Gigantische Tollen, tätowierte Oberarme und Retro-Rockabilly-Klänge – das sind die Stray Cats. Vor 40 Jahren lösten die New Yorker einen weltweiten 50er-Jahre-Boom aus. Jetzt beendet das Trio eine 26-jährige Funkstille mit einem neuen Studioalbum und einer Tour. Lee Rocker im Interview.
Lee, mit dem Album „40" melden sich die Stray Cats lautstark zurück. Warum ist die Zeit reif für ein Comeback Ihrer Band?
Voriges Jahr haben wir mit den Stray Cats vier Konzerte in den Vereinigten Staaten gespielt: eins in Las Vegas, eins in Chicago und zwei in Kalifornien. Einfach nur um zu sehen, wie sich das anfühlt. Wir haben dann festgestellt, dass in dieser Band noch sehr viel Kraft steckt. Die Kombination aus Brian, Jim und mir funktioniert einfach. Es ist für uns sehr emotional, in all diese glücklichen Gesichter zu schauen, und jetzt ist es Zeit, neue Musik herauszubringen und unser Comeback zu feiern.
Die Stray Cats haben einen sehr eigenen Sound. Wie bekommen Sie den hin?
Ich glaube, es gibt keine zweite Band, die so klingt wie wir. Jeder von uns hat im Lauf der Jahrzehnte an anderen Projekten gearbeitet und ganz unterschiedliche Platten herausgebracht. Aber die Stray Cats sind bis heute unverwechselbar geblieben. Die neue Platte markiert das 40. Bandjubiläum, aber für mich fühlt sie sich seltsamerweise wie ein Debüt an. Wir haben sie im Studio unter Live-Bedingungen aufgenommen. Wir haben Schulter an Schulter in einem Raum mit Wänden aus Glas einfach drauflosgespielt. Auf diese Weise konnten wir viel Spontaneität einfangen. Uns geht es beim Musikmachen vor allem um die Performance und die Chemie in der Band – und nicht darum, Songs bis zum Abwinken einzustudieren. Ich weiß nicht, wie viele Platten heutzutage noch auf diese Weise gemacht werden. Ein Tonstudio sollte dazu da sein, den Moment einzufangen und nicht, ihn zu manipulieren.
Welche Rolle spielen die Instrumente bei den Stray Cats?
Unser Equipment hat sich in den vergangenen 40 Jahren kaum verändert. Wir spielen immer noch mit Standbass, Gitarre und Schlagzeug und benutzen Verstärker von 1959. Brian spielt seit 1980 auf derselben alten Fender-Gitarre und ich besitze einige alte Bässe, die sehr unterschiedlich klingen.
Sie waren mit Carl Perkins befreundet, dem legendären Sideman von Elvis Presley, Johnny Cash und Jerry Lee Lewis. Besitzen Sie Instrumente, auf denen er zu Lebzeiten gespielt hat?
Er schenkte mir einen seiner Blue-Suede-Gitarrengurte, den ich bis heute benutze. Carl Perkins war ein wundervoller Freund, Kamerad und Mentor. Vielleicht der wichtigste Musiker, mit dem ich je zusammengearbeitet habe. Perkins war eine der bedeutendsten Figuren in der Rock’n’Roll-Musik. Es war eine Freude, mit ihm zu spielen und auf Tour gehen zu dürfen. Wir haben sogar gemeinsam Soundtracks aufgenommen. Durch ihn habe ich gelernt, dass Rockabilly keine Musik fürs Museum ist. Für mich persönlich ist das keine 50er-Jahre-Musik, sondern ein ewig aktueller Live-Sound, den ich durch meine Persönlichkeit und Seele präge.
Wollten Sie eine moderne Platte machen oder an die besten Momente der Stray Cats anknüpfen?
„40" ist eine Mischung aus Sounds, Echos und Verstärkern, die zur Sprache des Rockabilly gehören. Wir spielen diese Musik so, wie wir sie fühlen. Beim Musikmachen geht es um Inspiration. Wenn man etwas zu verkrampft versucht, kommt dabei nichts Gescheites heraus. Beim Jammen im Studio hatten wir jedenfalls enorm viel Spaß. Ich glaube, jeder von uns ist in Bestform. Das sollte auch nicht anders sein, wenn man nach 26-jähriger Pause wieder eine Platte mit neuen Songs veröffentlicht.
Das Album wurde von Peter Collins produziert, der mit Alice Cooper, Bon Jovi, Rush und den Cardigans gearbeitet hat. Was genau wollten Sie von ihm?
