Nach dem furiosen Wahlerfolg scheint der Weg der Grünen an die Macht unaufhaltsam. Ihre Themen haben Konjunktur. Wie viel Klimaschutz können Baerbock, Habeck und die Grünen liefern?
Robert Habeck ist jetzt schon ein richtig Großer, zumindest im Umgang mit den Medien. Bereits bei der Auffahrt zur Bundespressekonferenz lauern die Kamerateams. Der Grünen-Chef kommt zu Fuß, im Schlepptau hat er Sven Giegold, den Spitzenkandidaten zur Europawahl. Im Eingangsbereich zupft Habeck seinen Parteifreund am Ärmel, mahnt ihn zum Stehenbleiben und Warten. Die Fotografen und Kamerateams müssen sie erst wieder überholen, damit das „Tür-Bild" gemacht werden kann. „Wir wollen doch beide gut aussehen", grinst Habeck seinen Parteifreund an. Darüber müssen sich die Grünen-Spitzenfunktionäre derzeit eigentlich keine Gedanken machen. Selbst beim Schlammcatchen würden sie eine gute Figur machen. Sieger sehen immer gut aus. Doch genau das scheint momentan die Angst zu sein, die Robert Habeck umtreibt. „Mit dem Wahlergebnis haben wir den Auftrag als orientierungsgebende Kraft, doch wir müssen nun die Erwartungen auch erfüllen", gibt sich Habeck gegenüber FORUM eher demütig. Diese Demut kommt allerdings nicht von ungefähr.
Hinter den Grünen liegt ein Wahlkampf mit dem Slogan: „Europa, die beste Idee, seit es Europa gibt." Das hat den Grünen das beste Ergebnis aller Zeiten bei einer bundesweiten Wahl eingebracht. Die Umweltpartei wurde hunderttausendfach für ein Gefühl gewählt. „So geht es mit dem Klima nicht mehr weiter." Der „Fridays for Future"-Spirit brachte der Partei Wähler ein, der diese dafür die höchste Kompetenz zuwiesen. Dabei hatte die Partei, vielleicht als Lehre aus früheren Wahlkämpfen, auf allzu konkrete Vorschläge zur Umsetzung verzichtet, im Wahlkampf, auf den letzten Parteitagen und im Parteiprogramm. Das scheint zumindest Robert Habeck bewusst, dem Realpolitiker aus Schleswig-Holstein. Dort war er sechs Jahre Umweltminister und stellvertretender Ministerpräsident. Daher weiß er als einer der wenigen Praktiker in der derzeitigen Grünen-Führungsriege, wie schwierig nachhaltige Umweltpolitik in der Praxis einer Regierung umzusetzen ist. Weder die beiden Europapolitiker Ska Keller oder Sven Giegold haben dies bislang in Regierungsverantwortung versuchen müssen noch Co-Parteichefin Annalena Baerbock oder Fraktionschef Anton Hofreiter können sich genau vorstellen, was zu tun wäre.
Demut vor der Umsetzung
Erspart bleibt ihnen derzeit, es in Verantwortung umsetzen zu müssen, im Zweifel auch gegen die eigene Basis und Wähler, die vor Ort, wenn es konkret wird, mit Energie-, Verkehrs- oder Ernährungswende so ihre Mühe haben. Zumindest ein konkreter Plan für eine nachhaltige Klimawende, die dann auch noch mit der Wirtschaft kompatibel ist, wäre sinnvoll für eine Option in einer zukünftigen Bundesregierung.
Zwar hat man sich bereits auf dem Parteitag im Sommer vor zwei Jahren auf den Verbrennungsmotor-Ausstieg bis 2030 verständigt, doch bei einem Plan, wie das tatsächlich auch vonstatten gehen soll herrscht Fehlanzeige. Hoch gehandelt wird in den Parteigremien die Elektromobilität. Doch genau dagegen machen Umweltaktivisten, von BUND, Nabu oder Deutsche Umwelthilfe Front. Ihr Argument: Die Herstellung eines Pkw mit Elektroantrieb ist unter dem Strich genauso umweltschädigend wie das gleiche Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Diverse Umweltgruppen, gerade in den Metropolregionen wie Berlin, Frankfurt oder Stuttgart, wollen eine generelle Abkehr von der Individualmobilität. „ÖPNV statt Auto" ist die Parole, oder „Der Stadtraum gehört uns", die schließlich in der Forderung nach einem Verbot von SUVs in den Innenstädten gipfelte.
