Nach einer schweren Erkrankung lief die Berlinerin Lena Schnabl über 1.000 Kilometer auf dem japanischen Jakobsweg. In einem Buch schildert die 37-Jährige ihre Erlebnisse und Begegnungen.
Hektische und höfliche Menschen, tipptopp saubere Megacitys sowie Naturschönheiten, von denen hierzulande kaum ein Mensch etwas ahnt: Manch einem erscheint Japan unheimlich, für andere ist das Land ein Sehnsuchtsziel. Lena Schnabl zählt sich zur letzteren Gruppe. Acht Wochen lang ging sie in Fernost auf Pilgerreise. Ihre Wahl fiel auf den über 1.000 Kilometer langen japanischen Jakobsweg, ein Rundkurs auf der Insel Shikoku. Er gilt als einer der ältesten Pilgerwege überhaupt. „Das Ganze wurde zu einer ungewöhnlichen Tour durchs ländliche Japan und zu einer Reise zu mir selbst", blickt die 37-Jährige auf ihre Wanderung im Vorjahr zurück.
Spucken ist in Japan verpönt
Ihre Erlebnisse schildert Lena Schnabl im kürzlich erschienenen Buch. Doch warum gerade Japan, das zwölf Flugstunden entfernte Reiseziel, das vielen von uns so fremd ist? „Mir selbst ist Japan ganz und gar nicht fremd. Ich war schon mehr als 20 Mal dort, studierte unter anderem in Sapporo Japanologie und Sinologie (Chinawissenschaften, Anm. d. Red.)", so Lena Schnabl. Wenn sie auf dem Flughafen Tokio lande, fühle sie sich wie in ihrer zweiten Heimat. Der Reiz des Unbekannten und Exotischen habe sie einst ins „Land der aufgehenden Sonne" gelockt. Doch bevor sie auf der eigentlichen Pilgertour mit japanischen Omis traditionell badete, mit anderen Wanderern Lebensweisheiten austauschte oder sich Hausmittel gegen Blasen an den Füßen geben ließ (aufpieksen und später weiterlaufen) zog sie wie immer durch Tokio. Mit fast zehn Millionen Einwohnern beherberge die Stadt beinahe dreimal so viele Menschen wie Berlin. Im Großraum Tokio leben sogar um die 35 Millionen Leute, mehr als doppelt so viele Menschen wie in der früheren DDR. Mit Lena Schnabl geht’s im Buch aber auch über die vermutlich fußgängerreichste Kreuzung der Welt „Shibuya Crossing", auf der angeblich bei einer einzigen Ampelschaltung Tausende die Straße überqueren. Die Autorin beschreibt aber auch Eigenarten und Widersprüche Japans. So gelte es als unhöflich, schlechte Laune zu verbreiten. Spucken sei verpönt, essen in öffentlichen Gebäuden ebenso. „Eine zu Boden gestürzte Frau wollte sich von mir nicht helfen lassen. Andere Passanten machten erst gar keine Anstalten dazu", erinnert sich die Buchautorin. Sich auf diese Art und Weise helfen zu lassen, gelte in Japan als Gesichtsverlust. Gleichzeitig erlebte die Asienkennerin, die für Zeitungsreportagen schon in Südkorea und Vietnam recherchierte, auf dem Land große Hilfsbereitschaft.
Eine weitere Besonderheit sieht Lena Schnabl in der japanischen Umgangssprache und in der Art des Umgangs miteinander. Man rede eher reserviert, in Floskeln und in unvollständigen Sätzen. Beispielsweise würden Japaner selten klare Absagen erteilen. „Das deutet man dort eher an. Alles andere wäre unhöflich", schmunzelt Schnabl. „Besucher treten dennoch selten ins Fettnäpfchen. Gerade Ausländer genießen schon einen Bonus", betont Lena Schnabl. Japaner wüssten offenbar, dass sie etwas anders ticken. Auslöser für ihre Pilgerreise war eine schwere Erkrankung, so die gebürtige Münchnerin. „Das Pfeiffersche Drüsenfieber hat mich vor über einem Jahr weggehauen. Während so einer hartnäckigen Krankheit denkt man schon mal über Lebenspläne und über den Sinn des Lebens überhaupt nach. So kam ich eigentlich auf mein Langzeitabenteuer Japan", erinnert sich Lena Schnabl, die auf ihrer Tour ursprünglich über einen Roman nachdenken wollte. Bereits vertraut mit Land und Leuten, schien der Wahl-Berlinerin der japanische Jakobsweg die ideale persönliche Herausforderung. In einem lockeren und amüsanten Schreibstil bringt Lena Schnabl dem Leser Japan näher. Hat man die ersten Zeilen gelesen, fällt es schwer, die Lektüre wieder aus der Hand zu legen.
Zu Hause ist Lena Schnabl seit 2014 im Berliner Bezirk Neukölln. „Ich wohne in einer ruhigen Seitenstraße in der Nähe des Hermannplatzes. Von hier sind es jeweils fünf Minuten bis zur nächsten Bar und bis zum nächsten Café. Was will ich mehr", schmunzelt die Journalistin, die unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung" schreibt. Beim Umzug vor fünf Jahren reiste sie per Rad aus München über Hof, Zwickau, Leipzig und der Lutherstadt Wittenberg an. Alles, was sie an Hab und Gut hatte, passte in zwei Rucksäcke, wie Lena Schnabl erklärt. Zu Lieblings-Ausflugszielen wurden für sie im Osten Deutschlands die Ostsee – und hier speziell Prerow – die Mecklenburgische Seenplatte sowie der Spreewald. Zu ihren Hobbys zählen das Kochen und Backen, wie Lena Schnabl verrät. Im heimischen Berlin-Neukölln werde meist japanisch gespeist, gern mit Reis, gegrilltem Fisch, sauer eingelegten Gurken, Sauerpflaumen und der typischen Miso-Suppe. Beelitzer Spargel und Sushi passe aber beispielsweise auch perfekt zusammen.
„Wichtige Dinge aus Japan mitgenommen"
Zum Schluss des Gesprächs kommt Lena Schnabl noch mal auf ihre Pilgertour zu sprechen. „Ich habe ein paar ganz wichtige Dinge aus Japan mitgenommen, Vertrauen zu ganz unterschiedlichen Menschen entwickelt, Mut gefasst Hilfe anzunehmen und auch mal über den Tellerrand zu schauen." Eine weitere Erkenntnis: Je offener und herzlicher sie auf Leute zuging, je mehr kam von diesen auch zurück. Auch wenn in Deutschland und Mitteleuropa die Uhren anders ticken, funktioniere das selbstverständlich auch hier, so die studierte Japanologin. Sie selbst könne nach der Pilgertour viel besser mit eigenen Schwächen umgehen.