Seine Wahl war die Sensation der Kommunalwahlen. Nach mehr als 40 Jahren SPD-Herrschaft übernimmt die CDU die Rathausspitze der Landeshauptstadt. Uwe Conradt über Zusammenhalt, Projekte und den Einfluss grüner Ideen in der Stadtpolitik.
Herr Conradt, was sind die Lehren für den künftigen Oberbürgermeister aus den Erfahrungen des Wahlkampfs?
Für mich ist die Lehre: Es gibt viele Stadtteile, die sich nicht gesehen fühlen, die sich teilweise nicht zugehörig fühlen, oder sich als fünftes Rad am Wagen empfinden. Wir sind aber nur dann das eine Saarbrücken, wenn wir uns alle zugehörig fühlen. Das heißt, wir müssen nach innen zusammenfinden, die Probleme des jeweils anderen Stadtteils und der Menschen, die darin leben, besser wahrnehmen und Lösungen als eigene Lösungen erkennen. Die Armut der Kinder in Malstatt oder in Burbach ist nicht das Problem der Stadtteile, sondern ist eine Herausforderung für die ganze Stadt. Die Fußgängerzone in Dudweiler ist nicht ein Problem von Dudweiler, sondern muss als wichtiges Projekt in ganz Saarbrücken wahrgenommen werden. Und so weiter.
Also eine Frage der Mentalität?
Genau. Daran müssen wir arbeiten.
Wie soll das konkret funktionieren?
Als gebürtiger Saarbrücker sehe mich selber in der Pflicht, die Menschen, die Stadtteile zusammenzuführen, gemeinsame Perspektiven zu entwickeln. Dazu müssen die Menschen wahrgenommen werden. Wir fangen damit an, in jedem Stadtteil Zukunftswerkstätten zu machen. Wir werden Bilder davon, wie es heute ist und wie es Zukunft sein wird, präsent machen. Es ist wichtig, über Bilder deutlich zu machen, was wir geändert haben. Wir müssen die Kommunikation und die Beteiligungsmöglichkeiten verbessern. Mir ist ganz wichtig: nicht nur Beteiligung in der Planung, sondern auch in der Umsetzung. Da geht es darum, Nachbarschaften zu aktivieren, etwa auf dem Eschberg, um einen Problembereich zu nennen, wo es in Teilen zu wenig Nachbarschaftsleben gibt.
Wie muss man sich das konkret vorstellen? Ein regelmäßiges Treffen, eine feste Anlaufstelle?
Es wird Versammlungen der Menschen aus dem Stadtteil mit dem Oberbürgermeister und vielleicht ein, zwei Vertretern der Verwaltung geben. Es wird aber nicht so sein, dass dann die Stadt bereits fertige Pläne präsentiert. Ziel ist, dass wir gemeinsam Probleme und Herausforderungen besprechen und Ziele erarbeiten. Dann berichtet der Oberbürgermeister, wie er die Probleme angeht, er berichtet auch in die Verwaltung, was er zusammen mit der Stadt erarbeitet hat. Es wird also ein konkretes Berichtswesen geben, um auch Verbindlichkeit zu schaffen. Ein weiterer Punkt: Oft ist es so, dass in einem Stadtteil ein Problem angesprochen wird, im anderen ist es das Gleiche. Aufgabe der Verwaltung ist eine Transferleistung: Warum haben wir das Problem und wie können wir es lösen und zwar für alle Stadtteile?
Überall auf der Welt werden Verwaltungen kritisiert. In Saarbrücken scheint das aber besonders ausgeprägt zu sein. Welche Vorstellungen hat der neue Oberbürgermeister?
Im Wahlkampf ist mir das Thema Verwaltung bei der Berufsfeuerwehr begegnet. Das war ein großes Thema in den Medien. Ich habe das im Wahlkampf aber bewusst nicht aufgegriffen. Die Mitarbeiter dort hatten es ohnehin schon schwer, bundesweit so in den Medien zu stehen. Noch schlimmer wäre es gewesen, zusätzlich noch in den Wahlkampf zu geraten. Mir ist wichtig, dass wir Mitarbeiter haben, die mit Freude und gerne zur Arbeit gehen. Das kann man nicht über Medien erreichen, das ist eine interne Führungsaufgabe. Wahrzunehmen, wo es Probleme gibt, mit den Mitarbeitern für Lösungen zu arbeiten, Ziele abzugleichen und Wertschätzung zu geben. Das ist es, was wir brauchen, um die unglaubliche Kraft freizusetzen, die nötig ist, um die Stadt voranzubringen. Mit den Bürgern auf der einen und der Verwaltung auf der anderen Seite.