Solche Sätze blieben Einzelmeinungen, bei den neuen Grünen nicht mehrheitsfähig. Kein Wunder, ein Gutteil der Grünen-Wähler fährt ja damit spazieren, schon wegen der Sicherheit im Straßenverkehr. Ähnlich sieht es beim Umweltfrevel Billigfliegerei aus. Eine Hauptforderung der „Fridays for Future"-Kids wurde im Wahlkampf nicht etwa von den Grünen aufgenommen. Ausgerechnet der Kandidat der EVP Manfred Weber (CSU) machte sich plötzlich für eine zukünftige Verteuerung von Kerosin stark. Vor 20 Jahren gehörte die Forderung nach Versteuerung des Flugbenzins zum Standardrepertoire der Grünen. Zu einer wirklich nachhaltigen Verkehrswende gehört dann auch noch das Verbot von Flügen unter 1.000 Kilometern. Aber ein Verbot von Inlandsflügen geht mit den heutigen Grünen überhaupt nicht mehr zusammen – Klimawandel hin oder her. In den Sommerferien mit der Bahn zur Sonnenwende nach Norwegen zu reisen, scheint schlicht nicht zumutbar. Übrigens ist man peinlich darauf bedacht, keine Erinnerung an das gerade eingeschlummerte Image einer Verbotspartei zu wecken.
Bei der Energiewende ist das grüne Ursprungsziel eines Atomausstiegs beschlossene Sache, der Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 in den Blick genommen, den übrigens die „Fridays"-Sprecher für hoffnungslos zu spät halten, da tun sich für die Grünen längst zusätzliche Fragen auf.
Der abgeschaltete Kohlestrom soll ebenfalls durch die erneuerbare Energien ersetzt werden. Windparks sind eine der Antworten auf die Herausforderungen der Erderwärmung. Ganz offensichtlich aber auf Kosten der Vogel- und Insektenwelt. Mehrere wissenschaftliche Studien legen den Schluss nahe, dass gerade die Windräder keine Freunde dieser Lebewesen sind. Der dringende Verdacht, größere Teile der frühjährlichen Vogel- und Insekten-Population werden von den Windrädern geradezu geschreddert, liefert ein kaum lösbares Dilemma.
Es gibt keine einfache Lösung
Ganz ähnlich beim Thema nachhaltige Landwirtschaft. Keine chemischen Unkrautvernichtungsmittel und keine Gentechnik in die landwirtschaftlichen Produktionsabläufe – weltweit – ein Anspruch, der als Forderung durchaus nachvollziehbar ist, aber Fragen zu anderen Seiten der Realität aufwirft. Denn weltweit sterben seit fast einem Jahrzehnt täglich weniger Menschen an Hunger als an den Folgen falscher Ernährung. Seit 1990 ist laut Uno die Zahl der Hungernden auf der Welt bis heute um 219 Millionen gesunken; und das trotz stetig steigender Weltbevölkerung.
Ausgerechnet Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) wies in einem Gastbeitrag für den Berliner „Tagesspiegel" auf das Paradoxon hin. Noch 1970 lebten 3,7 Milliarden Menschen auf der Erde. Flächendeckende Hungersnöte, vor allem in Afrika, waren die Folge. Bis heute hat sich die Zahl der Weltbevölkerung mehr als verdoppelt. Selbst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat mehrfach einräumen müssen, dass „Mutter Erde" ohne genverändertes Saatgut, Kunstdünger und chemische Unkrautvernichtungsmittel so viele Menschen überhaupt nicht ernähren könnte. Schlussfolgerung des FDP-Haudraufs: „Wenn wir die Erderwärmung stoppen wollen, dann müssen wir zuerst einmal das weitere Bevölkerungswachstum durch Geburtenkontrolle stoppen", so Kubicki. Beispiele, die die Komplexität zeigen, ebenso wie, dass es keine einfachen Antworten gibt, selbst wenn man sich über das grundsätzliche Ziel einig ist. Den Grünen-Superstar Robert Habeck plagen aber auch andere Fragen. „Sollten wir bei der nächsten Bundestagswahl so ein gutes Ergebnis einfahren wie bei der Europawahl, stehen wir als Grüne vor einem personellen Problem."