Große wirtschaftliche Paketlösungen, weltweite Investitionen in Zukunftsindustrien, Häfen und Bahnlinien – China agiert global. Die EU muss geschlossen auftreten, um dem Riesenland gegenüber nicht in die Zwergenrolle zu geraten, fordert André Wolf vom Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Institut.
Herr Wolf, ist die Seidenstraße für uns Europäer eine Bedrohung oder bringt sie uns nur Vorteile?
China investiert über mehrere Jahrzehnte rund 900 Milliarden Euro in die Seidenstraßen-Initiative. Das wirkt sich für Europa gerade vor dem Hintergrund des zunehmenden Protektionismus der USA positiv aus. Die ohnehin schon engen Handelsbeziehungen profieren von der Seidenstraße. Wenn sich durch die neuen Bahnlinien der Handel auf die Schiene verlagert, senkt das die Transportkosten erheblich und bringt einen massiven Zeitgewinn gegenüber dem heute üblichen Schiffsverkehr.
Verfolgen die Chinesen damit nur Handelsabsichten oder auch politische Ziele?
Für China hat der Handel immer auch eine politische Komponente. Das zeigt sich an Projekten, die am Ende finanziell gar nicht lukrativ geworden sind wie der Bau mancher Eisenbahnlinien in Afrika. Da ist das politische Ziel, vor Ort präsent zu sein, wichtiger als der Handel.
Gehören diese Projekte auch noch zur Seidenstraßen-Initiative?
Ja, denn sie verläuft im Norden über Land, als Straße und als Bahnstrecke, und im Süden von Hafen zu Hafen unter Einbeziehung Afrikas. Und die Bahnlinien sind für die Anbindung der Häfen wichtig.
Was bedeutet es, wenn sich EU-Staaten wie Italien, Griechenland und Ungarn der chinesischen Initiative Seidenstraße anschließen?
Das sind alles Länder mit einem sehr starken Investitionsbedarf, gerade Italien und Griechenland nach der Eurokrise. Griechenland zum Beispiel hat seine Mehrheitsanteile am Hafen von Piräus an China verkauft. Seitdem baut der chinesische Staatskonzern Cosco Shipping den Hafen zur Drehscheibe für den Containerverkehr nach Europa aus. Schon jetzt ist Piräus der größte Hafen des Mittelmeers. Dass politisches Wohlverhalten dabei eine Rolle spielt, zeigt sich an gemeinsamen EU-Initiativen gegen Menschenrechtsverletzungen in China. Griechenland lehnte eine gemeinsame Erklärung der EU vor dem UN-Menschenrechtsrat ab. Und Ungarn blockierte im März 2017 einen gemeinsamen Brief, mit dem die EU die Folter inhaftierter chinesischer Anwälte anprangern wollte.
Will China also die EU auseinanderdividieren?
Zumindest ist China eine schwache EU lieber als eine starke und geeinte. Das zeigte sich an dem EU-China-Gipfel im April dieses Jahres, als alle Staaten gemeinsam auftraten und eine Resolution gegen die hohen chinesischen Industriesubventionen und für einen besseren Marktzugang der Europäer durchsetzten. Das war den Chinesen gar nicht recht, aber sie unterschrieben zumindest eine Absichtserklärung. Da trat die EU einmal geschlossen auf – die einzige Chance, gegenüber China nicht in die Zwergenrolle zu geraten.
Welchen Einfluss hat die EU auf die Politik Chinas? Sollte sie höhere Zölle erheben wie Trump das tut?
Zollpolitik, wie sie die USA betreibt, ist kein Mittel – das dürfte die EU und besonders Deutschland selbst hart treffen. Regelmäßige Gipfeltreffen, bei denen die EU als Block auftritt, wären wichtig. Aber im Grunde hätte die EU nur zusammen mit den USA eine wirkliche Chance gegen das Riesenreich mit seinen 1,4 Milliarden Menschen zu bestehen. Aber das funktioniert derzeit nicht.
Stichwort Huawei – muss man befürchten, dass die Chinesen Deutschlands Telekommunikation unterminieren?
