Die Ducati Diavel 1260 S geht teuflisch ab und ist ein echtes Power-Bike. Eine Schönheit ist sie dabei sicher nicht, aber ein Hingucker allemal. Hersteller und Fahrer beweisen Mut zum Ungewöhnlichen.
Das Alleinstellungsmerkmal ist der Begriff, bei dem Marketingfachpersonal feuchte Hände bekommt. Diese Sonderstellung zu erreichen, ist mit das größte, was man sich in diesem Metier vorstellen kann. Insofern kann sich der italienische Motorradbauer Ducati durchaus etwas auf seine neue Kreation, die Diavel 1260 S, einbilden.
Als die Ingenieure und Designer in Panigale bei Bologna vor elf Jahren die erste Version dieses Megamonsters, wie das Projekt damals intern genannt wurde, konzipierten, schufen sie eine Maschine, die eine Symbiose aus Superbike, Sportbike und Fun Cruiser darstellte. Ein Unterfangen, das quasi so unmöglich schien wie die Konstruktion des Perpetuum Mobile. Doch die italienischen Designer und Ingenieure wollten auf Teufel komm raus ihr Image vom Krawallmotorradbauer loswerden. Zu lukrativ schien der Markt des Segments „Protz und Prahl", das vor allem von Harley Davidson beherrscht wurde.
Besonders hatte man es bei Ducati auf die alternden Herrschaften des Kundenstammes abgesehen, die von ihren unbequemen Sportgeräten auf etwas kommodere Gerätschaften wechseln wollen. Daraus ist die Diavel entstanden und – um es kurz zu machen: Die Mission ist erfolgreich verlaufen!
Mittlerweile sind mehr als 35.000 Maschinen verkauft worden, und bei so viel Zuspruch ist es auch kein Wunder, dass nach und nach immer neue Varianten davon auf den Markt kommen. Ursprünglich war die Diavel nur mit 1.198 ccm Hubraum ausgestattet. Ab 2016 gab es aber schon die XDiavel mit den jetzt gängigen 1.262 ccm.
Technik aus der Moto GP im Straßeneinsatz
Das neueste Exemplar, die Diavel 1260 S, haben wir jüngst ausgiebig in der Sierra Nevada rund um Ronda erfahren. In dem Bike ist der große Testastretta genannte Motor mit dem DVT-System verbaut. Die Abkürzung steht für Desmodronic Variable Timing. Dieses System zeichnet sich vor allem durch relativ sachtes Ansprechverhalten besonders im unteren Drehzahlbereich aus. Das funktioniert bei der neuen vorzüglich – trotz der sieben PS, die 1260 S jetzt zusätzlich antreiben, und einer etwas schärferen Abstimmung. 159 PS bringt das Motorrad an den Start, das maximale Drehmoment von 129 Newtonmetern liegt bei 7.500 Kurbelwellenumdrehungen in der Minute an.
Allerdings ist der Vortrieb der Maschine enorm, sodass man problemlos weit früher in den höheren Gang schalten kann, was das Rauf- und Runterkurven auf den engen Bergstraßen der Sierra erheblich erleichterte. Sehr hilfreich ist dabei der famos arbeitende Quick Shifter, der die Gänge mir nichts dir nichts und präzise in die nächste Stufe bringt.
Damit es mit so viel Kraft und schnellem Schalten keiner übertreibt, haben die tüchtigen italienischen Ingenieure jede Menge Helferlein und High-End-Komponenten verbaut. Da gibt es beispielsweise die in acht Stufen einstellbare Wheelie-Kontrolle oder das Kurven-ABS von Bosch. Auf die Bremsen vom Edel-Lieferanten Brembo vertrauen auch die Herren Danilo Petrucci und Andrea Dovizioso in der Moto GP. Bei der Radführung setzt man auf erstklassige Komponenten von Öhlins. Also: alles vom Feinsten!
Schon nach wenigen Kilometern in den Bergen waren wir von den Kurvenqualitäten dieses Big Bikes ziemlich überrascht. Schließlich hat die Diavel wahrlich ausladende Maße. Der Radstand misst sage und schreibe 1,60 Meter, und wir können uns nicht erinnern, jemals an modernen Motorrädern einen so breiten Tank gesehen zu haben wie an dem der Diavel. Der monströse Hinterreifen von 249 Millimetern und dem Gewicht von 244 Kilogramm, vollgetankt mit 17 Litern, ist auf den ersten Blick auch nicht gerade eine Einladung zum Kurvenkratzen.
