Deutsche Talente sind in der NHL gefragt wie nie. Eines davon ist Leon Gawanke, der trotz eines Dreijahresvertrags bei den Winnipeg Jets erstaunlich realistisch bleibt.
Auf sein Lieblingsessen muss Leon Gawanke vorerst weiter verzichten. Die Königsberger Klopse seiner Oma Brigitte kommen nicht von Berlin aus über den großen Teich, aber vielleicht ist das auch gut so. Denn der 20 Jahre alte Eishockeyprofi kämpft im fernen Nordamerika um seinen Traum von der National Hockey League (NHL), und da ist eine gesunde Ernährung unumgänglich. Vom deutschen Essen, von seiner Familie und seinen Freunden getrennt zu sein, ist für Gawanke nichts Neues. Der Verteidiger wagte bereits vor drei Jahren den Sprung nach Nordamerika, wo er in der kanadischen Juniorenliga für die Cape Breton Screaming Eagles auflief. Beim NHL-Draft 2017 zogen ihn die Winnipeg Jets in der fünften Runde an 136. Stelle, doch Gawanke blieb in Cape Breton. Dort machte er sich als zuverlässiger und torgefährlicher Abwehrspieler einen Namen – und wurde nun dafür belohnt.
Winnipeg stattete den früheren Juniorenspieler der Eisbären Berlin im Mai mit einem auf drei Jahre befristeten NHL-Einstiegsvertrag aus. Einsätze in der besten Eishockeyliga der Welt garantiert dieser jedoch nicht. Wahrscheinlicher ist, dass er sich über das Farmteam Manitoba Moose aus der zweitklassigen AHL in die NHL hocharbeiten muss. Doch darauf ist Gawanke eingestellt. „Das ist einfach das größte für einen Eishockeyspieler", sagt er über die Möglichkeit, sich in den erlauchten Kreis der Allerbesten seines Fachs zu spielen. So nah wie jetzt war der junge Mann, der in Berlin geboren und im beschaulichen Bergfelde in Brandenburg aufgewachsen ist, den Superstars wie Alexander Owetschkin, Sidney Crosby und Leon Draisaitl noch nie.
Doch nicht nur Ruhm, sondern auch das große Geld winkt. Sein Vertrag sichert ihm 810.000 US-Dollar pro Jahr – allerdings nur in der NHL. „Noch ist es nicht so weit", sagt Gawanke, „ich muss den letzten Schritt für meinen großen Traum noch schaffen." Im August bietet sich dafür die große Chance. Beim Vorbereitungscamp in Winnipeg, bei dem 50 bis 60 Spieler aus der Organisation der Jets zusammenkommen, ist der harte Kampf um die begehrten Kaderplätze für die NHL eröffnet.
Belohnung für starke Leistungen
Deshalb klingt der Verteidiger auch alles andere als euphorisch, wenn er über seinen Vertrag spricht. Noch immer sei es sein „Traum, mal das Jets-Trikot anzuziehen und das erste Spiel in der NHL zu machen", sagt Gawanke: „So lange ich das nicht erreicht habe, werde ich mich nicht zufriedengeben und weiter hart arbeiten."
Aber wenn Gawanke eines seit seinem vor drei Jahren begonnenen Abenteuer in Nordamerika gelernt hat, dann ist es zu kämpfen. Mit 17 Jahren in einem anderen Land, Tausende Kilometer von der Heimat entfernt, völlig auf sich alleine gestellt zu sein, fiel ihm nicht leicht. „Erst einmal keine Freunde mehr, alles fremde Gesichter", erinnert sich Gawanke. Aber sein großes Ziel habe immer über allen Zweifeln gestanden: „Meine Eltern haben mich nicht bedrängt, sondern mir die freie Wahl gelassen. Und ich wusste, wenn ich es in die NHL schaffen wollte, musste ich es wagen."
