Alles soll anders werden. Doppelspitze durch Urwahl. Mehr Parteidemokratie und Politik zum Anfassen. Nur die inhaltliche Ausrichtung der SPD bleibt mehr als nebulös.
Es sind ohne Zweifel spannende Tage, nicht nur für politisch Interessierte. Genau wie vor genau 30 Jahren. Im Sommer 1989 konnte man dem ersten sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschen Boden bei seinem Überlebenskampf zuschauen. Jetzt scheint sich so ein Schauspiel bei der ersten und ältesten Arbeiterpartei Deutschlands zu wiederholen. Bei den damaligen Ereignissen in der Hauptstadt der DDR glaubten die Protagonisten in Ostberlin tatsächlich, sie würden den Kampf gewinnen.
Die heutigen Protagonisten sitzen wieder in Berlin, aber irgendwie scheint da niemand mehr tatsächlich an einen Sieg zu glauben. Das verrät schon die Übergangslösung beim neuen Parteivorstand. Die gerade eingesetzte Troika hat zwar schon beim kommissarischen Amtsantritt klargestellt, keiner wolle den Job SPD-Vorsitzender hauptamtlich haben. Torsten Schäfer-Gümbel, der hessische Noch-SPD-Chef seines Landesverbands verweist zum Beleg auf seinen bereits unterzeichneten neuen Arbeitsvertrag ab
1. Oktober. Doch so schnell will das SPD-Präsidium auch den Genossen Torsten nicht wieder aus der Pflicht lassen. Erst muss noch die Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober abgewartet werden. Dann dürfte die SPD auf weitere drei desaströse Wahlschlappen zurückschauen. Zumindest stellt sich die SPD darauf ein. Anfang September in Brandenburg und Sachsen und eben in Thüringen.
Alles auf den Prüfstand
Die Aufgabe der Führungstroika aus Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Torsten Schäfer-Gümbel ist offiziell, den Übergang zu organisieren. Aber sie werden wohl auch an den Wahlabenden der fortschreitenden SPD-Krise ein Gesicht geben müssen. Wobei Schäfer-Gümbel darin der Erfahrenste ist. Dreimal hat er in Hessen eine Landtagwahl verloren, die letzte im Oktober vergangenen Jahres mit einem Minus von elf Prozent. Nebenbei soll sich die Troika aber noch was für den ohnehin anstehenden Bundesparteitag der stolzen Sozialdemokratie vermutlich Anfang Dezember ausdenken. Dabei steht so ziemlich alles auf dem Prüfstand. Erste Änderung: Zukünftig soll die SPD von einer Doppelspitze, einem Tandem geführt werden. Nicht ganz klar ist, ob man damit auf die Einlassung von Finanzminister Olaf Scholz reagiert, dass man den Job „SPD-Vorsitzender" unmöglich neben einer anderen Tätigkeit überhaupt allein schaffen kann. Eher scheinen da die Grünen für die Idee Pate gestanden zu haben. In Anlehnung an die derzeit äußerst erfolgreiche Doppelspitze Baerbock/Habeck. Oder war etwa die Linkspartei Vorbild? Wohl eher nicht. Denn deren Doppelspitze Kipping/Rixinger hat ja den Erfolg auch nicht wirklich für sich gepachtet. Doppelspitze ist nicht automatisch ein Erfolgsgarant. Die Grünen sind in ihrer Parteigeschichte mit einigen Doppelspitzen auch grandios bei den Wahlen gescheitert – siehe die letzte Bundestagswahl. Doch in der SPD-Spitze hat man sich nun offenbar dafür entschieden. Und damit nicht genug. Zukünftig sollen die gut 440.000 Parteimitglieder der SPD enger an die Partei gebunden werden. Ein Instrument dazu soll die Urwahl sein. Ein erster Probelauf zu einer solchen Urwahl über die zu wählende Doppelspitze könnte der anberaumte ordentliche SPD-Parteitag im Dezember werden. Wobei derzeit noch nicht ganz klar ist, ob der Mitgliederentscheid nur eine Vorauswahl treffen oder dem Parteitag bereits das Duo präsentieren soll, das dieser aus formalen Gründen lediglich noch bestätigen soll.
