Im Sommer ist Power Dressing bei den Damen wieder mega angesagt. Dafür haben sich die Designer beim Gestalten der betonten Schulterpartie einiges einfallen lassen: kreisförmige Muschel-Plissees oder glamouröse Puffärmel-Lösungen etwa.
Ein Paradebeispiel dafür, dass sich mit Klamotten auch eine gesellschaftliche Botschaft vermitteln lässt, sind die Power-Schultern. Denn mit den maskulin-inspirierten und die Breite betonenden Schulterpartien hatten Powerfrauen ihre Ansprüche auch in der Kleiderwahl deutlich sichtbar zum Ausdruck gebracht. In den 80er-Jahren strebten sie nach mehr Macht. Durch global gewachsenes Selbstbewusstsein stiegen Frauen in höhere Positionen in der bis dahin männlich dominierten Business-, Finanz- und Politik-Welt auf. Damals waren die XXL-Schultern das zentrale Element des Power Dressings. Dies ist ein Begriff, der in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre geprägt und in den USA in Windeseile sehr populär wurde. Dies vor allem dank des wegweisenden, 1980 publizierten, Bestseller-Sachbuchs „Women: dress for success" von John T. Molloy.
Ein früher Beleg dafür waren die Roben der „Denver-Clan"-Beautys mit Joan Collins alias Alexis Carrington Colby an der Spitze. Die als Stilikone in Sachen Power-Schultern allerdings bald schon von Margaret Thatcher übertroffen wurde, weil sich diese in ihrer Position als britische Premierministerin erst dann wirklich zur Eisernen Lady entwickeln konnte, nachdem sie die Landesmutter-Kluft abgelegt und ihr Outfit voluminös mit Schulterpolstern vergrößert hatte. Die breite Schulter wurde zu einem feministischen Status-Symbol. Sie manifestierte die weiblichen Ambitionen zur Macht in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Bedeutende Vorreiterinnen bei Promis und im Film
Die Designer entwarfen den Damen dafür das nötige Bekleidungsrüstzeug. An vorderster Stelle Giorgio Armani (aber auch Ralph Lauren), der schon Anfang der 80er-Jahre mit dem breitschultrigen Powersuit gewissermaßen den femininen Machtanzug geschneidert und damit die perfekte Uniform für die weltweite Emanzipationsbewegung der Frauen geschaffen hatte. „Alles entstand aus meinem Wunsch", so Armani im Rückblick, „einfache, weiche Jacketts zu entwerfen, in denen man sich frei und natürlich bewegen konnte. Sehr schnell realisierte ich, dass die Frauen, die ja mehr und mehr in Arbeitsprozesse involviert waren, den Männern äquivalente Kleidung brauchten. Etwas, das ihnen Würde verleiht, eine Haltung, die es ihnen erlauben würde, sich den Anforderungen des Berufslebens anzupassen, ohne dafür ihre Femininität aufzugeben. Ich wollte das Bild verstärken, und das Phänomen des Powersuits war geboren."
Auch Hollywood setzte den Power-Schultern schon bald ein Denkmal, indem Regisseur Mike Nichols die beiden Hauptdarstellerinnen Sigourney Weaver und Melanie Griffith in seinem 1988 uraufgeführten Kultfilm „Die Waffen der Frauen" (viel treffender der Originaltitel „Working Girl") in lässigen, knallfarbenen Blazern mit XXL-Schultern auftreten ließ. Auch in der Fotografie wurden die Power-Schultern dank Helmut Newton gewürdigt, der seine starken Protagonistinnen bevorzugt mit diesem männereinschüchternden Detail abzulichten pflegte. Pop-Diva Grace Jones machte die Power-Schultern zum Markenzeichen ihres androgynen Looks. Lady Diana, die häufig auch als „Shy Di" bezeichnet wurde, konnte ihre Schüchternheit in den frühen 80er-Jahren hinter den breiten Schultern maskulin geschnittener Sakkos oder bodenlanger Abendkleider bestens verbergen.
Ende der 90er-Jahre verschwanden die Power-Schultern wieder von der modischen Bildfläche. Sie tauchen bis heute aber immer mal wieder auf. So beispielsweise im Jahr 2009, als die damals durch Epauletten-Erweiterungen oder Pagodendach-Ausprägungen interpretierten Schulterlösungen von Promi-Damen wie Lady Gaga und Róisín Murphy öffentlich gepusht wurden. Oder zuletzt im Sommer 2017, als dank der Vorarbeit von Demna Gvasalia und seinem Label Vetements plötzlich ein verblüffendes, bis heute anhaltendes Comeback der Power-Schultern mit kastig-opulenten Schnitten, XXL-Polstern oder flauschig-voluminösen Keulenärmeln eingeleitet wurde. Kaum eine Top-Marke, die 2017 nicht auf den Trendzug aufgesprungen war, von Louis Vuitton oder Saint Laurent über Céline oder Balmain bis hin zu Jil Sander oder Mulberry.
