Rund um die Wüstenlilie hat sich ein wahrer Hype entwickelt. Aloe vera, einer der ältesten Heilpflanzen, werden jede Menge wirksame Eigenschaften zur Bekämpfung von Krankheiten oder als Beauty-Booster zugesprochen. Wissenschaftliche Nachweise gibt es hierfür jedoch bislang so gut wie keine.
Die häufig als Wüstenlilie bezeichnete Aloe vera hat derzeit Hochkonjunktur, nicht nur in allen Abteilungen der Alternativheilkunde und als angesagtes Nahrungsergänzungsmittel, sondern sie wird regelmäßig auch in Frauenmagazinen als veritables Beauty-Wundermittel gefeiert. Selbstverständlich wurde ihr längst der Ehrentitel „Königin der Heilpflanzen" verliehen, weil ihr gemeinhin hochwirksame Kräfte zur Behandlung aller nur erdenklichen Krankheiten und Verletzungen oder zur Steigerung und Erhaltung der Schönheit zugeschrieben werden. Da es dafür bislang so gut wie keine wissenschaftlichen Belege oder fundierte Studienergebnisse gibt, wird in der Regel zu Beweiszwecken einfach in die historische Trickkiste gegriffen. Aloe vera habe sich schon seit Tausenden von Jahren als eine der ältesten Heilpflanzen der Welt bewährt und sei schon im alten Ägypten von den Königinnen Nofretete und Kleopatra geschätzt worden. Die berechtigten Zweifel der modernen Medizin an dieser Argumentation werden von Verfechtern der Aloe vera nur ungern zur Kenntnis genommen. Auf den Punkt hatte es vor einigen Jahren der Autor Peter Carl Simons mit dem Titel seines populären Sachbuchs gebracht: „Aloe vera – 6.000 Jahre Medizingeschichte können sich nicht irren: Was ihnen die Pharma-Industrie nicht erzählt – aber schon zu Kleopatras Zeiten jedes Kind wusste".
Die Pflanze selbst birgt keine Geheimnisse mehr. Die Echte Aloe, die wissenschaftlich unter dem Namen Aloe vera bekannt ist, für die es aber auch noch weitere Synonyme wie Aloe barbadensis gibt, zählt zur 500 Arten umfassenden Pflanzengattung der Aloen, die wiederum zu den Affodillgewächsen gehören, eine Unterfamilie der Grasbaumgewächse. Im Erscheinungsbild erinnert die Aloe vera an einen Kaktus und wird zu den sukkulenten, sprich saftreichen Pflanzen, genauer gesagt zu den Blattsukkulenten gezählt, weil sie die Flüssigkeit hauptsächlich in ihren dicken, fleischigen, bis zu 50 Zentimeter langen und am Rand gezähnten Blättern speichert. Die ursprüngliche Heimat der gelb blühenden Pflanze wird auf der arabischen Halbinsel angesiedelt, heute wird sie in allen subtropischen und tropischen Regionen der Welt kultiviert.
Mehr als 200 Inhaltsstoffe wurden nachgewiesen
Neben Wasser konnten in der Pflanze mehr als 200 Inhaltsstoffe nachgewiesen werden, wovon neben Vitaminen wie A, C oder E, Mineralstoffen, ätherischen Ölen, Enzymen und der Salicylsäure vor allem der bittere Naturstoff Aloin und der Mehrfachzucker Acemannan die zentrale Rolle spielen. Von Interesse sind nur die Blätter, wobei die Blattrinde vorsichtig entfernt werden muss, um an den darunterliegenden Saft und das Blattmark zu gelangen. Der gelbe Saft befindet sich zwischen der grünen Blattrinde und dem transparenten Mark. Er tritt sofort aus, sobald ein Blatt abgeschnitten oder verletzt wird, es handelt sich dabei um eine zähflüssige und dank des Aloins extrem bitter schmeckende Substanz, die die Pflanze vor Fressfeinden schützt. Das Blattmark aus dem fleischigen Inneren der Blätter darf vor der Entnahme keinesfalls durch das Aloin des Saftes kontaminiert werden. Es soll zu einem Gel verarbeitet werden, das durch Pasteurisierung, Gefrier- oder Sprühtrocknung haltbar gemacht wird.
