Kilometer von Kratzeburg entfernt entspringt die Havel bei Ankershagen. Fast logisch, dass der Ort Startpunkt für die Wasserwanderstrecke Obere Havel ist. Im Dorf haben sich mehrere Bootsverleiher darauf eingestellt. Für uns stellt sich die Frage: weiter mit dem Boot oder doch in den Minibus steigen, den Nationalpark-Ranger Kersten für die kleine Gruppe organisiert hat? Kersten nimmt uns die Entscheidung ab, wir sollten ruhig erst mal ein Stückchen fahren. Gelegenheit zum Aussteigen gäbe es im Laufe der Tour noch reichlich, sagt er.
Also geht es in gemächlichem Tempo eine schmale Straße aus dem Dorf heraus und Richtung Wald. Nicht ohne einen Hinweis auf die Glasmanufaktur Dalmsdorf, in der bunte Glasperlen und fantasievoller Schmuck ebenso wie kunstvolle Glastüren und Fenster maßangefertigt werden. Raps leuchtet gelb auf den Feldern, ein Raubvogel zieht am Waldrand seine Kreise hoch über uns; und dann sorgt das grüne Blätterdach über der Straße für ein fast schummriges Licht.
Speck, so heißt das idyllische Dörfchen, das nach kurzer Fahrt in Sicht kommt. Es liegt in unmittelbarer Nähe zum Priesterbäker See und dem Hofsee und wurde bereits im 13. Jahrhundert erstmals erwähnt. Aus dem Slawischen stammt der Name und bezeichnet einen Weg durch den Sumpf; heute lohnen die klassizistische Kirche, die Alte Schmiede und das 1937 durch den Verleger Kurt Hermann erbaute Schloss einen kurzen Stopp. Vielleicht aber wandert man auch einfach von dem kleinen Dörfchen aus los – über einen Holzsteg zum Priesterbäker See oder auch zum nahegelegenen Käflingsberg. Der misst 100 Meter und wird noch einmal von einem 55 Meter hohen Aussichtsturm gekrönt. Ist man erst einmal hinaufgekraxelt, dann bietet sich die perfekte Aussicht über das Gelände des Nationalparks.
Deutschlands größter See
Am 12. September 1990 war dieser auf der letzten Sitzung des DDR-Ministerrats gegründet worden – gemeinsam mit anderen Nationalparks, Biosphärenreservaten und Naturparks im Osten Deutschlands. Heute umfasst der Müritz-Nationalpark eine Fläche von rund 320 Quadratkilometern. Auf dem Gebiet liegen 107 Seen und viele kleinere Gewässer, dazu rund 400 Moore und die uralten Buchenwälder rund um den kleinen Ort Serrahn, die 2011 zum Unesco-Welterbe ausgerufen wurden. Ein Wald-Erlebnis-Pfad führt von Zinow aus in den Buchenwald hinein, und in Serrahn selbst informiert eine kleine Multimedia-Ausstellung über diesen ganz besonderen Lebensraum und seine Bewohner.
Überhaupt wird Information im Müritz-Nationalpark groß geschrieben und die Balance zwischen Erschließen einer einzigartigen Landschaft und ihrem Schutz gekonnt eingehalten. Mehrere kleine Infozentren sind auf dem riesigen Gebiet verteilt – hier gibt es ganz praktische Informationen beispielsweise zum Wegenetz, aber auch wechselnde Ausstellungen, Vorträge, Lesungen. Und von hier aus starten die Ranger zu unterschiedlichen thematischen Führungen und Wanderungen. Mal begibt man sich da – mit gutem Fernglas ausgestattet – ins „Reich der Fischjäger" an die Boeker Teiche, kann hier mit etwas Glück die Jagdstrategien von Fisch- oder Seeadler und ihren Kollegen aus nächster Nähe beobachten. Mal geht es erst in der Abenddämmerung los, wie auf der Tour Richtung Kesselmoor, das am Rande der Müritz liegt.
