Seit Jahren schon gelingt es rechtsextremen Szenebands in Frankreich ungestört Veranstaltungen auf die Beine zu stellen – auch mithilfe von deutschen Kameraden. Französische und deutsche Neonazis haben kürzlich in einem Gemeindesaal in Lothringen einen Konzertabend zu Ehren Adolfs Hitlers veranstaltet. Die Behörden zucken oft nur mit den Schultern.
Auf dem Flyer steht „130 years anniversary celebration". Seit einigen Wochen schon kursiert er in einschlägigen Gruppen in den sozialen Netzwerken. Das Veranstaltungsdatum: der 20. April 2019, der 130. Geburtstag Adolf Hitlers. Als Veranstaltungsort ist „Grand-Est" angegeben, Ostfrankreich. Wer eine eigens eingerichtete Info-Hotline anruft, bekommt einen Sammelpunkt mitgeteilt, eine Autobahnraststätte unweit von Nancy. Bei einem grauen Volkswagen erführe man mehr, heißt es. Und tatsächlich: In einem offenen VW-Kofferraum sitzen zwei junge Deutsche, die auf Nachfrage einen weißen Zettel mit einer Adresse herauskramen. Wer diese in sein Navigationsgerät eingibt, landet in Sexey-aux-Forges, einem unscheinbaren Dorf in Lothringen. Bis zum Abend. Dann huldigen dort zwischen 100 und 200 Neonazis, vor allem aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz, dem Führer.
„Gefällt mir alles überhaupt nicht"
Es ist riskant, sich dem Veranstaltungsort weiter als einige Meter zu nähern. Über das Internet lassen sich weitere Informationen einholen. Angekündigt sind drei Szenebands aus Frankreich: Bunker 84, Baignade Interdite und Match Retour. Vor allem Erstere ist für Lieder bekannt, die den Nationalsozialismus verharmlosen. Organisiert wird der Konzertabend nach Informationen von FORUM vom Lothringer Ableger der sogenannten Hammerskins, Europas größtem Neonazi-Netzwerk.
Er sei am Samstagabend informiert worden, dass im Saal seiner Gemeinde eine „Neonazi-Veranstaltung" stattfinde, erklärte später auf Anfrage der Bürgermeister von Sexey-aux-Forges. Die Polizei habe ihm davon abgeraten, den Ort aufzusuchen. „Natürlich gefällt mir das alles überhaupt nicht, diese Ideen teile ich nicht." Der Anmelder habe ihn über den Inhalt des Abends vorab nicht ins Bild gesetzt. Eine Sprecherin der zuständigen Polizeibehörde, der Gendarmerie Nationale in Nancy, sagte, es habe in Sexey-aux-Forges „doch bloß ein Konzert stattgefunden". Weiter wolle man sich nicht äußern.
Die Geheim-Veranstaltung mit drei französischen Szenebands zu „Ehren unseres geliebten Opas", so die zynische Ankündigung in den sozialen Netzwerken, ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Hintergrundrecherchen zeigen, dass europäische Neonazis vor allem in Lothringen seit wenigstens 15 Jahren einen sicheren Rückzugsort finden. Während in vielen anderen europäischen Ländern ihre Konzerte mit verbotenen oder zumindest teilweise indizierten Bands häufig untersagt werden, gab und gibt es für sie in Frankreich nur selten Ärger mit den Behörden. Regelmäßig organisieren deshalb vor allem das Lothringer Chapter der Hammerskins gemeinsam mit deutschen Kameraden dort kleinere und größere Konzert-Veranstaltungen.
Nach Recherchen von FORUM setzen die Neonazis sowohl auf eigene Grundstücke als auch auf Gemeindesäle, die in der Regel unter einem Vorwand und teils unter falschen Namen angemietet werden. Seit 2015 verfügt die Gruppe über eine Scheune im lothringischen Combres-sous-les-côtes, die „Taverne de Thor", in der bis heute nicht nur regelmäßig Konzerte, sondern auch sogenannte „Free Fights" stattfinden. Auch die saarländische Hammerskin-Band Wolfsfront ist dort des Öfteren Gast gewesen. Gegen dessen Schlagzeuger Robert K. ermittelt die Staatsanwaltschaft Saargemünd schon seit über einem Jahr wegen des Verdachts auf Verherrlichung von Kriegsverbrechen (wir berichteten). K. hatte auf einem Gartengrundstück im lothringischen Volmunster einen Gedenkstein zur Ehren einer SS-Division aufgestellt. Staatsanwalt Jean-Luc Jaeg bestätigte nun, dass in dem Fall noch immer nicht über eine mögliche Anklage entschieden worden ist. Jahrelang hatten auf K.s Grundstücken Konzerte bekannter Rechtsrock-Bands stattgefunden. Die Aktivitäten deutscher Neonazis dort werden seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet, waren doch Szenemitglieder wiederholt durch schwere Gewaltdelikte gegen Migranten aufgefallen.