Peter Collins ist ein enorm vielseitiger und sehr kluger Produzent. Er versteht es, mit den verschiedensten Künstlern zusammenzuarbeiten. Auf lustige Weise erinnerte er mich an unseren ersten Producer Dave Edmunds. Peters Aufgabe war, das, was wir spielen, ungefiltert einzufangen. Er ist kein Produzent, der mit Bands über jeden einzelnen Akkord diskutiert. Ihm geht es eher darum, im Studio eine gute Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Genau so einen Superprofi brauchten wir. Auf unserem Album gibt es überhaupt keine Studiotricksereien.
Das Album wurde in den Blackbird Studios in Nashville eingespielt. Macht es wirklich einen Unterschied, wo man Musik aufnimmt?
Zuerst einmal liebe ich Nashville. Wenn man zum Musikmachen an einen Ort geht, an dem keines der Bandmitglieder lebt, kann man sich voll und ganz auf seine Aufgabe konzentrieren. Niemand stört einen bei der kreativen Arbeit. Das war für uns ganz wichtig. Ich habe ein paar Wochen an nichts anderes gedacht als an unser Album. Nachts im Hotel habe ich sogar von den Songs und meinen Bass-Parts geträumt.
Was ist bei den Stray Cats wichtiger: der Song oder der Sound?
Ich denke, es hält sich die Waage. Ehrlich gesagt habe ich darüber noch nie nachgedacht. Die Stray Cats, das sind drei Individualisten, die sich zu einem Ganzen zusammenfügen. Wir verschmelzen wirklich zu einer Einheit. Für mich als Bassist kommt es darauf an, den anderen genau zuzuhören und auf sie zu reagieren. Gemeinsames Musizieren ist wie eine anregende Unterhaltung. Unsere Songs klingen jeden Abend anders, deshalb bleibt es auch immer spannend. Eine wirklich coole Sache, die mich an Jazz erinnert, wo die Kunst der Konversation extrem gepflegt wird. Das habe ich in der Form noch bei keiner anderen Rock-’n’-Roll-Band beobachtet.
Ist es Ihnen wichtig, sich nicht zu wiederholen?
Genau. Diesen Sommer werden wir unsere Songs live darbieten und ich verspreche, dass sie jeden Abend anders klingen. Weil es in den Songs viele Freiheiten gibt.
Sie haben die Stray Cats 1980 im Zuge der Punkbewegung gegründet. War Punk ein Einfluss für Sie?
Absolut. Ich bin in den frühen 1970er-Jahren aufgewachsen. Diese Zeit war geprägt durch Stadionrock, der ohne kantige oder kontroverse Elemente auskam. Aber dann kam der Punkrock um die Ecke. Dieser Sound beschränkte sich auf die Essenz des Rock ’n’ Roll. Ich weiß noch, wie wir damals in der Garage meines Vaters minimalistisch drauflosgerockt haben.
Gibt es eine Verbindung zwischen Rockabilly- und Punk-Musik?
Für mich ist Rockabilly-Musik der Ursprung des Punkrocks. Als Elvis Presley, Carl Perkins und Chuck Berry Mitte der 1950er-Jahre auftauchten, waren die Leute richtig schockiert. Für viele Ältere war Elvis’ schnelle Rockabilly-Version von der Schnulze „Blue Moon Of Kentucky" gar keine Musik. Das wiederholte sich 20 Jahre später mit der Punk-Bewegung. Die Stray Cats sind eine Punk-Band! Der einzige Unterschied ist, dass wir wirklich spielen können. Aber wir fühlen dasselbe wie Punks.
Ihr Vater war erster Klarinettist beim New York Philharmonic Orchestra und spielte mit Leonard Bernstein und Aaron Copland. Sollten Sie ursprünglich in seine Fußstapfen treten?
Ich bin mit klassischer Musik aufgewachsen. Mit sechs oder sieben Jahren habe ich angefangen, Cello zu spielen. Aber als junger Teenager begann ich, mich für andere Musik zu interessieren und wechselte zum elektrischen Bass und anschließend zum Kontrabass. Leonard Bernstein war ein Freund unserer Familie. Er mochte die Stray Cats, besonders unseren Song „Runaway Boys" mit seiner absteigenden Tonskala.
Haben Sie als Teenager gegen Ihre etablierten Künstlereltern rebelliert?
Ich würde diese Frage gerne mit Ja beantworten, aber ich war kein rebellischer Jugendlicher, weil mein Vater mich immer sehr unterstützt hat. Wir haben die Stray Cats in der Garage meiner Eltern gegründet, wo wir oft ganze Nächte durchgerockt haben. Meine Eltern haben sich darüber nie beschwert. Das war sehr cool!
Wie kam es, dass die Stray Cats ihre ersten großen Erfolge in Europa feierten?
