Die Handlung vom Film „Yesterday" dürfte für Musikfans purer Horror sein: Die Beatles hat es nie gegeben, niemand kennt John, Paul, George oder Ringo. Nur ein Kneipensänger erinnert sich noch und wittert seine Chance.
Ein merkwürdiger Moment im Leben von Hobby-Musiker Jack (Himesh Patel): Er gibt bei Google das Wort „Beatles" ein und sieht nur Insektenbilder und VW-Autos. Jack begreift: Die Pop-Band ist von einer Sekunde auf die andere aus dem Gedächtnis der Menschheit gelöscht. Allein Jack weiß noch, welche Songs John, Paul, Ringo und George geschaffen haben.
Das ist der Plot der Tragikomödie „Yesterday" von Regisseur Danny Boyle („Slumdog Millionär" 2008, „T2 Trainspotting" 2017) – ein amüsanter Film, der auch philosophische Fragen stellt: Wie ist die Menschheit, wenn aus ihr einfach ein wichtiges Kulturgut gelöscht ist? Wird die eine Kunst schnell durch eine andere ersetzt? Wie groß ist der Einfluss der Musik auf die Menschen?
Songs schleichen sich durch die Handlung
Hauptfigur Jack wird diese Fragen bald zu beantworten wissen. Nach seiner kleinen Recherche wird ihm klar: Ein technischer globaler Defekt hat der Menschheit im besten Sinne des Worten kurz das Licht ausgeknipst und eben jenen wichtigen Teil der Erinnerung getilgt. Der erfolglose Kneipensänger und Aushilfslehrer rekonstruiert die britischen Evergreens aus seinem Gedächtnis, und bald winkt ihm weltweiter Ruhm. Aber kann er mit der Lüge leben?
„Yesterday" ist durch seine ungewöhnliche Prämisse, das Werk der Beatles zu ehren, indem er es aus der Welt löscht, besonders sehenswert. Das Drehbuch erzählt zudem von Liebe und Familie ebenso wie von den Launen des Musikgeschäfts und von der modernen Idee von Erfolg. Freilich steht das Werk der Beatles im Fokus – aber die Songs schleichen sich sanft und geschmeidig durch die Handlung. Regisseur Boyle hatte die Idee, die Musik auf Gesang und Gitarrenbegleitung zu reduzieren. Das ist ein großartiger Zug und zeigt, wie perfekt die Songs doch sind und wie arm die Welt ohne sie wäre.
Der in Deutschland fast unbekannte Hauptdarsteller Patel beweist echtes musikalisches Talent und lässt bei Jacks kometenhaftem Aufstieg im Musikgeschäft auch überraschend viel Unbehagen zwischen den Tönen erklingen. Jack gewinnt im Laufe der Handlung die Erkenntnis, dass er den Weg zu seinem Ziel möglicherweise neu gehen muss. Jacks größtes Versäumnis ist jedoch, nicht zu erkennen, dass seine beste Freundin in ihn verliebt ist. Dieser Erzählstrang hat einige etwas absurde und kitschige Details, sodass die Liebesgeschichte mit Ellie (Lily James) das einzig schwache Element des Films ist.
Hinter Nostalgie verbirgt sich Kritik am Kult
Die Geschichte von „Yesterday" regt den Zuschauer zum Nachdenken an. Was wäre die Musik in Jacks Gegenwart ohne eben jene Klassiker der Briten? Wäre Sänger Ed Sheeran wirklich der große Star, der er zurzeit ist und der in „Yesterday" als Gaststar sich selbst spielt? Eher nicht. Immerhin präsentiert sich Sheeran mit einem Augenzwinkern. Ob „Hey Dude" nicht besser klänge als „Hey Jude", fragt er Jack und offenbart, dass er als Musiker ebenfalls nicht frei ist von Kommerz und Geschäft. Auch Jack registriert, dass seine Idee, „Let it be" und „Penny Lane" als seine Werke zu verkaufen, ins Stocken gerät. Beatles-Songs können offenbar nur von den Beatles gesungen werden, nicht von irgendwelchen dahergelaufenen Möchtegerns.
Andererseits sind solche Auseinandersetzungen ein Beweis für das zentrale Thema des Films, dass Kunst mit allem in der Geschichte verflochten ist. Hinter der Nostalgie dieses Films verbirgt sich auch eine Kritik am Kult um Menschen, die außer Selbstdarstellung nicht viel können (und Musik schon gar nicht) – dennoch aber Weltstars sind. Es kommt auf die pure Musik an, möchte „Yesterday" sagen und dass es immer wert ist, gute Lieder zu hören und zu singen. So ist „Yesterday" ein nostalgisches Feelgood-Love-Music-Movie und eine schöne Hommage an die Beatles und ihre Musik. Der Film ist sowohl eine Freude, die Lieder zu erleben, als auch ein kluger Blick auf das, was im Musikgeschäft zuweilen nicht gut läuft.
Der Film „Yesterday" wird viele Kinobesucher dazu bringen, mal eben bei Google nach dem Wiki-Eintrag der Beatles zu schauen.