An Großbaustellen mangelt es nicht: Stadion, Messe, Cispa-Umfeld, die Autobahn-Tunnel-Diskussion, Wohnungssituation … Wird der neue Oberbürgermeister das alles gleichzeitig anpacken?
Klingt vielleicht komisch, aber Ja. Ich will die Übergangsphase bis zum offiziellen Amtsantritt bereits nutzen, um möglichst viel vorzubereiten, jetzt schon Zukunftswerkstätten einzurichten. Vor allem: Ich werde selber Praktika machen in der Verwaltung, um dort stärker reinzufühlen. Ich glaube schon, dass wir in diesem ambitionierten Programm an ganz vielen Stellen parallel anfangen müssen, um Geschwindigkeit reinzubekommen. Vielleicht nicht alles im Jahr 2019, das ist nach Dienstbeginn am 1. Oktober ja nur noch sehr kurz.
Vieles hängt ja auch davon ab, auf welche Mehrheiten sich der Oberbürgermeister im Stadtrat stützen kann. Welche von den rechnerisch möglichen wird es?
Das ist eine Frage, die in den nächsten Tagen zu klären sein wird. Ich gehe davon aus, dass wir die Gespräche jetzt sehr bald führen, und dass wir die Gespräche auf der Grundlage des Programms des Oberbürgermeisters führen, denn der Oberbürgermeister hat das Programm zusammen mit den Bürgern erarbeitet. Das ist das Programm, das ich die kommende Ratsperiode umsetzen möchte, gegebenenfalls auch darüber hinaus.
Nun funktioniert ein Stadtrat ja etwas anders als ein Landesparlament. Wie kann die Zusammenarbeit, unabhängig von den Koalitionsverabredungen, aussehen? Gilt auch da das von Ihnen genannte Leitmotiv Vertrauensbildung?
Es ist natürlich kein Nachteil, selber zehn Jahre im Stadtrat gewesen zu sein und einen ganz wesentlichen Teil der Mitglieder zu kennen und, wie ich finde, zu vielen auch ein gutes Verhältnis zu haben. Es hilft, wie auch in anderen Gremien, nicht immer in Partei-Schemata zu denken oder in Fraktionen und Lagern, sondern vor allem den Menschen wahrzunehmen, der sich für seine Heimatstadt engagiert. Man sollte nicht vergessen: Im Stadtrat sitzen Saarbrückerinnen und Saarbrücker, um ihre Stadt voranzubringen. Ich glaube, auch wenn man in Sachfragen vielleicht manchmal unterschiedliche Meinungen hat, unterschiedliche gesellschaftliche Prägungen mitbringt, dass der Wille, diese Stadt voranzubringen, bei allen da ist.
Die Grünen haben in der Stadt knapp 20 Prozent bekommen …
… Gratulation …
… das ist ein Ausdruck von Anliegen und Themen, die Bürger berücksichtigt wissen wollen. Ist das nicht unabhängig von Koalitionsentscheidungen ein deutlicher Auftrag?
Das ist ein sehr klares Votum, das aufzeigt, dass wir in zentralen Bereichen der Verkehrspolitik, der Energiepolitik, auch in Bereichen der Wohnungspolitik in Saarbrücken Nachholbedarf haben. Unsere Stadt sieht doch noch sehr nach einer typischen Großstadt der 90er-Jahre aus, was das Stadtbild angeht. Ich glaube, dass es Änderungen geben muss.
Nun kann man zubetonierte Bereiche nicht einfach wieder aufreißen.
Nein. Aber man könnte zum Beispiel damit anfangen, dass wir die Gelder des Bundes für energetische Sanierung der Grundschulen abrufen und die Schulen energetisch sanieren, dass wir auf den städtischen Gebäuden Fotovoltaik-Anlagen haben, dass wir vernetzte Mobilität haben, ein Fahrradverleihsystem, Umsteigemöglichkeiten an zentralen Punkten des ÖPNV, eine bessere Taktung, damit es attraktiv wird, den ÖPNV zu nutzen. Ich halte auch die Frage für ein zentrales Thema, ob wir nicht mehr Erträge im ÖPNV bekommen können, wenn wir die Preise absenken.