Denkbare Variante: Alle Bewerber um die Parteispitze können sich melden, und zum Beispiel die jeweils drei erfolgreichsten Frauen und Männer gehen dann in die Stichwahl. Die gut 600 Delegierten auf dem SPD-Bundesparteitag behalten also weiterhin das letzte Wort und wählen dann die Doppelspitze. Dabei würde aber der typische SPD-Partei-Proporz beibehalten werden, Landesverband, Flügel und religiöser Hintergrund als Kriterium für die Zustimmung. Organisatorisch wäre dieses Modell relativ einfach zu machen. Oder aber wagen die Sozialdemokraten den Sprung ins basisdemokratische Zeitalter? Ein Mitgliederentscheid bestimmt allein ohne Parteiapparat über die zukünftige Doppelspitze. Diese Variante wäre allein schon organisatorisch eine Herkulesaufgabe. Denn erst mal müssten sich dann die 600 Delegierten auf dem Parteitag für dieses Verfahren entscheiden. Bei 440.000 Mitgliedern ist so eine Urwahl schon etwas aufwendiger. Das hat schon der Mitgliederentscheid bei der SPD für oder gegen eine erneute große Koalition im Winter 2017/18 gezeigt. Nach dem Mitgliederentscheid käme ein weiterer, dann außerordentlicher Parteitag, auf dem die SPD überhaupt erst einmal programmatisch zu arbeiten anfangen würde. Das ist nicht nur alles irre aufwendig, sondern kostet auch viel Geld. Und da ist die SPD momentan auch nicht so richtig gut aufgestellt.
Parteitag hat das letzte Wort
Will die Übergangstroika tatsächlich nicht nur das Gesicht zur Krise ihrer Partei sein, braucht es etwas mehr als nur mal aushilfsweise die Partei ein bisschen zu führen. Derzeit sieht aber vieles danach aus, als ginge es in der SPD, im Präsidium und Vorstand, da weiter, wo man nach Martin Schulz und vor Andrea Nahles auch schon war, nämlich bei personellen Fragen. Dabei bräuchte die Partei dringend inhaltlich frischen Wind für das zweite Viertel des 21. Jahrhunderts, das ja nun auch schon bald bevorsteht; ein neues Godesberger Programm, also einen Aufbruch wie vor 60 Jahren, 1959. Wobei es schon bei dem Wort „Aufbruch" schwierig wird, ist es doch in den vergangenen drei Jahren bei der SPD derart inflationär verschlissen worden.
Klar ist, die SPD muss sich nicht nur personell, sondern auch programmatisch neu ausrichten. Wobei sich die Frage stellt, ob nicht zuerst Programm, und dann die Personen, die das verkörpern, der nachhaltigere Versuch einer Neuaufstellung wäre.
Derzeit scheint sich die Parteiprogrammatik allein darin zu erschöpfen, dass weite Teile der Basis und vor allem die SPD-Linke nur noch aus der ungeliebten großen Koalition rauswollen, koste es was es wolle. Selbst Ex-Finanzminister Peer Steinbrück empfiehlt nun überraschend seiner Partei, die Groko nun doch lieber zu verlassen, um sich zu erneuern. Steinbrück steht nun nicht unter Verdacht, mit der Parteilinken zu sympathisieren. Doch auf Nachfrage, wie diese Erneuerung aussehen soll, da wird es bei Steinbrück dann auch eher dünn. Nur soviel: Das Groko-Ende sieht er auf jeden Fall spätestens vor Weihnachten kommen. Wohin dann die Reise gehen soll, ist zwar unklar, doch die Parteilinke DL21 will auf jeden Fall Hartz IV überwinden. Aber vom bedingungslosen Grundeinkommen ist die DL21 unterdessen auch wieder abgekommen, weil damit das kapitalistische System weiter genährt werden würde. Selbst der von Teilen der Medien und der Partei hochgejubelte Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hat noch keine durchschlagenden Ideen für die inhaltliche Ausrichtung seiner Partei präsentiert. Außer natürlich die, BMW zu verstaatlichen und den Kapitalismus generell mal in Frage zu stellen. Nun ist Fragen zu stellen grundsätzlich gut, Antworten zu geben wäre für seine Partei aber eher sinnstiftend.
Das hat aber offenbar den alten SPD-Schwerenöter von der Linkspartei, Oskar Lafontaine, auf den Plan gerufen. Der brillierte, laut seinem Umfeld, Mitte Juni mit der Idee, die SPD und Linkspartei sollten doch fusionieren, um als vereinigte Linke für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. So weit ist es mit dem Mitleid um die alte Tante SPD schon gekommen. Nach letzten Umfragen würden beide Parteien derzeit zusammen etwa 20 Prozent der Wähler erreichen, das hatte die SPD bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren noch allein geschafft.
Ein Problem hat die SPD derzeit allerdings nicht mehr, egal ob die Doppelspitze per Urwahl gewählt wird oder nicht. Die Frage nach einem Kanzlerkandidaten muss sie derzeit nicht zwingend klären. Es darf aber als sicher angenommen werden, dass sie es trotzdem tun wird, es handelt sich ja immerhin um eine Personalie.