Der Aloe-Saft, der aus Anthranoiden mit der Hauptkomponente Aloin besteht, besitzt nachweislich abführende Wirkung. Er kann bei akuter Verstopfung zum Einsatz gebracht werden, sollte jedoch laut Einschätzung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte keinesfalls länger als ein bis maximal zwei Wochen eingenommen werden. Nebenwirkungen wie Reizung der Darmschleimhäute und hoher Verlust wichtiger Elektrolyte oder Mineralsalze können die Folge sein. Generell ist laut Expertenmeinung der Aloe-Saft inzwischen längst durch weniger riskante Abführsubstanzen vom Markt verdrängt worden, zumal die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit neuerdings Aloin und Co. als potenziell krebserregenden und das Erbgut schädigenden eingestuft hat.
Der Boom der Aloe-Produkte ist vor allem auf die Verarbeitung des Gels zurückzuführen, das für Drinks, Säfte, Smoothies, Joghurts, Nahrungsergänzungsmittel oder für Pflegeprodukte in der Kosmetikindustrie verwendet wird. Die Heils- und Wirkungsversprechungen sind ebenso atemberaubend wie wissenschaftlich weitgehend unbelegt. Aloe vera soll bei äußerer Anwendung als Creme, Salbe oder Spray bei Schnittwunden, Verbrennungen, Hautreizungen, Quetschungen, Zerrungen oder Verstauchungen nützlich sein. Noch viel größere Effekte sollen mit Aloe-vera-Präparaten, die als Kapseln, Saft oder Gel im Handel angeboten werden, bei inneren Anwendungen erzielt werden können. Und zwar nicht nur bei Asthma, Blasenschwäche, Lungenerkrankungen, Herz-Kreislauf-Störungen, Magengeschwüren oder Nierensteinen, sondern sogar bei Diabetes, Krebs- und Aids-Erkrankungen sowie bei radioaktiven Strahlenschäden. Nicht zu vergessen die Behauptung, Aloe vera könne generell die Entgiftung des Körpers unterstützen, schädliche Ablagerungen beseitigen und vorbeugend gegen Infektionen schützen.
Verarbeitung des Gels für Säfte oder Pflegeprodukte
Am häufigsten wird in Zusammenhang mit Aloe vera der Wundereffekt bei Hautverletzungen oder Sonnenbrand ins Feld geführt. Aber nicht einmal da lässt sich eine therapeutische Wirksamkeit sicher nachweisen. Lediglich bei zwei Sonderfällen, dem Seborrhoischen Ekzem, einer Hautkrankheit mit Schuppenbildung auf der Kopfhaut, sowie bei Genitalherpes konnten mit Creme und Gel auf Aloe-vera-Basis gewisse Behandlungserfolge bei kleinen Studien erzielt werden.
Als Nahrungsergänzungsmittel zur Stärkung des Immunsystems war Aloe vera bei einer Ende 2018 erfolgten Prüfung durch die Verbraucherzentrale durchgefallen. Denn: „Das Spektrum an Inhaltsstoffen ist zwar groß, die einzelnen Konzentrationen sind jedoch sehr gering. Viele dieser Stoffe sind auch in heimischem Obst und Gemüse zu finden."
Die in Frauenzeitschriften immer wieder getätigten lobenden Aussagen zu herausragenden pflegenden Eigenschaften von Aloe-vera-Kosmetikprodukten sind vor diesem Hintergrund ebenfalls infrage zu stellen. Aber vielleicht muss frau/man nur ganz fest an den kühlenden Effekt auf der Haut, die Ankurbelung der Hautregeneration und des Zellwachstums oder die Wirkung als Feuchtigkeitsbooster glauben. Und vielleicht steckt ja doch mehr hinter dem Aloe-vera-Hype als nur eine ziemlich kostspielige Modeerscheinung. „Der heutige Stand der Forschung lässt keine klare Bejahung einer positiven und damit medizinisch einsetzbaren Wirkungsweise von Aloe vera zu", so der inzwischen emeritierte Professor für Alternativmedizin der Universität Exeter Edzard Ernst in einer immer wieder zitierten schon etwas älteren Stellungnahme. „Das heißt aber nicht, dass Aloe vera als komplett unwirksam zu bezeichnen ist. Möglicherweise ist der Beweis nur noch nicht erbracht."