Lackierungen eher dezent als teuflisch
Aber wollen wir mal so sagen: Die Konstrukteure taten gut daran, der Maschine eine Schräglagenfreiheit von 41 Grad zu spendieren. Das ist zwar weit unter dem Wert, den die sportlichen Ducatis üblicherweise ermöglichen, aber der Normalfahrer muss sich oft schon jenseits der 20 Grad überwinden. Die Diavel-Schräglagenqualitäten sind normalerweise in der Harley-Welt ja nicht besonders gefragt. Was das Gewicht angeht, wollen wir uns nicht beklagen. Bei einem Motorrad dieser Bauart sind knapp zwei Zentner kein Grund zum Meckern. Das Gewicht ist übrigens fifty-fifty verteilt. Vielleicht muss man enthusiastischer Cruiser-Fahrer sein, um der Sitzposition maximales Vergnügen abzugewinnen. Wer – wie oftmals bei Harley-Fahrern zu besichtigen – Lenkerhöhen wie die einer Reckstange gewöhnt ist, wird die Position bei der Diavel möglicherweise als Erholung empfinden. Da der Sitz aber praktisch über dem Hinterrad angebracht und nur 780 Millimeter hoch ist, kam für uns eine recht gewöhnungsbedürftige Haltung zustande. Die Fußrasten sind nicht, wie bei so einem Motorrad zu vermuten wäre, weit vorne angebracht, sondern befinden sich in Normalposition. Das führt zumindest für größere Fahrer zu einem engen Kniewinkel.
Ein großes Lob wollen wir jetzt mal den Sound-Designern bei Ducati zollen. Bei diesem Bike hat man es nämlich mit einem gelungenen Beispiel zu tun, wie ein Motorrad nach was klingen kann, ohne dabei in den Proll-Bereich abzudriften. Was da aus den beiden gleich hinter dem Motor platzierten und auch noch toll gestalteten kurzen Rohren herauskommt, klingt satt, sonor und dabei noch völlig unaufdringlich. Das ist die feine italienische Art. Zuweilen sind es auch die Details, die begeistern. Einen ausgesprochen edlen Eindruck machen nämlich die Blacklight-Armaturen, bei denen Schalter und Hebelchen dezent im Nachtdesign beleuchtet sind, was für uns in der Sierra Nevada bei andalusischem Landregen schon ein Segen war.
Für den Ausflug mit der Liebsten wird sich die kleine Sitzfläche der Diavel S für Passagiere wohl eignen, aber wo soll sie sich festhalten? Dafür haben die Konstrukteure einen aus der Sitzbank ausziehbaren Griff vorgesehen, den man in einem kleinen Staufach unter dem Sitzmöbel entriegeln kann. In diesem kleinen Geheimfach ist auch ein USB-Anschluss untergebracht. Ganz und gar nicht teuflisch ist die Lackierung. Die 1260S gibt es in zwei sehr dezenten Farbvarianten, nämlich ganz in Grau mit schwarzen Felgen oder in Schwarz mit rotem Rahmen und ebenfalls schwarzen Felgen.
Ölcheck nur alle 15.000 Kilometer
Natürlich ist so viel Motorrad nicht für einen Appel und ein Ei zu haben. 22.890 Euro sind aber für ein Bike dieser Güte ein angemessener Preis. Den kann man dann auch noch etwas nach oben schrauben. Beispielsweise mit dem Touringpaket, das zwei kleine sogenannte Soft Cases beinhaltet, die wohl gerade mal den Inhalt eines Schminkköfferchens der Liebsten aufnehmen können. Auch die Heizgriffe, die wir in der Sierra Nevada gelegentlich schmerzlich vermissten, sind darin enthalten.
Dafür ist die Maschine aber in anderen Belangen eher sparsam. Nur alle 15.000 Kilometer braucht die Ducati einen Ölcheck, die Desmo-Inspektion für die speziell gesteuerten Ventile fällt alle 30.000 Kilometer an. Selbst die anspruchsvollen Bergpisten der Sierra Nevada haben kaum Abweichungen vom angegebenen Normverbrauch gebracht.
Den ultimativen Test konnten wir in den südspanischen Bergen leider nicht durchführen, denn dieses Motorrad braucht natürlich – genau wie seine Fahrer – den großen Auftritt. Zu gerne wären wir doch mit dem Teufelsbike mal am Faaker See oder in Hamburg zu den Harley-Tagen aufgekreuzt. Dafür gäbe es ja schließlich den Urban Modus, der den Motor auf 100 PS drosselt. Dann würden wir natürlich ein Utensil vermissen, das in Zukunft wohl serienmäßig an Motorrädern zu finden sein wird: die vollautomatisierte, schwenkbare Panorama-Selfie-Kamera, mit der wir alle zehn Sekunden den Rest der Welt an unserem Vergnügen teilhaben lassen könnten.