Inzwischen brauchen Frauen natürlich keine Schulterpolster mehr, um Karriere zu machen. Die Power-Schultern haben sich von einem gesellschaftlichen zu einem modischen Statement gewandelt. Oder auch zu einem raffinierten Fashion-Detail, das im Sommer eines der angesagtesten Must-haves sein dürfte – beispielsweise bei kastig-futuristisch geschnittenen Blusen von Balmain oder Céline – und auch im kommenden Winter in zahlreichen Kollektionen vertreten sein wird.
Die Anfänge der Power-Schultern reichen übrigens bis in die 20er-Jahre zurück. Coco Chanel hatte mit ihren damals revolutionären Hosenanzügen die Basis geschaffen und Marcel Rochas hatte Schulterpolster in die feminine Fashion-Welt eingeführt. 1932 hatte der legendäre Kostümbildner Gilbert Adrian Schauspielerin Joan Crawford für den Kriminalfilm „Letty Lynton" breite Schultern auf den Leib geschneidert. Vor allem ihr weißes Kleid aus Organza und Chiffon mit ausladenden, angedeuteten Puffärmeln wurde als Sensation gefeiert und Nachbildungen in Kaufhäusern wie „Macy’s" wurden einige Hunderttausend Mal verkauft. Katherine Hepburn hatte 1942 an der Seite von Spencer Tracy in dem Hollywood-Streifen „Die Frau, von der man spricht" dem maskulin geschnittenen, breitschultrigen Männeranzug zu ungeahnter Popularität in der Damenwelt verholfen.
Angesagt ist oversized mit und ohne Schulterpolster
In diese Fußstapfen konnte Yves Saint Laurent im Jahr 1962 mit seinem Damen-Smoking treten. Auch die amerikanische Designerin Anne Klein sollte sich bis zu ihrem Tod 1974 jede Menge Anerkennung für die Adaption originär maskuliner Kleidungselemente, wie beispielsweise breite Schultern, in die Womenswear erwerben. Giorgio Armani ist heute der Meinung, dass Frauen eigentlich keine Powersuits mehr brauchen, weil sie aus seiner Sicht mit einem lässig-femininen Hosenanzug bestens angezogen sind: „In den 70ern und 80ern mussten sie sich als den Männern gleichwertig oder überlegen behaupten. Sie brauchten Kleidung, die ausdrückte, dass sie dem stärkeren Geschlecht ebenbürtig sind." Dieses Ziel haben die Frauen längst erreicht, was Armanis Kollegen aber diesen Sommer nicht davon abgehalten hat, ein neues, großes Kapitel in Sachen Power Dressing aufzuschlagen.
Mit der kreisförmig durch vertikale Plisseefalten in Muschelform gestalteten Schulterpartie ist ein neues Element aufgetaucht – auch wenn wir dieses Detail auch schon mal im Sommer 2017 bei Jil Sander gesehen hatten. Bei Balmain wurde ein weißes Jackett shell-shaped geschneidert, bei Issey Miyake war ein ähnliches Jackett in leuchtendem Pink gehalten. Valentino benutzte die breite Muschelform zum Designen von Tops und Kleidern. Auch Labels wie Poiret oder Awake haben die Plissee-Muschel in ihren Kollektionen verarbeitet.
Noch weitaus häufiger waren Puffärmel auf den internationalen Laufstegen zu sehen, was „Harper’s Bazaar" zum Anlass genommen hatte, sie als „die neuen Power-Schultern" zu bezeichnen. Vor allem Blusen und Tops verhelfen sie in dieser Saison zu einem üppigen Zusatzvolumen. Isabel Marant beispielsweise präsentierte Modelle mit Metallic-Glanzeffekt.
Tolle bauschige Blusen haben aber auch Vera Wang, Dolce und Gabbana und Burberry in ihrem aktuellen Sortiment. Im kommenden Winter werden die Puffärmel zusätzlich glamouröse Kleider zieren und ihnen dadurch verschwenderische Opulenz verleihen. Diese sind dabei so voluminös gestaltet, dass gleichsam automatisch Erinnerungen an die früheren Glanzzeiten dieses Details aus dem Viktorianischen Zeitalter geweckt werden, auch wenn Puffärmel anfänglich der Renaissance-Männermode entsprungen sind.
Verblüffend ist diesen Sommer, dass einige Designer wie Attico, Stella McCartney oder Alessandra Rich auch den Minirock mit Power-Schultern in Gestalt von glamourösen Glockenärmeln ausstaffiert haben. Dadurch wird der Klassiker zu einem regelrechten Statement-Piece aufgewertet. Natürlich gibt es weiterhin auch Powersuits, wobei vor allem maskulin gestylte zweireihige Oversized-Blazer mit akzentuierten Schultern oder Schulterpolstern angesagt sind. Auch jede Menge Blazer und Jacketts sind pointiert schulterbetont verfügbar, beispielsweise von Marc Jacobs, Christopher Kane, Miu Miu, Balenciaga, Haider Ackermann oder Gucci. Und auf der Suche nach schulterstarken Kleidern wird frau beispielsweise bei Alessandra Rich oder Isabel Marant fündig werden. Und weil offenbar ein Designer wie Raf Simons der Meinung ist, dass Power-Schultern auch in der Herrenmode im Sommer wieder im XXL-Format eingeführt gehören, hat er bei seinem eigenen Label und bei Calvin Klein die übergroßen Jacken mit ausladenden Schulterpartien designt.