Nicht nur Weimar, Dessau und Berlin feiern in diesem Jahr 100 Jahre Bauhaus. Auch in Eisenhüttenstadt macht sich eine Sonderausstellung auf Spurensuche – und zeigt den Bauhaus-Einfluss auf DDR-Design.
Das Dokumentationszentrum für Alltagskultur der DDR sammelt eigentlich alles, was den Alltag der Menschen im Osten bestimmte: Möbel, Technik, Töpfe, Gläser, auch Bücher und Plakate. Zweckmäßig mussten diese Gegenstände sein, industriell herstellbar, auf Langlebigkeit hin konzipiert. Und folgten somit in Vielem den Idealen des Bauhauses. Genau das war für die Kuratoren der aktuellen Schau in Eisenhüttenstadt, Florentine Nadolni und Axel Drieschner, Anlass genug, den Bestand des Hauses gründlich zu untersuchen. Auf den Spuren von Bauhäuslern, die auch im Osten Deutschlands gewirkt hatten. Das Ergebnis: An erstaunlich vielen Objekten lässt sich eine direkte Linie von den Bauhausvätern zu DDR-Designern belegen.
Die Spurensuche beginnt in der oberen Etage des Gebäudes mit der Möbelgestaltung in der sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR. Viele ehemalige Bauhausstudenten lebten damals noch im Osten, zum Beispiel der aus Jugoslawien stammende Selman Selmanagic, ein gelernter Schreiner. Oder Franz Ehrlich, Tischler von Beruf, der sich schon in den Bauhauswerkstätten unter Direktor Hannes Meyer am Entwurf einer Volkswohnung beteiligt hatte. Ihre fundierte Ausbildung machten sich nach dem Krieg die Deutschen Werkstätten Hellerau bei Dresden zunutze. Wohnungen waren Mangelware im zerstörten Land, Möbel auch, Material sowieso. In Hellerau hatte man schon vor dem Krieg damit experimentiert, beispielsweise auch minderwertige Hölzer schichtweise zu verleimen und unter Druck und Hitze zu verformen. Diese Verarbeitung ermöglichte es, fast 50 Prozent Holz einzusparen und die Herstellungskosten erheblich zu senken. Ein auf diese Weise entstandener Furnierstuhl, der sogenannte Menzelstuhl, ging in den 50ern in Serie. Selman Selmanagic entwickelte ihn im gleichen Jahrzehnt weiter zum schlichten Armlehnsessel-Modell 53693 mit gepolsterter Sitzfläche und Rückenlehne, der in vielen DDR-Wohnzimmern stand. Weil der Bedarf an Möbeln groß, Wohnraum aber meist sehr begrenzt war, entwickelten die Deutschen Werkstätten Hellerau Ende der 50er-Jahre ein Möbelprogramm nach dem Baukastenprinzip. Hier war Franz Ehrlich maßgeblich beteiligt. Die Möbelserie 602 war formschön, ließ sich vielfach miteinander kombinieren und ist heute ein wahrer Designklassiker.
Ein weiterer Bereich der Ausstellung widmet sich der Gefäßgestaltung. Auch hier lässt sich die Linie von berühmten Vertretern des Bauhauses zu DDR-Designern direkt verfolgen. Ein Beispiel: das Teeservice von Wilhelm Wagenfeld, ein Klassiker wie das platzsparende Vorratsgeschirr „Kubus" aus Pressglas, hergestellt in den Vereinigten Lausitzer Glaswerken (VLG). Wagenfeld ging bereits 1947 in den Westen zu WMF (Württembergische Metallwarenfabrik). Doch sein Einfluss wirkte in der DDR nach. Erich Müller, später Gestalter am Institut für Angewandte Kunst Berlin, übernahm das Wagenfeld’sche Funktionsprinzip – hygienisch, stapelbar und dennoch formschön – auch für Alltagsgeschirr. Zu sehen ist in der Eisenhüttenstädter Ausstellung unter anderem das von ihm und Margarete Jahny entwickelte Geschirr „Rationell", dessen bekanntestes Teil, das sogenannte Mitropa-Kännchen, wohl in jeder ostdeutschen Kantine oder Gaststätte zu finden war.
Baushausstil war für Ulbricht „volksfeindlich"
Mit der Gründung der DDR aber verstärkte sich der sowjetische Einfluss auf die ostdeutsche Kulturpolitik enorm. Die von den Bauhäuslern vertretene einfache und zweckmäßige Formensprache wurde als unschön angeprangert.
