Das neue „Pincho Nation" bietet ein internationales „Best of Kleinigkeiten" im Tapas-Stil. Im Zirkus-Ambiente wird mit dem Essen und der Technik gespielt: Bestellt wird nur per App. Das in Skandinavien erfolgreiche Konzept will nun mit seinem ersten Restaurant in Deutschland Fuß fassen.
Dürfte es das Bao Bun mit Pulled Chicken sein? Oder lieber ein Kebab in der Brotschale oder eine Meeresfrüchte-Paella? Ach, wir nehmen einfach alles. Und die Candy-Cocktails sehen so fancy aus – zum Beispiel der curaçaolastige „Soda Pop" mit türkisfarbenen Weingummi-Fläschchen obenauf. Und den roten, den „Himbeer Lakritze"-Drink mit dem Totenkopf auf dem Crushed-Eis-Hügel! Den wollen wir auch – einmal in der alkoholischen, einmal in der alkoholfreien Variante bitteschön. In der App wird angetippt, die Bestellung klargemacht und bezahlt. Dann kann die Küche im Hintergrund loslegen, wir die Gerichte am Tresen im hinteren Teil abholen und uns an unseren Tapas kreuz und quer durch die Nationen hindurchessen.
Wir sind irgendwo zwischen Zoo, Dschungel, Zirkus und Boudoir im neuen „Pincho Nation"-Restaurant in der Meinekestraße abgetaucht und haben Spaß. Ja doch, so richtigen Kinder-Spaß mit Herumtippen auf dem Smartphone. Mit „Alles so schön bunt hier"-Feeling und Beratung durch den Zirkusdirektor persönlich. Der trägt schwarz-goldene Schulterklappen mit goldenen Fransen und ist ein verwunschener Restaurantdirektor. Michael Amelung sitzt uns gegenüber unterm rot-gelben Karusseldach und erzählt uns mehr über „Pincho Nation". Magnus Larsson hatte das Franchise-Konzept mit Tapas aus aller Menschen Ländern in Schweden ins Leben gerufen. Von dort aus verbreitete es sich seit 2012 zügig in Skandinavien.
Anlaufstelle für Berliner, weniger für Touristen, lautet das Ziel
In Deutschland eröffnete Mitte Mai mit dem 69. das erste Restaurant hierzulande. „In Schweden hat das Konzept eingeschlagen wie eine Bombe", sagt Michael Amelung. Die Begleiterin bestätigt: Ihre jüngere Schwester in Schweden gehe dort gern mit Freundinnen hin. Der Papa aber habe verneint – das sei mit Smartphone, so etwas habe er nicht. Es dürfte klar sein: Wenn die viel gereiste Begleiterin wieder einmal bei ihrer Familie ist, wird der Papa ganz analog ins digital organisierte Spaß-Restaurant mitgenommen.
„Pincho Nation" bezeichnet sich als „App-Restaurant". Die Voraussetzungen sind inzwischen zumindest in der Großstadt vorhanden: ein Smartphone in jeder Hand, Netzabdeckung und die Vertrautheit mit Online-Bestellungen und -Lieferdiensten. In der Meinekestraße haben sich Amelung und sein Team vorgenommen, das „Pincho Nation" zu einer Anlaufstelle für Berliner werden zu lassen. Man schiele nicht auf Touristen. Das könnte gelingen: Die Tapas sind mit derzeit 26 Sorten variantenreich genug, sodass Menschen mit unterschiedlichen Vorlieben und Geschmäckern Freude daran haben. Und sie sind keineswegs überkomplex.
Das sei auch nicht die Absicht, sagt Amelung: „Wir möchten, dass alle Spaß an unseren kleinen Gerichten mit Produkten von hoher Qualität haben und etwas für sich finden." Vegetarisches und Veganes verstehe sich von selbst; auch Allergien können schon beim Bestellen eingegeben werden. Künftig dürften noch mehr regionale Gerichte dazukommen, verrät Küchenchef Von Dominic. Die wiederum könnten durchaus sehr international werden: Im Berliner Küchenteam gibt es Deutsche, Spanier, eine Koreanerin und nicht zuletzt Dominic selbst, der Schwede philippinischer Herkunft ist.
Vielleicht gibt’s demnächst „Ube"-Eiscreme aus der lilafarbenen philippinischen Wurzel, die dort für vielerlei Gerichte verwendet wird? So würde es sich die Begleiterin jedenfalls wünschen. Wenn’s die Zentrale in Schweden abnickt, womöglich. Ins fliederfarbene Ambiente unterm lila Zebra in der „Magic Area" würde es jedenfalls perfekt hineinpassen. Wir essen an diesem warmen Tag dann doch lieber draußen – einerseits wegen des besseren Foto-Lichts, andererseits wegen der kleinen Terrasse, die sich in das halbrunde Entree des Hauses einschmiegt.
