Vor 60 Jahren traten Mike Love und Brian Wilson erstmals gemeinsam auf. Zwei Jahre später lösten die Cousins aus Kalifornien mit den Beach Boys und dem perfektesten Gesang der Pop-Geschichte das Surf-Fieber aus. In diesem Sommer gehen die ergrauten Sonnyboys wieder auf Tournee, vielleicht zum letzten Mal. Ein Interview mit Frontmann Mike Love.
Mr. Love, die Beach Boys haben sich 1961 in Kalifornien gegründet und sind heute die älteste Popband der Welt. Was ist das Geheimnis dieser Langlebigkeit?
Ich glaube, die Songs, die ich mit meinem Cousin Brian Wilson geschrieben habe, sind wirklich gut. Und zwar so gut, dass man sie immer noch gern hören will. Mehrere Generationen von Musikliebhabern erfreuen sich heute an den Beach Boys. Das liegt daran, dass die 60er-Jahre die produktivste Ära in der Geschichte der Popmusik waren. Und die Beach Boys und die Beatles waren die größten Bands dieser Zeit. Bis heute wird unsere Musik von Millionen Menschen geschätzt. Wir spielen bei unseren Konzerten Songs, die wir vor über 50 Jahren aufgenommen haben.
Warum waren die 60er-Jahre in puncto Popmusik so produktiv?
Meine Cousins Dennis, Brian und Carl Wilson und ich wuchsen in einer sehr musikalischen Familie auf. Wir hatten einen Flügel, eine Orgel und eine Harfe. An Feiertagen und Geburtstagen wurde bei uns immer Musik gemacht. Wir liebten es, zusammen Songs von den Everly Brothers, Chuck Berry und The Four Freshmen zu singen. Anfangs hatten wir nicht das Ziel, Platten aufzunehmen oder weltberühmt zu werden, wir wollten einfach als Familie harmonisch zusammen singen. Die Liebe zur Musik ist das Fundament der Beach Boys. Mit der Zeit ist aus dem Hobby ein Beruf geworden, den wir bis heute sehr, sehr ernst nehmen.
Die Beatles, die Rolling Stones und die Beach Boys saßen in den 60er-Jahren dem spirituellen Lehrer Maharishi Mahesh Yogi zu Füßen. Welche Rolle spielt bei Ihnen heute die Meditation?
Im Dezember 1967 habe ich angefangen, mich intensiv mit der transzendentalen Meditation des Maharishi zu beschäftigen. Ich bin nach Indien geflogen, wo ich auf die Beatles traf. George Harrison und ich feierten im Frühjahr 1968 unsere Geburtstage. Er wurde am 25. Februar und ich am 15. März geboren – also im Tierkreiszeichen des Fisches. Bei unserer Geburtstagsparty in Rishikesh in Nordindien wurde viel meditiert und Musik gemacht. Dank der transzendentalen Meditation kann ich viel klarer sehen und habe viel mehr Energie. Das ist der Grund, weshalb wir heute noch auf einem hohen Level touren und performen können. Wir spielen über 150 Konzerte im Jahr. Unsere Musik hat uns unter anderem nach Südafrika, Australien, Skandinavien und Deutschland geführt. Wir lieben es, in anderen Ländern aufzutreten und uns mit den Kulturen auseinanderzusetzen. Es ist ein fantastisches Lebensgefühl, in dieser Band zu sein.
Ist das Touren eine Notwendigkeit, um eine Band dauerhaft am Leben zu erhalten?
Alle Mitglieder der Beach Boys widmen sich voll und ganz der Musik. Und Musiker wollen nun einmal mit ihren Songs auftreten. Wir bekommen nach wie vor Konzertanfragen aus aller Welt. Wir müssten das nicht machen, aber wir wollen es gerne. Es ist Teil unserer Natur. Wenn wir kein Publikum hätten, das uns hören wollte, würden wir bestimmt nicht mehr auf Reisen gehen.
Ist es schwierig, eine Setlist zusammenzustellen, wenn man so viele herausragende Songs geschrieben hat wie die Beach Boys?
Durch Ausprobieren haben wir herausgefunden, dass manche Beach-Boys-Songs besser als andere für eine Liveperformance geeignet sind. Interessanterweise gibt es von uns ein paar Titel, die in Europa viel erfolgreicher waren als in den Vereinigten Staaten. Die spielen wir jetzt natürlich.
Werden Sie Songs von Ihrem jüngsten Studioalbum „That’s Why God Made The Radio" spielen, an dem Brian Wilson wieder beteiligt war?