Viele Baustellen und wenig bis gar kein Geld sind Kennzeichen für die Situation der Stadt. Wie wird es mit dem Haushalt weitergehen? Wird die Kommunalaufsicht die Entwürfe auch in Zukunft immer wieder mal zur Überarbeitung zurückschicken?
Ich hoffe nicht. Ich hoffe, dass wir den Haushalt so aufstellen, dass wir ihn schon ganz früh im Jahr genehmigt haben. Das brauchen wir, damit Bauvorhaben möglichst frühzeitig ausgeschrieben werden können. Wir brauchen eine Reihe neuer Kitas, was eine hohe Priorität in der Stadt hat, wir müssen die Grundschulen sanieren, und wir müssen sehen, die Bauvorhaben über das Jahr umgesetzt zu bekommen. Je später der Haushalt genehmigt wird, desto weniger Zeit bleibt, all das zu tun. Das Ludwigsparkstadion zeigt wie in einem Brennglas, wie schwierig es wird, wenn man Bauvorhaben verzögert, dann noch im Kostenplan zu bleiben. Und wir müssen viel sorgfältiger vorher planen, Projektmanagement viel besser aufsetzen.Gerade, wenn man ein großes Projekt machen will.
Saarbrücken war mit an der Spitze der Aktion „Für die Würde der Städte", deren Ziel ja ist, dass es Lösungen für die Altschulden besonders hoch verschuldeter Städte gibt. Wird das weiter so bleiben?
Das wird so bleiben. Diese Aktivitäten wurden ja von uns unterstützt. Es ist klar, dass diese Städte trotz Einnahmeverbesserungen ein enorm aufgelaufenes Investitionsdefizit haben, das eigentlich in keiner Bilanz drinsteht. Dieses Investitionsdefizit aufzuholen ist eine jahre- oder sogar jahrzehntelange Arbeit. Ein kleines Beispiel: Irgendwie trauen wir uns nicht mehr zu, zu sagen, wir wollen nicht nur Schwimmbäder erhalten. Ich will alle Schwimmbäder erhalten. Aber ich weiß auch: Ein richtig familienfreundliches, zeitgemäßes Kombibad haben wir in Saarbrücken nicht. Deshalb gehen dann viele Saarbrücker Familien in andere Städte, zum Beispiel St. Ingbert. Wir müssen uns auch irgendwann wieder zutrauen, Infrastruktur zu schaffen, die zeitgemäß ist.
Aber das wäre doch ein schönes Beispiel für interkommunale Zusammenarbeit.
Interkommunale Zusammenarbeit halte ich für absolut gut. Letztlich sind wir ja ein extrem verdichteter städtischer Raum, mit fast einer halben Million Einwohner, wenn man sich ein paar Kilometer um Saarbrücken herum anschaut. Es ist immer sinnvoll, zu schauen, wer was anbietet.
In diesem Umfeld von Saarbrücken gab es aber immer schon Befürchtungen hinsichtlich der Idee einer Großstadt, die sich alles einverleiben will.
Solange ich Oberbürgermeister bin, wird es keinerlei Diskussion um solche Ideen geben. Ich will allen Umlandgemeinden – auch den französischen – auf Augenhöhe begegnen.
Zum Jahresbeginn, also noch in der Vorbereitungsphase zum Wahlkampf, haben Sie eine Reihe Themen und Ãœberschriften zur Entwicklung der Landeshauptstadt genannt. Was hat sich daraus in den Wochen des Wahlkampfs entwickelt?
Wir haben versucht, die Werte der Nachhaltigkeit, der Transparenz und der Beteiligung selbst zu leben. Was Beteiligung angeht, haben wir das gesamte Programm in Zukunftswerkstätten erstellt, transparent und zusammen mit den Bürgern. Auch im Bereich der Mobilität war es mir wichtig, Vorbild zu sein und dabei übrigens auch die Grenzen zu testen. Ich bin über 1.000 Kilometer mit meinem Fahrrad im Wahlkampf gefahren, wir hatten ein Lasten-Bike statt eines Wahlkampf-Autos. Wir haben darauf geachtet, dass unsere Werbeartikel soweit möglich aus erneuerbaren Materialien sind. Ich glaube, es ist auch eine Kopf-Sache zu sagen, dass wir das so machen. Das gilt dann auch für andere Bereiche. Ich will nicht nur die Stadt verändern, sondern auch ein Stück weit die CDU.
In welche Richtung?
Dahin, dass sie auch morgen noch die große integrierende Kraft der Mitte ist und die jungen Menschen auch noch anspricht.