Die schwere Verletzung von Martin Strobel bescherte Handballer Tim Suton im Januar sein WM-Debüt. Und das auch noch vor heimischer Kulisse. Das Talent vom TBV Lemgo-Lippe, das bei der HG Saarlouis früh den Sprung ins Profigeschäft schaffte, legte einen bemerkenswerten Auftritt hin.
Martin Strobel war bei der Heim-Weltmeisterschaft im Januar gerade erst richtig in Form gekommen, als ihn eine Knieverletzung plötzlich aus dem Turnier katapultierte. Die wohl bitterste Stunde des 32-jährigen Spielmachers der Handball-Nationalmannschaft bescherte allerdings einem anderen Akteur die Chance, auf die er lange gewartet hatte: Der 23-jährige Tim Suton vom TBV Lemgo-Lippe wurde von Bundestrainer Christian Prokop nachnominiert und feierte sein Weltmeisterschafts-Debüt. Und was für eins.
„Tim Suton ist wichtig für die Zukunft“
Nur denkbar knapp war Suton, der seine Profikarriere bei dem langjährigen Zweitligisten HG Saarlouis begann, erst kurz vor der Heim-WM aus dem Kader gestrichen worden. „Das war eine sehr enge und schwere Entscheidung. Tim Suton ist wichtig für die Zukunft und soll sich ranpirschen. Er hat jeden Lehrgang mitgemacht, er könnte uns im Fall der Fälle also ohne Probleme im Turnier helfen“, sagte Prokop damals. Nur wenige Wochen später war Sutons Name in aller Munde. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ titelte: „Der unerschrockene Handball-Joker der Deutschen“, „Der von der Couch kam“, hieß es bei der „Süddeutschen“. Anlass gab der couragierte Auftritt im letzten Gruppenspiel gegen Spanien, bei dem der hochtalentierte Spielmacher vier Tore zum 31:30-Erfolg beisteuerte.
Doch der Reihe nach: Die schwere Verletzung von Martin Strobel beim 22:21-Sieg im Gruppenspiel gegen Kroatien erlebte Suton als Zuschauer live. „Ich war ja in der Halle und habe alles gesehen“, berichtet Suton von dem Moment, der Strobels WM beendete und den Beginn seiner eigenen einläutete. „Noch in der gleichen Nacht kam der Anruf und am nächsten Tag habe ich meine Sachen gepackt und bin zur Mannschaft gefahren“, erinnert sich der Rechtshänder. „Ich hatte gar keine Zeit, mir großartig Gedanken zu machen.“ Vielleicht war genau das sein großer Vorteil – so cool, wie er die ersten Minuten in einem Weltmeisterschaftsspiel der Herren runterspielte. Ausgerechnet gegen den amtierenden Europameister Spanien. „Nervosität klingt immer so negativ – natürlich war ich aufgeregt, aber im ersten Spiel hat einfach ganz vieles gepasst: Es ging nicht mehr um so viel, wir waren schon für das Halbfinale qualifiziert. Dazu kam mir auch die Spielweise der Spanier etwas entgegen“, relativiert der 23-Jährige. Bei der späteren Halbfinal-Niederlage gegen Norwegen (25:31) war seine Leistung solide, so starke Akzente wie gegen Spanien gelangen ihm aber nicht. Im Spiel um Platz drei gegen Frankreich (25:26) kam er nicht mehr so oft zum Einsatz. Trotzdem: „Für mein erstes Turnier lief es ganz gut, aber insbesondere für das Halbfinale und das Spiel um Platz drei hätte ich mir gewünscht, etwas eingespielter gewesen zu sein. Das wäre sicher von Vorteil gewesen“, weiß Suton.
Ein Vorteil, der den mutigen Auftritt Sutons wohl erst möglich machte, ist die große Erfahrung auf internationaler Ebene im Jugendbereich. 34 Länderspiele (85 Tore) bestritt er für die Jugend-Nationalmannschaft, holte 2013 bei der U19-WM die Bronzemedaille und wurde ins All-Star-Team des Turniers gewählt. 2014 wurde Tim Suton mit 241 Toren (davon 50 Siebenmeter) mit gerade einmal 18 Jahren Torschützenkönig der 2. Bundesliga – im Oktober des gleichen Jahres wurde er mit dem Erhard-Wunderlich-Preis als bester Nachwuchsspieler Deutschlands ausgezeichnet. Sein Debüt in der deutschen Herren-Nationalmannschaft gab er am 18. Juni 2017 beim 29:22-Sieg über die Schweiz. „Handball bleibt Handball. Es gucken nur ein paar Leute mehr zu“, sagt er mit einem Lächeln. „Aber die Atmosphäre in den Arenen in Köln, Hamburg und Dänemark war schon beeindruckend.“ Der größte Unterschied zu den Nachwuchs-Wettbewerben war Sutons Rolle. Als Jugendspieler war er als Führungsspieler immer Dreh- und Angelpunkt seines Teams und derjenige, der voranging und die anderen mitzog. Selbst, wenn er als Spieler des jüngeren Jahrgangs zum Team gehörte. Bei den Herren ist das nicht der Fall. Noch nicht.
„Mein Ziel ist es, auch einmal eine größere Rolle einzunehmen“
Einer, der großen Anteil daran hat, dass Tim Suton die Rolle des Führungsspielers eines Tages auch in der Nationalmannschaft einnehmen könnte, konnte sich die starken WM-Auftritte seines Schützlings nicht selbst anschauen. Vater Goran Suton, der Tim zwischen 2012 und 2014 als Trainer des damaligen Zweitligisten HG Saarlouis in den Profibereich integrierte, starb im November 2016 völlig überraschend im Alter von nur 48 Jahren. „Ich denke natürlich oft an ihn – vor allem, wenn es um Handball geht. Bei der WM noch einmal einen Tick mehr. Er hätte das Turnier sicher gern gesehen, aber so manches läuft im Leben einfach nicht wie geplant“, sagt Tim und ergänzt: „Es ist ja schon eine Weile her, und mittlerweile kann ich wieder mit Freude an ihn denken. Beim Turnier war er in Gedanken bei mir.“ Die gemeinsame Leidenschaft, der Handball, half dem jungen Mann über die schwerste Zeit hinweg. „Ich kehrte damals relativ schnell zum Team zurück und nahm wieder am Training teil. Die Zeit mit der Mannschaft und den Freunden hat mir enorm geholfen. Dieser Halt untereinander ist im Handball vielleicht noch einmal spezieller als in anderen Sportarten oder Berufen“, findet er. Die Saison 2016/2017 verlief auch sportlich nicht optimal – endete allerdings nach einem dramatischen Finale mit einem Erfolgserlebnis: dem Klassenerhalt. „Das war dann ein Erlebnis, das mir wieder Freude bereitete, und das ist bei alldem das Wichtigste“, sagt er.
Weil er sich in Lemgo wohlfühlt, hat Tim Suton seinen Vertrag bereits im Januar bis 2022 verlängert. Über starke Leistungen im Verein will sich der 23-Jährige in der Nationalmannschaft etablieren. Sogar mehr noch: „Mein Ziel ist es, dazuzugehören und auch einmal eine größere Rolle einzunehmen. Aber sowas hängt immer von vielen Faktoren ab“, weiß er. Nach der Erfahrung im Januar dieses Jahres wäre es nicht das erste Mal, dass alle Faktoren auf einmal ganz schnell zusammenkommen.