„Deutsches Brot ist ein Kulturgut", sagt Bäckermeister Tobias Exner aus Beelitz. Er ist Brotsommelier und bewertet, welches Brot zu welchen Speisen besonders gut passt. Backwaren haben es dem Brandenburger derart angetan, dass er sich 90 Tage lang überwiegend davon ernährte.
Unser tägliches Brot gib uns heute – Bäckermeister Tobias Exner hat diesen Satz aus dem Vaterunser wörtlich genommen. 90 Tage lang hat sich der Brandenburger überwiegend von Brot ernährt, das Achtfache dessen, was ein Mensch normalerweise isst. Er wollte beweisen, dass Brot nicht dick macht. Eine Kundin hatte ihn auf die Idee gebracht, als sie in einem der Fachgeschäfte der Bäckerei Exner wissen wollte, welches Brot sie kaufen müsse, um nicht zuzunehmen. Solche Fragen seien schon häufiger gekommen, sagt Exner, dabei werde man durch Brot überhaupt nicht dick. „In der Vergangenheit haben die Menschen viel mehr Brot gegessen als heutzutage und waren trotzdem schlanker", sagt er. Trotzdem werde immer wieder das Brot verdächtigt – wegen der darin enthaltenen Kohlenhydrate und weil die Industrie extra kohlenhydratarmes Brot propagiert. „Sie machen das, weil sich damit gutes Geld verdienen lässt", sagt Exner. „Die wahren Ursachen für die Gewichtszunahme in unsere Gesellschaft sind Zucker und Fett."
Mehr als 30 Brote im Sortiment
Er selbst hat während des Experiments 4,4 Kilo abgenommen. In den drei Monaten hat er Gewicht, Körperumfang und Blutwerte ebenso dokumentiert wie den Speiseplan. Über 20 verschiedene Brotsorten waren es am Ende, mal als Hauptgericht, mal als Beilage. „Abwechslung ist das A und O", meint Exner. Ursprünglich war das Projekt vor allem als Beitrag für seine Facharbeit während der Ausbildung zum Brotsommelier gedacht, doch nachdem das Ergebnis hohe Wellen geschlagen hat, will Tobias Exner dazu demnächst auch eine Webseite veröffentlichen, Vorträge halten und auch ein Buch darüber schreiben. Darin will er auch den Genussaspekt noch stärker in den Mittelpunkt rücken. Denn: „Wir haben heutzutage zum Teil verlernt, richtig zu genießen."
Als Brotsommelier liegt Exner dieser Aspekt besonders am Herzen. Seit Frühjahr 2019 darf er sich offiziell so nennen, nachdem er ein Jahr lang eine intensive Ausbildung an der Bundesakademie des Deutschen Bäckerhandwerks absolviert hat. „Das geht noch einmal deutlich darüber hinaus, was man als Bäckermeister lernt", sagt er. Dieser würde ein Brot vor allem aus technischen Gesichtspunkten beurteilen. Hat es eine gute Kruste, ein gutes Volumen, eine gleichmäßige Färbung? Natürlich spiele auch dort der Geschmack eine Rolle, allerdings wird das Backerzeugnis solitär betrachtet. „Ein Brotsommelier bewertet Brot dagegen auch im Kontext zu anderen Lebensmitteln", erklärt Exner. „Da geht es um die besonderen Charaktereigenschaften des Brotes, um die Aromatik und wie sie sich am besten mit anderen Speisen ergänzt."
Wenn man zum Beispiel ein deftiges Wildgulasch nimmt. Möchte man dazu ein Brot reichen, dann sollte man lieber kein Weißbrot verwenden, weil es in dem kräftigen Geschmack des Gulaschs eher untergeht. „Man kann das schon essen und man wird davon auch satt, aber es hat eben keine eigene geschmackliche Komponente", sagt Exner. Dagegen würde ein kräftig ausgebackenes Roggen- oder Roggenmischbrot viel besser passen.