Laut einer Antwort der Bundesregierung an die Fraktion der Linken im Bundestag fanden auch im lothringischen Walschbronn in den Jahren 2014 und 2015 zwei Neonazi-Konzerte mit mehreren Hundert Teilnehmern statt. Wie nun exklusiv für FORUM aufgedeckt, wurden die Konzerte auf dem 150 Hektar großen Grundstück des mittlerweile verstorbenen Zweibrücker Apothekers Alfred Welter durchgeführt. Laut Recherchen waren die jüngsten Besucher der Veranstaltungen gerade einmal 15 Jahre alt. Insidern zufolge trugen einzelne von ihnen T-Shirts mit dem in der Szene beliebten Aufdruck „Deutsche Jungs". Verantwortlich für die Durchführung der Konzerte mit Szenebands wie „Kategorie C" war der rechtsextreme Nationale Widerstand Zweibrücken, den Welter nicht nur ideell, sondern auch finanziell unterstützt hatte. Die wenige Dutzend Personen starke Gruppierung wird vom Verfassungsschutz beobachtet und organisiert unter anderem jährliche Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer der Bombardierung Zweibrückens. Mitstreiter des Buntes Bündnis Zweibrücken setzen dem, deutlich besser besuchte, eigene Veranstaltungen entgegen.
Gericht unterbindet weitere Konzerte
Neue Details gibt es nun auch zu zwei, dem deutschen Verfassungsschutz bekannten, Neonazi-Abenden im Jahr 2017 im lothringischen Lengelsheim. Dort hatte der baden-württembergische NPD-Kader Pablo Allgeier bei einem Bauern eine Scheune angemietet. FORUM liegen exklusiv Schreiben der zuständigen Präfektur und Unter-Präfektur zu den Konzerten vor. Daraus geht hervor, dass sich am 4. Februar 2017 insgesamt „150 Personen mit einem der rechten Szene ähnlichen Kleidungsstil" privat in einer Scheune getroffen hätten. Gendarmen seien vor Ort gewesen und hätten „keinerlei Schlägereien oder Ruhestörungen" bemerkt. Gegen 50 Personen sei allerdings ein Verfahren wegen Falschparkens eingeleitet worden.
Am 11. Februar desselben Jahres habe es dann einen „Metall-Musik-Abend" gegeben, so die französischen Beamten. Veranstalter „Pablo Allgaier" habe angegeben, mit der Veranstaltung seinen Geburtstag feiern zu wollen. Dieses Mal sei die Gendarmerie eingeschritten, weil ein Anwohner eine Ruhestörung beklagt habe. Gegen 1 Uhr nachts hätten alle Teilnehmer schließlich den Ort verlassen. Die Behörden merkten außerdem an, dass die „Organisation einer privaten Feier" keinerlei Anmeldung oder Genehmigung bedürfe. Inhaltlich hatten sich die Beamten offenbar nur wenig mit den laut Verfassungsschutzberichten kommerziell betriebenen Konzerten beschäftigt. Die Veranstaltung stehe im Zusammenhang mit einer „identitären Gruppierung", heißt es in einem der Schreiben. Tatsächlich handelt es sich bei den Organisatoren um Allgaier um eine Neonazi-Kameradschaft aus Rastatt, die sich von den meisten „Identitären" deutlich nicht nur im äußeren Erscheinungsbild und Auftreten, sondern vor allem im Umgang mit dem Thema Gewalt unterscheidet.
Anders als in Volmunster, wo über Jahre Konzerte geduldet wurden, wehrten sich Bürgermeister Michel Behr und andere Bewohner Lengelsheims erfolgreich gegen das braune Treiben in ihrem Ort. Auf ihren Druck hin unterband ein zuständiges Gericht in Saargemünd weitere Konzerte. Den ursprünglich auf ein Jahr angelegten Mietvertrag mit den deutschen Rechtsextremisten musste der französische Bauer schon nach wenigen Wochen wieder aufkündigen.