SED-Parteichef Walter Ulbricht mischte sich höchstpersönlich ein. In seinen Ausführungen zum ersten Fünfjahresplan wird der „Bauhausstil als volksfeindliche Erscheinung" eingestuft. Ulbricht forderte, sich von westlichen Entwicklungen abzugrenzen. Die Deutsche Bauakademie verfasste Leitlinien für die ostdeutsche Möbelproduktion, und ein ihr angegliedertes neues Forschungsinstitut für Innenarchitektur übernahm gar deren institutionelle Überwachung. Der Vorwurf des Formalismus wirkte in alle kulturpolitischen Bereiche hinein, auch in die Gebrauchsgrafik, die Gefäßgestaltung und Architektur.
Das lässt sich gut am Ausstellungsgebäude selbst, dem Dokumentationszentrum für Alltagskultur der DDR, festmachen.
Das zweistöckige Gebäude (früher ein Kindergarten) mit einem Säulenportal und zwei Nebenflügeln stammt aus der Zeit, als der Ort noch Stalinstadt hieß. In den frühen 50er-Jahren als Wohnstadt für die Arbeiter des neuen Hüttenwerks erbaut, ist der gesamte zweite Wohnkomplex in stalinistischer Manier nach sowjetischen Vorgaben gestaltet. Heute ist die erste deutsche Planstadt eines der größten Flächendenkmale Deutschlands – und ein Beispiel für das widersprüchliche Verhältnis ostdeutscher Stadtplaner zur Moderne. Erst mit dem Tode Stalins klang die Formalismusdebatte langsam ab. Zunehmend musste sich eine neu herangewachsene Generation von Gestaltern damit auseinandersetzen, dass Materialknappheit einem steigenden Bedarf gegenüberstand. Modernes Design in Möglichkeiten industrieller Massenproduktion zu übersetzen wurde zur neuen Herausforderung.
Hier räumt die Ausstellung einem der führenden Innenarchitekten der DDR, Rudolf Horn, breiten Raum ein. Der Absolvent der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein entwickelte für die Deutschen Werkstätten Dresden Hellerau das Möbelprogramm MDW: universell einsetzbare Bretter, bestehend aus Pressspanplatten mit dünnem Furnier. Rudolf Horn und sein Team griffen damit die Herausforderung der Bauhäusler aus den 20er-Jahren auf, Möglichkeiten der industriellen Fertigung mit größtmöglicher Varianzbreite zu finden. Anstelle eines fertigen Möbelkorpus traten normierte Einzelteile, die nach individuellen Wünschen zusammengesetzt werden konnten, beispielsweise bei Zuwachs in der Familie. Ein offenes Prinzip – ähnlich dem von Ikea. Noch bis in die 90er-Jahre wurde die MDW-Serie produziert.
Möbel nach dem IKEA-Prinzip
Ein ähnlich offenes Prinzip fand sich in der DDR auch bei der Gestaltung und Produktion anderer Konsumgüter wieder – zum Beispiel bei Fahrzeugen. Karl Claus Dietel und Lutz Rudolph entwickelten 1967 das Mokick S50. In einem Stahlrohrrahmen waren sämtliche Funktionsteile offen sichtbar angeordnet. Im Falle technischer Änderungen durch den Hersteller Simson musste so nicht die ganze Produktionsstrecke umgestellt werden. Zudem kam der Fahrzeughalter bei Reparaturen an alle Teile gut heran oder konnte Neuerungen selbst nachrüsten. Das von den Bauhäuslern angestrebte Prinzip der Langlebigkeit wurde hier beispielhaft verwirklicht, S50-Mokicks sind noch heute auf den Straßen unterwegs.
Die anhaltend schwierige Versorgungslage forderte die Kreativität der Gestalter – auch bei der Suche nach immer neuen Materialien.
SED-Chef Ulbricht verlangte im Jahr 1959, „die Produktion von Konsumgütern aus Plasten in schnellem Tempo zu entwickeln".
Eine Pressmasse aus Melaminharz, Meladur genannt, kam auf den Markt. Daraus entwickelten Gestalter der neu gegründeten Hochschule Halle Burg Giebichenstein eine Vielzahl von Geschirrvariationen – darunter Tassen und Trinkbecher, aber auch Vorratsdosen.
Manches galt als gelungen, etwa ein rechteckiger Schalensatz, der an das universelle Kubusgeschirr von Wilhelm Wagenfeld erinnert und es bis in die Abteilung „Angewandte Kunst" der Kunstausstellung in Dresden schaffte. Anderes gehört ins Sammelsurium gesichtsloser Alltagsgegenstände, die nichtsdestotrotz bis zum Ende der DDR produziert wurden. •
Die Sonderausstellung „Alltag formen! Bauhaus-Moderne in der DDR" im Dokumentationszentrum für Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt ist bis zum 5. Januar 2020 zu sehen.
Empfehlenswert ist auch der Katalog zur Ausstellung mit vertiefenden Informationen und vielen Fotos.