Borussia Dortmund hat mit guten Transfers den Grundstein für die kommende Saison gelegt. Der Titel wird zwar wieder nur über München gehen – spannend könnte es trotzdem werden.
Während die Trauer um die verpasste Meisterschaft immer noch über Dortmund festhing, war BVB-Sportdirektor Michael Zorc schon dabei, den Kader für die kommende Saison zusammenzustellen. Es soll unbedingt vermieden werden, dass die Borussia erneut einen Neun-Punkte-Vorsprung verspielt. Dass die Schwarz-Gelben am letzten Spieltag noch eine Chance auf die Meisterschaft haben, wird Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke auch im kommenden Jahr gern unterschreiben. Alles in allem war es eine zufriedenstellende Saison, so schwierig das zu glauben ist, wenn mit neun Punkten Vorsprung die Tabelle angeführt wurde – und am Ende nur der zweite Platz steht. Lucien Favre, der Trainer von Borussia Dortmund, hatte aber einiges zu managen. Ein gewisser Umbruch fand statt, nach einer durchwachsenen Saison im Vorjahr. Neue Spieler kamen, Altlasten gingen. Deshalb sind die BVB-Bosse zu Recht zufrieden. Und trotzdem sackten die Spieler am letzten Spieltag der vergangenen Saison auf den Ersatzbänken nieder und waren enttäuscht. „Borussia Dortmund gehört nach oben. Wir werden alles daransetzen, dass wir im nächsten Jahr wieder oben sind und am Ende Meister werden. Man hat einfach das Gefühl, dass in dieser Saison mehr drin war", sagte Marco Reus. Das Gefühl täuscht den BVB-Kapitän nicht. Schuld daran war vor allem die verkorkste Rückrunde. Denn in der Winterpause sprach noch alles für einen Titel des BVB. Auch die Historie der Bundesliga. Die Dortmunder holten in den ersten 17 Spielen 42 Punkte und spielten die zweitbeste Hinrunde der Vereinsgeschichte. Bis zu dieser Saison wurden alle Mannschaften Meister, wenn sie nach der Hinrunde 42 oder mehr Zähler auf dem Konto hatten. Seit Einführung der Drei-Punkte-Regel (1995) stand der Herbstmeister am Ende der Spielzeit auch immer an der Spitze, wenn er zur Saisonhalbzeit mindestens 40 Punkte auf dem Konto hatte. Und: Die bisherigen drei Herbstmeisterschaften der Borussia (1995, 1996 und 2011) mündeten bisher immer in der Meisterschaft.
Auch offensiv musste Favre oft improvisieren
Die Gründe für den Einbruch liegen vor allem in der Defensive. In der zweiten Saisonhälfte kassierte der BVB 26 Gegentore, fast doppelt so viele wie der FC Bayern (14). Wehrte Torwart Roman Bürki in den ersten 17 Spielen noch 71 Prozent der Schüsse auf seinen Kasten ab, waren es in der Rückrunde nur noch 63. Zwölf der insgesamt 17 Gegentreffer nach Standards kassierte der BVB in der Rückrunde, das ist Bundesliga-Höchstwert im Jahr 2019. Anteilig kassierte keine Mannschaft in dieser Saison so viele Gegentore nach ruhenden Bällen wie der BVB (39 Prozent). Ein bitterer Wert, da das Verhalten bei Standards natürlich trainierbar ist. Torwart Bürki hatte sich darüber bereits vor Wochen maßlos aufgeregt. Der Einbruch der eigentlich starken Defensive hat aber einen Ursprung: Favre war immer wieder gezwungen, seine Defensive umzubauen. So verpasste Lukasz Piszczek, der in der Hinrunde auf der rechten Abwehrseite eine Bank gewesen war, wegen einer Fersenverletzung fast komplett die zweite Saisonhälfte. Achraf Hakimi, einer der Shootingstars der Hinrunde, offenbarte bereits in der Rückrunde erste Schwächen und brach sich Anfang April den Mittelfuß. Eine Verletzung, die das Saisonaus für ihn bedeutete. Dan-Axel Zagadou, mit 67 Prozent gewonnenen direkten Duellen der viertbeste Zweikämpfer der Liga, zog sich Anfang Dezember eine Mittelfußprellung zu und fiel bis Mitte Februar aus. Knieprobleme verhinderten seinen Einsatz im Saisonendspurt. Manuel Akanji ist in der jungen BVB-Defensive der Chef: Der Schweizer fiel mit einer Hüftverletzung in den ersten fünf Rückrundenspielen aus. Aber auch in der Offensive musste Favre oft improvisieren. Paco Alcacer ist scheinbar kaum in der Lage, ein Spiel über 90 Minuten durchzuspielen, Marco Reus fehlte zu Beginn der Rückrunde verletzungsbedingt und handelte sich im Derby gegen Schalke eine unnötige Rote Karte ein – er fehlte damit am 32. und 33. Spieltag.