Wir werden wahrscheinlich einen Titel von der Platte spielen. Aber wir haben einfach zu viele andere tolle Songs aus den 60er-Jahren von Alben wie „Pet Sounds". Zum Beispiel „God Only Knows", „Wouldn’t It Be Nice" oder „Sloop John B". Und 1988 gelang uns mit „Kokomo" ein weiterer großer Hit. Vorletztes Jahr habe ich das Solo-Doppelalbum „Unleash The Love" herausgebracht. Auch davon werden wir ein paar Stücke spielen.
Wie fühlt es sich an, mit 78 Jahren noch Party-Songs wie „Surfin’" zu singen?
Ich liebe die Uptempo-Surfer-Songs! Unsere Show beginnt mit den Klassikern „Surfin’", „Surfin’ Safari", „Surfin’ USA" und „Surfer Girl". Das Publikum singt sie unheimlich gern mit.
Erinnern Sie sich noch daran, wie Sie 1961 die erste Beach-Boys-Single „Surfin’" geschrieben haben?
Aber ja! Ich habe den Song zusammen mit meinem Cousin Brian am Piano geschrieben, und zwar bei ihm zu Hause in Südkalifornien. Von mir stammen der Text und auch Teile des Arrangements. Wir brauchten dafür etwa eine halbe Stunde.
Sind Brian Wilson und Sie das perfekte Songwriter-Team – wie Lennon und McCartney bei den Beatles, mit denen die Beach Boys oft verglichen wurden?
Ich glaube, dass kein Team perfekt ist, aber wir waren einfach sehr erfolgreich. Das hatte etwas damit zu tun, dass wir uns sehr gut ergänzen. Brian ist ein fundamentales, extrem musikalisches Talent. Er kennt sich unheimlich gut mit Harmonien und Akkordfolgen aus. Und ich konzentriere mich auf die Botschaften, indem ich Texte schreibe und Konzepte erarbeite.
Gehört Brian Wilson eigentlich noch offiziell den Beach Boys an?
Brian hat sich 1964 dazu entschlossen, nicht mehr mit den Beach Boys auf Tour zu gehen. Als Ersatz kam Glen Campbell vorübergehend in die Band, bevor Bruce Johnston 1965 festes Mitglied wurde. Der erste Song, auf dem seine Stimme zu hören ist, war „California Girl". Bruce ist übrigens bis heute dabei. Er hat mit seinem Gesang das „Pet Sounds"-Album mitgeprägt. Und Brian geht seit einiger Zeit mit seinen Songs wieder auf Tour.
Welches ist Ihr Lieblingssong von den Beach Boys?
Ich habe einige Lieblingssongs. „Good Vibrations" ist wahrscheinlich die kreativste Arbeit, die wir je gemacht haben. Es ist ein beispielloser Song. Mein Cousin Brian hat dafür die Arrangements geschrieben und ich die Lyrics. Mein anderer Cousin Carl hat im Studio den Leadgesang übernommen und ich den Chorus. Auf „Good Vibrations" bin ich am meisten stolz, weil der Song Avantgarde war und trotzdem ein Nummer-eins-Erfolg wurde. „Good Vibrations" ist eine musikalische Beschreibung der 60er-Jahre: Flower-Power, Peace and Love und all die Dinge, über die damals gesungen und gesprochen wurde. Eine tolle psychedelische Single.
Spielen Sie die ganzen Hits im Originalarrangement?
Wir bleiben den Originalfassungen sehr treu. Bei „Good Vibrations" haben wir lediglich den Schluss verändert, die Nummer klingt live etwas dynamischer als auf Platte. Wenn man eine Setlist zusammenstellt, muss man darauf achten, dass die Übergänge stimmen. Die einzelnen Stücke müssen sehr gut miteinander harmonieren, damit die Dramaturgie des Konzerts stimmt. Bei allem, was wir tun, haben wir das Publikum vor Augen.
Paul McCartney sagte einmal: „Wenn die Beatles jemals einen wirklichen Konkurrenten hatten, dann waren es die Beach Boys." Wer ist denn Ihr eigener
Lieblings-Beatle?
Das ist eine schwierige Frage. Jeder einzelne Beatle war auf seine Art extrem kreativ. George und ich hatten ein gemeinsames Interesse: transzendentale Meditation. Wie ich bereits sagte, haben wir 1969 unsere Geburtstage zusammen in Indien gefeiert. Aber ich mag eigentlich alle vier Beatles.