Lasst uns endlich das Steak anschneiden und die Dumplings in die Soja-Sauce tunken! Das Steak à la Pinchos ist in seiner Kleinheit dennoch perfekt und medium auf den Punkt gebraten und mit Meersalz-Körnern genau im richtigen Ausmaß bestreut. Passt. Die Herzoginnenkartoffel-Tupfen sind eine angenehme Begleitung, ebenso wie die Chili-Soße. Überraschend gut ist auch das Pilz-Risotto: Mini-Italien mit schlotzigem, parmesanigem, pilzigem Finish. Shrimps, roter Kaviar und Sour Cream auf einem Langos sind frisch und ein schöner Kontrast zum frittierten Hefebrot. Beim Langos oder beim Risotto zeigt sich besonders deutlich: Gerichte, die üblicherweise ziemlich sättigende Brummer sind, funktionieren en miniature prima. Es bleibt Raum und Aufmerksamkeit für weitere Tapas oder ein Dessert.
Alle Tapas zwischen 2,90 und 4,90 Euro
Wir genießen das Privileg, dass Michael Amelung uns fürs Dessert-Foto höchstpersönlich ein hölzernes Bord mit vier süßen, kleinen Schweinereien an den Tisch bringt. Erneut gibt es Klassiker zum Liebhaben, beinah alle mit einem Extra-Tüddel. Das Vanilleeis mit Schokofondant wird durch Salzkaramell zu einer kleinen Köstlichkeit. Das Meringe-Töpfchen ist mit Vanilleeis, Sahne, Candy-Bananen und Meringen mit vielen bunten Smarties das eisgewordene Zirkuszelt. Mein Favorit ist die fluffige Schokomousse mit Kokos-Popcorn on top. Das Popcorn ist eine prima knackige Ergänzung zur veganen Mousse – das kann jetzt bitte öfters so! Die Crème brûlée ist cremig, dezent karamellisiert und stimmt froh.
Wir tun das, was unser Tester-Job ist – kreuz und quer probieren. Das greift schließlich auf die Strohhalme über. Ich ziehe beherzt meinen Halm aus dem „Peachy", einem pfirsich-süßen entfernten Verwandten des Tequila Sunrises auf Likörbasis, heraus, um mich dem Totenkopf-Candy-Drink namens „Himbeer Lakritze" zuzuwenden. Irgendwann finden sich, dem guten alten „Sharing is caring"-Motto getreu, alle drei Halme im nicht gerade klein dimensionierten granatapfelroten Glas wieder. Das sieht nach einem heimlichen Pernod-Favoriten aus! Viele Drinks, die meist für 6,90 Euro zu haben sind, gibt es ebenfalls in einer nichtalkoholischen Variante. Dann steckt ein aufmerksamkeitsfangendes „Non alcoholic"-Fähnchen darin.
Die Tapas sind preiswert – zwischen 2,90 und 4,90 Euro kosten ein Pfännchen oder kleiner Teller. Das animiert zum Mehrfach-Wählen oder Nachbestellen. Hätten wir nun wieder Lust auf etwas Herzhaftes nach so vielen candybunten Drinks, könnten wir zur nächsten Quesadilla, zu Spare Ribs oder Halloumi-Pommes greifen. Wir können aber auch aufstehen und etwas durch den Vergnügungspark mit seinen verschiedenen Kulissen wandeln. 170 Plätze verteilt auf vier Themenbereiche sind eine Hausnummer und zeigen, dass größere Gruppen willkommen sind.
Wie Kindergeburtstag für Erwachsene
Wir könnten uns vor Spiegeln, Dschungeltapete oder Zirkuspferd fotografieren. Oder auf den Damentoiletten hinter verschlossener Kabinentür einem spooky Klo-Podcast folgen. „Hast du geantwortet?", will die Begleiterin nach meiner Rückkehr wissen. Lieber nicht. Wer weiß, was die blechern verzerrte Stimme dann geantwortet hätte! Bevor es zu merkwürdigen interaktiven Erlebnissen in den Bädern kommen konnte, habe ich mir rasch im Vorraum die Hände gewaschen und das plüschige Ambiente verlassen.
Wie sagt doch Hans-Peter Wodarz, Grandseigneur des Dinnertheaters, über die Shows in seinem „Palazzo"-Spiegelzelt? „Wir machen Kindergeburtstag für Erwachsene." So ist das nun auch im „Pincho Nation", allerdings ohne die große Bühnenshow.
Mag das alles an Zirkus, Varieté oder Kinofilme erinnern oder einfach die fortschreitende „Gamification" des Lebens sein – die fantasievolle Verspieltheit in Kombination mit einem gastronomischen Konzept, das für viele funktioniert, könnte nun auch im „Pincho Nation" im Kleinen ein Erfolgsmodell werden.