Um Ausfälle in der Offensive besser kompensieren zu können, wurden Thorgan Hazard von Borussia Mönchengladbach und Julian Brandt aus Leverkusen verpflichtet. Für die vakante Position des Linksverteidigers kommt Nico Schulz von der TSG Hoffenheim. Dass in Zukunft auch mal der große Wurf gelingen soll, ist nach diesem Transfersommer klar. Das Problem ist nur, dass auch der FC Bayern München aufrüstet und das nicht zu knapp. Dennoch gibt es einige Gründe, warum der BVB den Münchnern in die Suppe spucken könnte. Vergessen wird nach dieser Saison nämlich häufig, dass der FC Bayern wesentlich erfahrener war als der BVB. Dieser stellte mit 24,7 Jahren im Durchschnitt über die Saison die jüngste Startelf. Wie so oft müssen junge Mannschaften, um enger zusammenzuwachsen, erst einmal Niederlagen einstecken – bevor dann große Triumphe gefeiert werden können. Nicht zu verachten ist zudem das Talent, das in diesem Transfersommer zum BVB wechselt – und auch für welches Geld. Während Christian Pulisic für 64 Millionen Euro zum FC Chelsea wechselt, verpflichtete Michael Zorc für insgesamt 75 Millionen Euro Hazard, Brandt und Schulz. Einen belgischen und zwei deutsche Nationalspieler. Dabei macht der BVB gerade mal elf Millionen Minus – kann aber unfassbar viel daran gewinnen.
Die Investitionen machen Sinn
Denn während der BVB für diese Spieler 75 Millionen Euro zahlte, legte der FCB 80 Millionen Euro allein für Lucas Hernández auf den Tisch. Zudem wurde der mit dem VfB Stuttgart abgestiegene Benjamin Pavard für eine Summe verpflichtet, die die Transferausgaben des FCB schon über 100 Millionen katapultierten – für zwei Innen- beziehungsweise Außenverteidiger. Hinzu kommt die ständige Trainerdiskussion, die für Unruhe in München sorgt. Denn trotz Double-Gewinn wird fröhlich über die möglichen Nachfolger von Niko Kovac spekuliert. Man stelle sich nur vor, wie die Stimmung in München erst wäre, sollte der FCB ein wenig wacklig in die Saison starten – nach diesen Investitionen kaum vorstellbar.
Aber auch allgemein wird die Spitze der Liga enger zusammenrücken – im Optimalfall alle näher an den FC Bayern oder eben dahinter. RB Leipzig hat sich mit Julian Nagelsmann einen der talentiertesten und interessantesten Trainer Deutschlands geschnappt, Bayer Leverkusen gewöhnt sich immer mehr an die Spielphilosophie von Peter Bosz. Nach der ersten spannenden Saison in der Fußball-Bundesliga seit Jahren stehen die Chancen gut, dass es in den kommenden Jahren genauso kommen wird. Es steht und fällt aber mit dem FC Bayern. Doch im Gegensatz zu den vergangenen Jahren scheint es so, als könne Dortmund zumindest ein wenig um die Meisterschaft mitreden. Die Investitionen machen absolut Sinn, der Verein ist finanziell extrem solide aufgestellt und spielt im kommenden Jahr erneut in der Champions League.
Einen weiteren Stürmer, so sagt es zumindest Aki Watzke, solle „es nicht mehr geben". Ausschließen „sollte man aber nichts", so Watzke. Also alles offen, auch wenn Mario Mandzukic (Juventus Turin) wahrscheinlich nicht mehr realisiert werden kann – dafür wurde schon zu viel Geld in die Hand genommen.
Sollten in der kommenden Saison vor allem die Verletzungsprobleme im Defensivbereich abnehmen, könnte auch diese wieder stabilisiert werden. Die Varianten in der Offensive sind mit Brandt und Hazard erheblich besser geworden. So bleibt für den allgemeinen Fußballfan nur zu hoffen, dass diese junge, talentierte Mannschaft im kommenden Jahr einen Schritt macht zu mehr Abgezocktheit – und dass sie gesund bleibt. Wenn Favre aus seinen Fehlern lernt, die er im ersten Jahr beim BVB natürlich machen darf, und die Führungsetage eventuell wieder angriffslustiger gegenüber den Bayern wird, dann steht einem erneuten Anlauf nichts im Wege und die Entscheidung fällt wieder erst am letzten Spieltag – dem allgemeinen Fußballfan würde das gefallen.