Huawei ist eine private Firma, die zwar nicht direkt bei der Vergabe der 5G-Mobilfunklizenzen mitgeboten hat, aber indirekt über die Zulieferung von Komponenten am Aufbau des Netzes in Deutschland beteiligt sein könnte. Denn anders als in den USA haben sich die Betreiber hierzulande bislang nicht darauf verständigt, Technik aus China generell auszuschließen. Dies birgt ein gewisses Risiko, da auf dem schnellen Mobilfunknetz nicht nur die Telekommunikation, sondern auch unsere zukünftige Industrie und Mobilität aufbauen wird. Chinas Firmen sind aber nie nur privat. Der Staat, die Kommunistische Partei (KP) also, hat das Recht, sich sämtliche Datenströme offenlegen zu lassen. Die Firmen stehen unter Kontrolle – und das bedeutet: Sie unterliegen dem Durchgriffsrecht der KP, die zudem Zellen in Unternehmen wie Huawei unterhält. Der Parteistaat kann Huawei zur Beteiligung an Spionageoperationen sowie Sabotage europäischer Netzwerke zwingen. Die USA haben Huawei eine Absage erteilt, dort wundert man sich, dass die Europäer so naiv sind, den Chinesen in diesem sensiblen Bereich zu vertrauen.
Seit Jahren kaufen sich die Chinesen in deutsche Firmen ein oder übernehmen sie ganz. Welche Erfahrungen haben die Firmen damit gemacht?
Die Zeiten, als man von einem Technologieausverkauf sprach, sind vorbei – in den 90er-Jahren haben die Chinesen tatsächlich vieles exportiert, abgekupfert und nachgebaut. Heute geht es auch nicht mehr darum, die Produktion aus der EU nach China zu verpflanzen. Die chinesischen Investoren kaufen sich am Standort Deutschland ein, fördern Forschung und Entwicklung, halten sich an die deutsche Unternehmenskultur, wie sie zum Beispiel im Mittelstand üblich ist. Es geht ihnen darum, ihr überschüssiges Kapital zu investieren, und das nicht in riesige Staatsanleihen, die möglicherweise riskant sein können, sondern in vielen verschiedenen, auch kleinen Anlageformen. Diese Investitionen sind auf Langfristigkeit angelegt, und die chinesischen Investoren gehen auch immer in die Zukunftsindustrien, wo Deutschland führend ist: Maschinenbau, Chemie und Fahrzeugbau.
Lange Zeit galt für China das Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Länder. Ist es damit endgültig vorbei?
Nichteinmischen ist nominell immer noch chinesische Staatsräson – und im Unterschied zu Deutschland zum Beispiel stellen sie keinerlei Bedingungen bei wirtschaftlichen Investitionen, etwa was Menschenrechte oder gute Regierungsführung betrifft. In Afrika handeln sie mit Südafrika genauso wie mit Somalia oder anderen diktatorisch regierten Staaten, da ist kein Muster zu erkennen. Beim Sturz Mugabes in Simbabwe wurde gemutmaßt, dass China hinter den Kulissen mitgeholfen hat, aber das kann niemand beweisen. Bei Venezuela liegt der Fall klarer: Da unterstützt China offen Maduro, weil es den Verlust seiner Investitionen in die Ölquellen fürchtet.
Warum sind die Chinesen in Afrika so erfolgreich?
Wegen ihrer Größe: Wenn sie kommen, dann massiv – Straßen, Energie, Bauprojekte, Landwirtschaft – alles aus einer Hand. China bietet Paketlösungen an, Europa kann in solchen Größenordnungen nicht mitziehen. Dafür vermeiden die Europäer Überschuldung, investieren auf lange Sicht und bieten ökologische Lösungen an. Das ist ein Konkurrenzvorteil, der aber erst einmal als solcher erkannt werden muss.
Wird Afrika zu einem chinesischen Außenposten?
In Sri Lanka hat sich so etwas entwickelt, das könnte durchaus auch in Afrika Schule machen. China hat den Hafen Hambantota auf Sri Lanka zu einem Tiefseehafen ausgebaut. Aber er gehört Sri Lanka nicht, sondern für die nächsten 99 Jahre China. Dafür erlässt China dem Inselstaat einen Teil seiner hohen Schulden. So etwas kann auch afrikanischen Staaten passieren – China erlässt die Schulden und behält dafür die Infrastruktur in der Hand. So hat auch Dschibuti in Ostafrika, wo Peking eine Militärbasis aufbaut, chinesische Kredite für Infrastrukturprojekte erhalten, die das Land offenbar nicht mehr zurückzahlen kann.