Mit einer Fläche von 113 Quadratkilometern ist die Müritz, Deutschlands größter See, ein Paradies für Wassersportler – vom Segler bis zum Paddler, aber auch für Hausbootfahrer und Angler. Ein Teil der Müritz gehört zum Nationalpark, durch den es jetzt Richtung Südufer des Sees nach Rechlin geht. Das hat sich mit seinem Hafendorf und der Marina als Ausgangspunkt für Wasserwander- und Segeltouren über die Mecklenburgische Seenplatte positioniert. Nicht weit vom Hafen hat ein Förderverein ein Luftfahrttechnisches Museum auf historischem Gelände eingerichtet: Hier am Ufer der Müritz nämlich testete man ab 1916 Flugzeuge, ab 1933 vor allem Kampfflugzeuge. Prototypen wurden auf ihre Massenfertigung hin erprobt und Piloten ausgebildet. Ein Großangriff der amerikanischen Luftstreitkraft, der US Air Force, im April 1945 brachte kurz vor Kriegsende jeglichen Betrieb zum Erliegen. Nach 1945 übernahm die sowjetische Armee das Areal.
1998 konnte nach Jahren des Spendensammelns ein erster Teil des heutigen Museums eröffnet werden – verschiedene Ausstellungen auf dem stetig weiter ausgebauten Gelände, in Hallen und im Freien, locken seitdem die Besucher.
Buntes Fachwerk im Sonnenschein
Von Rechlin etwas weiter Richtung Norden, nach Röbel, sind es gerade einmal 20 Autominuten, mit dem Fahrrad dauert es etwa doppelt so lange. „Die bunte Hafenstadt" – so lautet der Slogan, mit dem das 5.000-Einwohner-Städtchen für sich wirbt. Das ist nicht hochgestapelt: Gerade bei Sonnenschein leuchten dem Besucher die bunten Fachwerkfassaden in der kleinen Altstadt entgegen, vom Froschgrün mit braunen Holzbalken abgesetzt über tiefes Rotbraun bis hin zu hellem Gelb. Bunte Fensterläden und Blumentöpfe sorgen für zusätzliche Akzente. Auf Kopfsteinpflaster umrundet man die Marienkirche, ein dreischiffiges wuchtiges Backsteingebäude aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Der Bau gilt als eine der frühesten gotischen Hallenkirchen Mecklenburgs, von der ursprünglichen Bausubstanz ist allerdings nach einer umfangreichen Sanierung im 19. Jahrhundert nur noch wenig erhalten. Dennoch lohnt der Besuch: Die Kirche beeindruckt durch das herabgezogene Kreuzrippengewölbe, die filigranen Schnitzereien. Hinaus und zurück in die Sonne – und vorbei am Rathaus im klassizistischen Stil in eine Seitenstraße. Etwas versteckt liegt hier die Synagoge von Röbel, eine der wenigen Fachwerksynagogen in Mecklenburg.
Juden waren hier an der Müritz bereits im 13. Jahrhundert ansässig, doch nach dem Sternberger Pogrom von 1492 verließen sie die Region. Eine jüdische Gemeinde gab es in Röbel erst wieder einige Jahrhunderte später; sie ließ auf einem Grundstück in der Kleinen Stavenstraße jenen einfachen Fachwerkbau als Synagoge errichten. Dieses Gebäude wurde dank Stadt und Förderverein umfassend saniert und ist jetzt Teil der international aktiven Jugendbegegnungsstätte Engelscher Hof. Deren Mitarbeiter öffnen Besuchern gern das frühere Synagogengebäude mit seiner kleinen Ausstellung über die Geschichte der jüdischen Gemeinde.
Noch mehr Geschichte und Geschichten finden sich wenige Kilometer weiter, in der „Müritz-Hauptstadt" Waren. Gerade in den Sommermonaten ziehen sich Besucherströme vom Bahnhof Richtung Stadthafen, andere flanieren durch die Altstadt mit dem sorgsam restaurierten Ensemble rund um den Neuen Markt und der imposanten Georgenkirche. Oder sie lassen sich im Müritzeum, dem „Haus der 1000 Seen" mit seinen riesigen Süßwasseraquarien, beeindrucken und staunen über die Vielfalt der heimischen Unterwasserwelt – mit mehr als 40 Fischarten, Krebsen und weiteren Wasserbewohnern.