Die promovierte Physikerin Helene Hoffmann lebte und arbeitete 14 Monate auf der Neumayer-Station III in der Antarktis. Im Interview spricht die 33-Jährige über die intensive Vorbereitungszeit, das Leben im ewigen Eis und warum die Pinguine sie so beeindruckt haben.
Frau Hoffmann, 14 Monate in Eis und Schnee mit neun anderen Menschen in absoluter Abgeschiedenheit … Wie kamen Sie darauf, das zu machen?
Ich hatte schon immer eine große Affinität zu Eis und Schnee, das hat mich schon immer fasziniert. Gletscher und Polargebiete fand ich schon immer toll und hatte mich schon im Diplom auf Gletscherforschung spezialisiert. Ich wollte schon immer als Physikerin arbeiten, aber nicht im dunklen Keller, sondern draußen. Ich wollte verstehen, wie die direkte Welt, die ich sehen kann, funktioniert.
Die Arbeitsgruppe der Glaziologen, bei denen ich gearbeitet habe, hatte schon immer einen guten Kontakt zum Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, das die Neumayer-Station III in der Antarktis betreibt. Irgendwann habe ich dann erfahren, dass es Stellen gibt, um auf der Neumayer zu überwintern, und dass diese jedes Jahr neu ausgeschrieben werden. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Als ich meine Promotion fertig hatte, dachte ich: jetzt oder nie. In zehn Jahren, wenn ich vielleicht Familie habe, dann mache ich das nicht mehr.
Welche Voraussetzungen mussten Sie bei der Bewerbung mitbringen?
In der Bewerbung wurde natürlich zunächst das Fachliche gefragt, aber im Gespräch wurde man nach Sachen gefragt, die man vielleicht sonst nicht so gefragt wird. Zum Beispiel, ob ich irgendwelche teamfähigen Hobbys habe. Ich tanze sehr gerne, ich spiele sehr gerne Theater. Die suchen Leute, die sich nicht nur vor den Fernseher hocken oder am Computer zocken. Es wird ein bisschen drauf geschaut, dass man die Fähigkeit mitbringt, sich mit anderen Menschen abzugeben. Ich musste auch noch zu verschiedenen Ärzten, um abzuklären, dass alles in Ordnung ist.
Gab es auch psychologische Tests?
Nicht bei der Bewerbung. Aber später, als das Team zusammen war. Wir haben uns im August 2017 in Bremerhaven getroffen und dann drei Monate in einer Art großen WG verbracht und uns kennengelernt. Es fanden dann Teambildungs-Maßnahmen statt, wir sind zum Beispiel zusammen auf den Gletscher und lernten Spaltenrettung. In dieser Zeit standen wir unter Beobachtung, da wurde schon geschaut, ob das Team funktioniert. Da hätte auch jeder von uns sagen können, nein, ich kann das nicht, ich komme zum Beispiel mit einer bestimmten Person nicht klar.
Ist jemand in der Zeit ausgeschieden?
Es gab jemanden, bei dem das Institut während der Vorbereitung entschieden hat, ihn rauszunehmen. Wir haben diese Entscheidung damals als Team nicht wirklich verstanden, denn er war sehr nett. Im Nachhinein kann ich es eher nachvollziehen. In so einem antarktischen Winter wird man sehr dünnhäutig und sensibel, da können einen Kleinigkeiten auf die Palme bringen. Das hätte Konfliktpotenzial gehabt. Das Institut hat seit 30 Jahren mit der Überwinterung auf der Station zu tun, die haben da einiges an Erfahrungswerten.
Wie ging es Ihnen vor Antritt der Reise?
Ich fühlte überwiegend Vorfreude. Natürlich war mir auch ein bisschen mulmig. Ich glaube, das ging den anderen ähnlich. Ich habe mir aber keine Sorgen um mich gemacht, sondern mehr um die Menschen, die ich zurücklasse.
Wieso?
Meine Eltern sind nicht mehr die jüngsten. Die Vorstellung, da passiert etwas und ich kann nicht ins nächste Flugzeug steigen und bin in ein paar Stunden daheim, das war einer der größte Faktoren.
Wie waren die 14 Monate auf der Station für Sie?
Von den 14 Monaten sind neun Monate Winter, das heißt, es kommt kein Schiff und kein Flugzeug, man könnte nicht weg, wenn irgendwas wäre. In dieser Zeit ist man mit den anderen neun Leuten aus dem Team alleine. Die restlichen Monate davor und danach sind antarktischer Sommer, da wird die Station von sehr vielen Menschen bevölkert. Es kommen Techniker, die Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten vornehmen, und auch ganz viele Wissenschaftler von überall auf der Welt, die dort ihre Forschungsprojekte machen. Dann ist man nicht mehr zu zehnt, sondern plötzlich mit über 50 Leuten auf der Station. Das ist dann doch recht hektisch und voll. Der zweite Sommer fühlte sich ein bisschen eigenartig an. Man ist neun Monate alleine, das wird dann zu einem Zuhause, und dann kommen plötzlich so viele Menschen, die sich da breitmachen, das war eine Herausforderung (lacht).