Foodpairing heißt diese Methode, um zu ermitteln, welche Lebensmittel aus Sicht des Geschmacks gut harmonieren. Mit diesem Wissen hat Tobias Exner die Brotherstellung neu gedacht. „Wir können jetzt noch besser spezielle Produkte anbieten, die sich abheben, indem wir beispielsweise bestimmte Gewürze verwenden, die den Charakter des Brotes noch unterstreichen. Auch sei es nun möglich, je nach Jahreszeit unterschiedliche Brote zu kreieren – für den Sommer etwas Mediterranes mit Focaccia-Teig, im Winter dann eher ein behagliches Schweizer Nuss-Apfel-Brot." Solche Spezialitäten würden von den Kunden gut nachgefragt. Dinkelprodukte machen zum Beispiel aktuell schon rund ein Viertel der Umsätze beim Brotverkauf aus. Über 30 davon hat die Bäckerei Exner im Sortiment.
Auf die Frage, was ein gutes Brot ausmacht, antwortet Tobias Exner: „Der beste Geschmacksgeber ist die Zeit. Das ist wie beim Käse, den lässt man auch reifen." Ebenso wichtig sei eine gute Kruste, die rund 80 Prozent der Aromastoffe enthält. „Ohne Kruste kein Charakter", bringt es Exner auf den Punkt. „Das Brot macht dann zwar auch satt, aber ich würde es jetzt nicht unbedingt als Genuss bezeichnen."
„Viele Länder beneiden uns um unser Brot"
Die Bäckerei Exner existiert seit 1928. Heute hat der Familienbetrieb aus Beelitz 34 Fachgeschäfte und beschäftigt rund 250 Mitarbeiter. Gebacken wird ohne Zusatzstoffe und mit viel Wert auf die Regionalität – nahezu alle Rohstoffe stammen aus einem Umkreis von 50 Kilometern. Tobias Exner experimentiert auch gern mit alten Getreidesorten wie Waldstaudenroggen oder Champagnerroggen, den die Bauern vom Fläminger Genussland extra für ihn anbauen. Mit dem gleichnamigen Schaumwein hat dieser übrigens nichts zu tun – die Sorte stammt nur ursprünglich aus der französischen Region Champagne. Weil ihre Halme sehr empfindlich sind, wurde sie irgendwann jedoch kaum noch angebaut. Nun feiert sie zumindest teilweise ihre Renaissance. Vor einigen Jahren hatte Exner die Sorte schon einmal auf der Grünen Woche präsentiert. Damals waren die Besucher begeistert.
72 Brotsommeliers gibt es in Deutschland, knapp 80 sind es weltweit. Das allein zeigt schon, welche Bedeutung gutes Brot hierzulande genießt. Als Brotsommelier ist Tobias Exner ein Botschafter dieser Brotkultur. „Deutsches Brot ist ein Kulturgut", sagt er. Davon würden auch zahlreiche Einträge mit Brot im Duden zeugen: Wer arbeitet, geht demnach einem Broterwerb nach; was finanziell nicht genug einbringt, ist dagegen brotlose Kunst. Und im Mittelalter, als der Bäcker einer der wichtigen Personen im Ort war, wurde eigens eine Strafe für minderwertiges Brot eingeführt, die sogenannte Bäckertaufe. „Das gibt es in dem Maß weltweit kein zweites Mal. Viele Länder beneiden uns um unser Brot. Und wenn wir aus dem Urlaub zurückkommen, und sei es noch so schön gewesen, dann freuen wir uns doch auf ein gutes Vollkornbrot." Selbst Prominente wie Schauspielerin Romy Schneider oder Tennislegende Steffi Graf haben bereits öffentlich berichtet, sie hätten Sehnsucht nach einer Stulle.
Zur Realität gehört jedoch auch, dass mittlerweile vielerorts Backshops mit Industrieware die alteingesessenen Bäcker verdrängen, vor allem in Ostdeutschland. „In der DDR wurden viele Handwerksbetriebe verstaatlicht und zu Großbetrieben zusammengefast, das hat die dortige Brotbackkultur ein Stück weit zerstört", erklärt Exner. Die Folge: In Berlin und Brandenburg stammen nicht einmal mehr 20 Prozent des verzehrten Brots von einem Handwerksbäcker – in Süddeutschland sind es dagegen immer noch fast 60 Prozent. Allerdings habe er in den vergangenen Jahren einen entgegengesetzten Trend festgestellt, sagt Exner. „Die Wertigkeit von Lebensmitteln gewinnt zurzeit wieder an Bedeutung." Auch deshalb sei es wichtig, dass die Bäcker die Besonderheit ihrer Produkte hervorheben. So wie er es mit seinem kleinen Experiment getan hat.