Wir alle sind in einer Kleinstadt in der Nähe von New York City aufgewachsen. Wir haben mit den Stray Cats zuerst in Punk-Clubs wie dem CBGB’s und dem Max’s Kansas City gespielt. Anfangs kamen zu uns 30 Leute, beim nächsten Mal waren es schon 50 und dann 150. Es war offensichtlich, dass wir auf das Publikum eingehen konnten. Im Sommer 1980 war ich 17 Jahre alt und beschloss, mich mit meinen Freunden einmal in London umzuschauen, weil es dort so tolle Rock-’n’-Roll-Magazine wie den „Melody Maker" und den „New Musical Express" gab. Also kauften wir uns vier Flugtickets: drei für die Band und eins für meinen Bass.
Hatten Sie eine Strategie, wie Sie London erobern wollten?
Nein, wir schliefen im Hyde Park und in 24-Stunden-Kinos. Wir klopften an Türen und durften hier und da auftreten. Bevor uns klar wurde, was wir in London mit unserer Musik auslösten, saßen die Rolling Stones auch schon im Publikum. Eine endlose Liste an Leuten wollte uns sehen, darunter Led Zeppelin und The Who. Die Reaktionen auf die Stray Cats waren geradezu explosiv.
1981 durften Sie sogar mit den Rolling Stones auf Tour gehen.
Ja, wir haben mit ihnen ein paar Konzerte in den USA gespielt. Keith Richards spielte sogar auf einer Soloplatte von mir mit, die 1985 erschienen ist. Die Rolling Stones waren am Anfang sehr wichtig für uns, weil sie uns als Band anerkannten. Sie waren wirklich fantastisch zu uns.
Stimmt es, dass Mick Jagger das Debüt der Stray Cats produzieren wollte?
Ja. Im Sommer 1980 überschlugen sich die Ereignisse bei den Stray Cats. Die Rolling Stones wollten uns bei ihrer eigenen Plattenfirma Rolling Stones Records unter Vertrag nehmen, Jagger sollte uns produzieren. Zur selben Zeit hatten wir mehrere sehr interessante andere Angebote vorliegen. Rückblickend war es die richtige Entscheidung, uns von Dave Edmunds produzieren zu lassen.
War Jagger enttäuscht, als Sie sich gegen ihn entschieden?
Nein, wir sind dann ja noch mit den Rolling Stones auf Tour gegangen. Es war alles fein.
1985 spielten Sie mit Carl Perkins und Eric Clapton zusammen. Wie kam es dazu?
Das war wirklich unglaublich! Es geschah im Rahmen eines TV-Specials, an dem sich George Harrison, Ringo Starr, Johnny Cash, Dave Edmunds, Earl Slick und Carl Perkins beteiligten. Wir waren eine Woche lang zusammen und haben jeden Tag geprobt. Mit Carl war ich bis zu seinem Tod im Jahr 1988 eng befreundet. Nach fünf Jahren, in denen ich nonstop mit den Stray Cats auf Tour und im Studio war, brach die Band 1985 auseinander. Auf dem Höhepunkt unseres Erfolgs! Noch im selben Jahr gründeten Slim Jim und ich gemeinsam mit David Bowies früherem Gitarristen Earl Slick eine neue Band.
Beginnt für die Stray Cats gerade eine neue Ära?
Könnte sein. Ich plane meine Karriere aber nicht auf Jahre im Voraus. Wir haben jetzt diese Platte gemacht und werden erst einmal 25 Shows spielen. Dann legen wir eine Pause ein und werden darüber sprechen, ob wir mit den Stray Cats weitermachen. Es wird auf jeden Fall spannend werden, wenn ich mit meinen Partnern die Bühne betrete, wir uns in die Augen schauen und 40 Jahre Stray Cats feiern. Diese Tour ist auch für uns etwas sehr Emotionales. Nicht viele Bands spielen nach so langer Zeit noch in der Originalbesetzung.
Was ist das Besondere, wenn Brian Setzer, Slim Jim Phantom und Sie zusammenspielen?
Ich glaube, diese Band kitzelt musikalisch das Beste aus uns dreien heraus. Ich weiß nicht, ob Wettkampf das richtige Wort dafür ist, aber jeder von uns will bei den Stray Cats auf dem höchstmöglichen Level spielen. Wir spielen genauso gern für uns selbst wie für das Publikum. Unsere Konzerte sind auch körperlich eine Herausforderung. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht gegenseitig auf die Füße treten, weil es auf der Bühne nur drei Instrumente gibt. Übrigens verbringen wir mehr Zeit mit Diskussionen über die Setlist als mit Proben, weil wir so viele neue Songs haben. Bei uns probt jeder für sich, man sieht sich eigentlich erst auf der Bühne und es klappt jedes Mal hervorragend.
Könnten Sie auf dem Kontrabass eigentlich auch Stücke von Beethoven oder Mozart spielen?
Absolut. Es ist zwar schon lange her, aber ich würde es sicher noch hinkriegen. Für mich ist der Bass etwas ganz Natürliches, sozusagen eine Verlängerung meines Körpers. Die Noten fließen aus meinem Kopf direkt in die Saiten.