Was ist, wenn in den neun Monaten, in denen Sie von der Außenwelt abgeschnitten sind, etwas passiert?
Wir waren vielfältig zusammengestellt, nicht nur Wissenschaftler. Es waren eine Köchin, ein Arzt, zwei Techniker und ein Funker dabei. Die Kommunikation funktioniert, wir hatten auch Internet und Telefon. Und der Arzt ist immer ein Chirurg. Es gibt einen voll ausgestatteten OP. Es könnte zum Beispiel auch eine Blinddarm-OP durchgeführt werden.
Wie waren die Platzverhältnisse auf der Station?
Im Winter ist da sehr viel Platz, da hat jeder sein eigenes Zimmer, die sind etwa zehn Quadratmeter groß und sehr komfortabel. Man hat ein eigenes Bett, einen Schreibtisch und Schrank und Regale. Da kann man sich auch mal zurückziehen und die Tür hinter sich zumachen. Im Sommer, wenn die Gäste kommen, reicht der Platz dann nicht. Da gibt es dann noch Gästezimmer, in dem Sommergäste in Vierbettzimmern untergebracht werden. Wenn dann der Nachfolger kommt, teilt man das eigene Zimmer in der Übergangszeit von sechs Wochen mit ihm.
Und das hat funktioniert?
Ja, hat funktioniert (lacht).
Wie haben Sie Ihre Freizeit verbracht?
Langweilig wird es auf Neumayer so schnell nicht. Es gibt einen gut ausgestatteten Sportraum, eine Tischtennisplatte und einen Billardtisch. Aber zum Beispiel auch eine große Sammlung von Filmen und Brettspielen und sogar ein Klavier. Wir haben abends recht viel zusammen gemacht, zum Beispiel hat sich im Winter zeitweise eine sehr lustige Doppelkopfrunde zusammengefunden. Ich persönlich habe auch ziemlich viel gestrickt und habe zusammen mit unserem Stationsingenieur antarktische Schneekristalle konserviert.
Was waren Ihre Aufgaben?
Ich war angestellt in der Position der Luftchemikerin. Ich bin zwar Physikerin, aber in den Umweltwissenschaften sind die Übergänge sehr fließend. Ich habe das sogenannte Spurenstoffobservatorium betreut.
Was heißt das genau?
Wir haben immer Spuso dazu gesagt (lacht). Dort wird die physikalische und chemische Zusammensetzung der Luft untersucht. Es geht um Klimaforschung. Die großen Treibhausgase werden gemessen. Die Antarktis ist so weit weg von menschlicher Zivilisation, dass man dort noch den globalen Hintergrund messen kann. Von physikalischer Seite aus haben wir die Partikelbildung untersucht, also, wie sich winzig kleine Partikel in der Luft bilden und zum Teil so weit wachsen, dass sie anfangen, Wolken zu bilden. Denn Wolken sind auch ganz wichtige Faktoren im Klimasystem und sind ganz schwierig zu verstehen.
Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Die Experimente, die dort laufen, sind Langzeitexperimente. Die laufen dort schon seit 30 Jahren und länger. Wenn man Klimaforschung betreibt, dann braucht man einen langen Atem. Ich habe lediglich ein weiteres Jahr dieser Zeitreihe zugefügt. Da kam jetzt nicht diese eine große Erkenntnis. Wenn man sich diese ganze Zeitreihe anschaut, dann sieht man zum Beispiel, dass das CO2 in der Antarktis signifikant ansteigt. Da gibt es ein Instrument, das den CO2-Gehalt sekündlich misst. Ich bin jeden Tag dorthin gelaufen und habe auf diesen Wert geschaut. Dann sieht man über ein Jahr, wie er ansteigt und das mitten in der Antarktis. Das ist das Mittel über die Welt, denn hier steht nicht die BASF nebenan. Das fand ich gruselig.
Wie schätzen Sie das mit dem Klima ein?
Ich mache mir Sorgen. Aber Prognosen sind schwierig. Wo man sich einig sein kann, ist, dass man den CO2-Ausstoß begrenzen muss. Das ist relativ einfache Physik. Wir können nicht unendlich mehr rausballern, ohne dass es schwerwiegende Konsequenzen hat.
Was hat Sie in der Antarktis am meisten beeindruckt?
Diese Natur um einen rum. Die Weite, die man hier so nicht erlebt. Vorher haben viele Leute zu mir gesagt, das wäre doch langweilig, nur weiß und flach. Das stimmt, es ist weiß und flach. Aber weil die Luft so sauber ist, kann man an guten Tagen etwa 80 Kilometer weit schauen. Und es ist nicht nur weiß, man hat immer weiß und blau vom Himmel. Und wenn die Sonne untergeht, gibt es wunderschöne Dämmerungsfarben, das gesamte Farbspektrum, die sehr lange anhalten. Das ist sehr schön.
Was war das nachhaltigste Erlebnis für Sie?
