Die Rosa Luxemburg Stiftung hat einen „Atlas der Migration" veröffentlicht. Mitautorin Johanna Bussemer über Migrationsgründe und fehlgeleitete Entwicklungshilfe.
Frau Bussemer, sind Europa und die USA das Hauptziel der Migranten?
Nein, absolut nicht. Nehmen sie zum Beispiel den Libanon. Das Verhältnis von Flüchtlingen zu den dort Lebenden ist 1 zu 6. In Deutschland ist dieses Verhältnis 1 zu 58. In absoluten Zahlen heißt das, nicht die USA oder Deutschland nehmen die meisten Flüchtlinge auf, sondern es sind die Türkei, Pakistan oder Uganda.
Das Thema Migration ist nicht neu, es ist ein ständiger Begleiter der Menschheit.
Richtig, Migration gab es schon immer und das zeigen wir unter anderem in unserem Atlas der Migration anhand von vielen Statistiken und Grafiken. Kein Staat, kein Land auf dieser Welt würde ohne Migration in seiner heutigen Form existieren. Nehmen sie zum Beispiel das Ruhrgebiet, vor knapp 200 Jahren gab es dort eine große Migrationsbewegung aus Polen, das können wir heute noch an den Namen ablesen, von denen viele auf „-skie" enden. Oder nehmen Sie die Nachkriegszeit in ganz Deutschland. Hunderttausende Menschen aus den ehemaligen Ostgebieten zum Beispiel in Schlesien oder Pommern sind in die neu gegründete Bundesrepublik vertrieben worden. Also Migration gab es immer.
Doch das waren ja kriegsbedingte Flüchtlingsbewegungen. Aber haben die Migrationsbewegungen aus Afrika Richtung Europa nicht auch wirtschaftliche Ursachen?
Aber da bitte ich Sie um einen etwas anderen Blick auf diese Migrationsbewegung. Denn es fällt auf, dass es vor allem aus den Ländern Afrikas große Bewegungen Richtung Europa gibt, in die von uns aus Entwicklungshilfe reinfließt. Also aus den Ländern, die Entwicklungshilfe bekommen, verstärkt sich dann die Migration in unserer Richtung. Unsere Zahlen belegen das Gegenteil der landläufigen These: Migrationsbewegungen lassen sich durch mehr Entwicklungshilfe stoppen. Also, wenn mehr Geld kommt, bleiben die Leute da, das stimmt nicht.
Woran liegt das?
Das Geld oder die materielle Hilfe, die wir dort hinschicken, erreichen ja bei Weitem nicht alle Menschen, sondern eigentlich immer nur die Oberschicht vor Ort, die diese Hilfe ja eigentlich verteilen soll. Was wir neben der Hilfe zur Selbsthilfe brauchen sind faire Handelsbeziehungen mit diesen Ländern, dass sich dort eine eigene Wirtschaft entwickeln kann. Die derzeitigen Handelsverträge haben ja meistens zur Folge, dass es eine starke Ausbeutung von Naturressourcen in den Ländern gibt, was dann wiederum Migrationswellen auslöst, weil die Menschen für den Abbau dieser Ressourcen aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben werden.