Ein verschärfter Sanktionskurs könnte die Hardliner an die Macht bringen
In jedem Krieg, in jedem Konflikt ist das erste Opfer die Wahrheit. Jede Seite versucht, ihre Motive zu glorifizieren. Spannungen werden nach dieser Lesart vom politischen Gegner angeheizt.
Auch die Angriffe auf zwei Tanker im Golf von Oman in der vergangenen Woche hat eine Kaskade von gegenseitigen Beschuldigungen ausgelöst. Die USA, Saudi-Arabien und Großbritannien machen den Iran für die Attacken verantwortlich – ohne freilich definitive Beweise vorzulegen. Das vom amerikanischen Militär präsentierte Video, das iranische Einheiten als Drahtzieher zeigt, lässt Fragen offen. Zudem ist die Glaubwürdigkeit Washingtons spätestens seit der US-Kampagne vor der Irak-Invasion 2003 schwer beschädigt. Damals wurde dem Diktator Saddam Hussein fälschlicherweise der Besitz von Massenvernichtungswaffen zur Last gelegt.
Teheran weist die Vorwürfe vehement zurück und zeigt mit dem Finger auf die Vereinigten Staaten. Ähnlich war die Frontstellung nach Sabotageakten gegen vier Handelsschiffe vor der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate im Mai.
Wer recht hat, lässt sich nicht zweifelsfrei beurteilen. Man kann nur entlang der Frage spekulieren: Wem nützen derartige Zwischenfälle? Der amerikanischen Regierung ist zwar die Unterstützung schiitischer Milizen durch den Iran ein Dorn im Auge. Aber dass sie Interesse an einer Eskalation der Gewalt haben könnte, ist eher unwahrscheinlich. Präsident Donald Trump will einen Waffengang, der viel Geld, Material und Menschenleben kosten würde, vermeiden. Eine Militäraktion wäre knapp anderthalb Jahre vor den nächsten Wahlen ein zu hohes Risiko.
Anders sieht es im Fall von Saudi-Arabien aus, das sich als Schutzmacht der Sunniten begreift. Das Königreich und auch die Vereinigten Arabischen Emirate schauen argwöhnisch auf den Iran. Der schiitische Mullah-Staat sei ein notorischer Unruhestifter, heißt es. Vor allem den Saudis könnte daran gelegen sein, den Iranern aggressive Manöver in die Schuhe zu schieben, um die USA zu einer Intervention gegen den Erzfeind zu bewegen.
Dass iranisches Militär Tanker in Brand setzt, ist zwar nicht auszuschließen. Aber wenig deutet darauf hin. Die Regierung in Teheran müsste begrenzte Vergeltungsaktionen der Amerikaner fürchten. Dies könnte sich schnell zu einem Krieg hochschaukeln – mit unkalkulierbaren Folgen für alle. Der relativ gemäßigte Präsident Hassan Rohani will vermeiden, dass sein durch die harschen US-Sanktionen geschwächtes Land weiter nach unten gezogen wird.
Wesentlich radikaler sind jedoch die iranischen Revolutionsgarden. Die paramilitärischen Verbände haben den Auftrag, mögliche Gegner des Regimes zu bekämpfen. Sie kontrollieren einen Großteil der iranischen Wirtschaft und steuern über ihre Quds-Brigaden die militärischen Einsätze schiitischer Milizen im Libanon, Irak, Jemen und in Syrien. Sie haben durch die Sanktionen der Amerikaner am meisten zu verlieren.
Angriffe auf internationale Schiffe könnten aus Sicht der Revolutionsgarden gezielte Nadelstiche mit folgender Botschaft sein: Eine Fortsetzung und mögliche Verschärfung der wirtschaftlichen US-Kampagne gegen den Iran hat das Potenzial, das strategisch wichtige
Nadelöhr am Persischen Golf – 20 Prozent aller weltweiten Öl-Transporte verlaufen durch die Straße von Hormus – in ein Flammenmeer zu verwandeln. Daraus ergeben sich zwei Risiken. In politischer Hinsicht besteht die Gefahr eines Flächenbrandes, der auch Russland und China auf den Plan rufen könnte. Stockt der Fluss des „schwarzen Goldes" in Nahost, droht zudem ein Schock für die globale Konjunktur.
Wenig spricht dafür, dass sich Trump dieser vielschichtigen Gemengelage bewusst ist. Er kennt nur die Guten (Israel, Saudi-Arabien) und die Bösen (Iran). Dieses Schwarz-Weiß-Denken ist ein Grundfehler der amerikanischen Außenpolitik, nicht erst seit heute. Ihm liegt der naive Glaube zugrunde, mit Regimewechseln Demokratie praktisch per Knopfdruck schaffen zu können. Der Sturz Saddam Husseins warf den Irak ebenso ins Chaos wie die Beseitigung des Gaddafi-Regimes 2011 Libyen. Sollte der US-Präsident die Mullahs zur Kapitulation zwingen wollen, läuft er Gefahr, dass Revolutionsgarden und Hardliner am Ende die Oberhand gewinnen – mit noch mehr Repression nach innen und außen.