Wir hatten einmal ein grandioses Polarlicht, auf das wir lange gewartet hatten. Das hatte ich vorher noch nie erlebt, dass der ganze Himmel grün und lila war, alles hat geleuchtet, das hat mich sehr beeindruckt. Die zweite Sache: Es gibt in der Nähe dort eine große Kaiserpinguin-Kolonie. Das ganze Jahr haben wir den Lebenszyklus dieser Tiere mitverfolgt. Die brüten auch dort. Einmal haben wir im August einen Ausflug dorthin gemacht – es gibt ja nicht so vieles, wohin man einen Ausflug machen kann (lacht) – und da haben wir zum ersten Mal die Pinguinküken piepsen gehört. Dann sind wir ein bisschen näher ran und haben gesehen, dass in den Bauchfalten von den Altvögeln so tennisballgroße Küken sitzen, die von ihren Vätern drei Monate lang im antarktischen Winter ausgebrütet wurden. Es war sehr berührend.
Hatten Sie auch mal schlechte Zeiten?
Natürlich wird irgendwann alles Routine, man nimmt irgendwann die Antarktis nicht mehr ganz so bewusst wahr. Dann ist es wie bei jeder anderen Arbeit und wie in einer Familie, da ist nicht immer alles Gold, und man geht sich auch mal auf die Nerven und hat auch mal keine Lust, vor allem, wenn mieses Wetter ist. Aber ich hatte keine Phase, wo ich dachte, ich will nicht mehr. Dafür hat die Antarktis zu viel in petto, womit sie einen dann wieder überrascht.
Wie war das Zurückkommen für Sie?
Es war schon ein bisschen komisch. Wir sind erst mal in Kapstadt gelandet und sind ausgestiegen, da hatte ich das Gefühl, ich laufe gegen eine Wand. Es war Hochsommer und warm und vom Gefühl eine unglaubliche Luftfeuchtigkeit, was in Kapstadt gar nicht so ist. Das war erst mal ein krasser Gegensatz, von der Antarktis nach Afrika (lacht). Wir haben dann zehn Tage Urlaub gemacht, und das war schön. Wir konnten abends draußen sitzen (lacht). Dann zurück in Deutschland, das war eigenartig. Am Anfang hatte ich eine große Abneigung gegen Menschenmassen. In den ersten Tagen war ich zum Einkaufen in die Stadt gefahren und dachte: Oh, Gott nein. So viele Menschen! Man gewöhnt sich aber auch sehr schnell wieder dran.
Wie geht es weiter?
Momentan hab ich Urlaub. Das Alfred-Wegener-Institut zahlt noch ein paar Monate. Man hat ja in der Antarktis-Zeit eine Sieben-Tage-Woche und jede Menge Überstunden. Ich möchte der Wissenschaft gerne treu bleiben. Momentan schreibe ich zusammen mit Kollegen aus Innsbruck einen Antrag für Forschungsgelder, in dem es um ein Projekt mit Alpen-Gletschern geht.
Um was genau geht es?
Es geht auch um Klimaforschung und darum, wie alt die Gletscher in den Alpen sind. Es geht auch um Mensch-Umwelt-Besiedlung. Also darum, wie die Leute früher auf Gletscherveränderungen reagiert haben. Natürlich war das nicht so extrem wie heute.
Haben Sie einen Traum, den Sie sich gerne erfüllen würden?
Es gibt so viele spannende Sachen (lacht). Momentan gibt es ein großes Projekt in der Antarktis. Es wird das ein Million Jahre alte Eis gesucht, und es gibt Pläne, einen Eiskern zu bohren, in dem man eine Million Jahre zurückschauen kann. Damals hat sich in dem Rhythmus zwischen Kalt- und Warmzeiten etwas geändert. Das fände ich sehr spannend. Das Klimasystem voll und ganz zu verstehen, das wäre mein Traum. Das werde ich zu meinen Lebzeiten aber nicht mehr rauskriegen. Aber wenn ich ein Puzzleteil dazu beitragen kann, dass wir besser verstehen, an welchen Schrauben wir am besten drehen, dann ist das ein großes Ziel.
Wollen Sie irgendwann noch mal in die Neumayer-Station?
Ich hab mich dort schon sehr wohlgefühlt. Aber aktiv vermisse ich sie nicht, es ist hier Frühling, und das ist auch sehr schön, das ganze Grün und die Blüten. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, würde ich aber schon sehr gerne noch einmal an diesen besonderen Ort fahren.
Wie hat die Zeit auf der Neumayer Sie verändert?
Wenn man mal eine Zeit lang an so einem außergewöhnlichen Ort verbracht hat, dann wächst der Respekt vor diesem Planeten. Insbesondere die Erfahrung, dass wilde Tiere, insbesondere die Pinguine ohne Scheu und ohne Vorurteil auf einen zukommen, Interesse zeigen und sich anschauen möchten, wer diese komischen roten Vögel sind. Das fand ich sehr beeindruckend und dachte mir: Wie könnte die Welt sein? Das erlebt man ja hier gar nicht. Alle Tiere, die man hier im Wald sieht, ergreifen die Flucht. Ich habe viel mehr Respekt vor diesem Planeten bekommen und wie die Erde sein könnte, wenn wir nicht so viel Mist damit anstellen würden.