Seine Gastfamilie an der kanadischen Ostküste half ihm beim Einleben – und dafür ist ihr Gawanke noch heute dankbar. Erst kürzlich lud er seine Gasteltern nach Berlin ein und zeigte ihnen die Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt. „Ich hatte echt Glück, dass ich so eine nette Familie abbekommen habe", sagt er.
Mittlerweile fühlt er sich auch in Kanada heimisch, sportlich hat er sich längst angepasst. Mit 17 Treffern war er in der vergangenen Spielzeit der torgefährlichste Abwehrspieler seiner Liga, der Offensivdrang ist klar seine Stärke. „Ausbaufähig sind auf jeden Fall meine Defensivkünste, vor dem Tor muss ich noch härter werden, mein physisches Spiel noch mehr zum Vorschein bringen", sagt er selbstkritisch. Für das Profiteam der Eisbären Berlin hat Gawanke zwar kein Spiel bestritten, doch er hat die hochgeschätzte Jugendabteilung des DEL-Rekordmeisters durchlaufen. Den Eisbären ist der 1,88 Meter große und 90 Kilo schwere Abwehrmann dankbar, denn: „Ich denke, dass ich technisch sehr gut ausgebildet bin."
Außerdem trainiert er in den Sommerpausen im Kraftraum des Wellblechpalastes, zweimal in der Woche geht es mit den deutschen Profis der Eisbären auch aufs Eis. Mit James Sheppard pflegt er einen guten Kontakt. Der kanadische Stürmer war in jungen Jahren auch für Cape Breton aufgelaufen.
Drei NHL-Spiele als erstes Ziel
Für die deutsche U20-Nationalmannschaft hat Gawanke regelmäßig gespielt, beim kürzlich geglückten Aufstieg der DEB-Auswahl in die Top-Division war er einer der Leistungsträger. Sein ehemaliger Trainer bei der U20 hieß Toni Söderholm. Der Finne ist mittlerweile zum Bundestrainer aufgestiegen, auch deshalb hofft Gawanke auf eine baldige Nominierung für das A-Team.
Eine Überraschung wäre das nicht, schließlich hat im DEB-Team nach der Silber-Sensation bei Olympia 2018 in Südkorea ein Generationenwechsel stattgefunden. Talente wie Markus Eisenschmid (24), Lean Bergmann (20) und Moritz Seider (18) bekommen unter Söderholm viel Eiszeit und damit internationale Erfahrung. Sie alle dürfen darauf hoffen, ab der neuen Saison bei einem NHL-Club unterzukommen. Deutsche Talente sind also plötzlich gefragt in der besten Eishockeyliga der Welt. Das von DEB-Präsident Franz Reindl angeschobene Konjunkturprogramm „Powerplay 26" macht sich allmählich bezahlt. Deutschland kann dank einer verbesserten Trainer- und Spielerausbildung aus einem quantitativ und qualitativ größeren Talente-Pool schöpfen. Leon Gawanke ist einer daraus.
Der ehrgeizige Berliner könnte der zweite Eishockeyspieler aus der Hauptstadt werden, der es in die NHL schafft. Vor ihm war es lediglich Nationalspieler Marcel Müller (30) vergönnt. Er absolvierte in der Saison 2011/12 drei Spiele für die Toronto Maple Leafs. „Wenn ich in den nächsten Jahren mal drei NHL-Spiele habe", sagt Gawanke zum Vergleich, „wäre ich schon sehr glücklich."
Der junge Profi ist sich darüber klar, dass sein Karrieretraum in dem harten Geschäft auch schnell platzen kann. Deshalb hat er per Fernstudium am Sportgymnasium in Berlin-Hohenschönhausen sein Fachabitur gemacht. Eines wird aus Gawanke aber nicht mehr: ein Fußballprofi. Als Jugendlicher war er mit dem Ball am Fuß genauso gut unterwegs wie mit dem Puck am Schläger, doch irgendwann wurde der Stress für ihn und seine Eltern zu groß. Gawanke musste sich entscheiden. In der siebten Klasse wechselte er aufs Sportgymnasium, und seitdem gab es für ihn nur noch Eishockey.