Das 2016 gegründete Pariser Unternehmen Tagwalk ist nicht nur eine visuelle Bibliothek der zeitgenössischen Mode, sondern dank der Verwendung von Tags und Keywords auch die erste perfekte strukturelle Suchmaschine der Fashion-Branche. Vor allem Profis wissen diese zu schätzen.
Als im Oktober 2018 die deutschsprachige Ausgabe der mit weltweit rund 70 Millionen Usern wohl größten Fashion-Suchmaschine gestartet wurde, wurde sie von der hiesigen „Vogue" gleich als „Google der Designermode" gefeiert. Eine nicht ganz glückliche Bezeichnung, weil diese Etikettierung eigentlich schon vergeben war. Schließlich hatten die bekannte Pariser Tageszeitung „Le Figaro" und das Londoner Wirtschaftsblatt „The Financial Times" das im Januar 2016 etablierte Start-up namens Tagwalk schon als „Google of Fashion" deklariert. Was nun? Eigentlich haben beide Seiten recht. Denn die beiden Mode-Suchmaschinen haben gänzlich verschiedene Zielgruppen im Visier und auch unterschiedliche konzeptionelle Ansätze.
Das 2010 gegründete Londoner Unternehmen Lyst, bei dem inzwischen der globale Branchenführer der Luxusgüterindustrie LVMH (Luxuslabels wie Louis Vuitton bis Nobelchampagner wie Krug) als finanzstarker Investor eingestiegen ist, sieht seine wesentliche Aufgabe darin, den Fashionistas und Instagrammerinnen dieser Welt vor allem Hilfe beim Online-Shoppen anzubieten, sprich den Endverbraucherinnen einen marken- und händlerübergreifenden Überblick über die aktuelle Mode zu liefern und ihnen dabei konkrete Preisvergleiche zu bestimmten Artikeln zu ermöglichen. Dieses Konzept verfolgen auch weitere bekannte Mode-Suchmaschinen wie fashiola.de, smatch.com, mybestbrands.de, stylebox.com oder stylight.de. Auf Lyst sind wir in der vorherigen Ausgabe gesondert und ausführlich eingegangen.
Marken- und händlerübergreifend
Tagwalk hingegen wendet sich vor allem an die Profis und Insider der Fashionbranche. Sprich: Es wird vor allem von Designern, Brands-Marketingchefs, Stylisten, Mode-Groß- und Einzelhändlern sowie Machern von Modemagazinen oder Onlineportalen genutzt, kann aber auch ganz normalen Konsumenten nützliche Informationen liefern. Tagwalk ist ein Bindeglied zwischen Vogue Runway, der ultimativen Bild- oder Video-Informationsquelle über die vier wichtigsten Fashionshows in New York, London, Mailand und Paris und den sozialen Netzwerken Instagram und Pinterest. Es ist gewissermaßen eine visuelle Bibliothek für jeden, der Mode liebt. Und gleichzeitig eine perfekte Suchmaschine für alle nur erdenklichen Fotos von den wichtigsten Fashionshows und vergleichbaren Events ‒ bis ins Jahr 2016 zurückreichend.
Um das Tagwalk-Konzept verständlich zu machen, ist ein Blick auf die Entstehung des Unternehmens und die Beweggründe für die damals 26-jährige Gründerin Alexandra Van Houtte hilfreich. Die Halbfranzösin hat ein Mandarin-Studium an der Universität Nottingham und einen Master-Abschluss im Fach Fashion-Styling am London College of Fashion absolviert. 2012 ist sie nach Paris zurückgekehrt. Mit verschiedenen Praktika als Styling-Assistentin bei Magazinen wie „Numero", „Grazia", „Glamour" oder „Elle" im Gepäck gelang ihr der Einstieg in die Modebranche. Zwischen 2012 und 2016 war sie als Styling-Assistentin bei Lanvin tätig. Ihr Job bestand im Wesentlichen daraus, Tag für Tag sämtliche verfügbaren Bilder von Fashionshows nach allen möglichen Klamotten und Vorgaben, beispielsweise für Shootings, durchzusehen und daraus für ihre Chefs mit Alber Elbaz an der Spitze jede Menge Moodboards (Fotostrecken wie beispielsweise bei Pinterest) zusammenzustellen.
Dabei fiel ihr auf, dass es in der vermeintlich so fortschrittlichen Branche keinerlei Zugriffsmöglichkeiten auf bestimmte Kleidungsstücke mittels Tags oder Keywords gab. Als ungeduldige Person erschien ihr der Zeitaufwand, um ihre Aufträge zu erledigen, in der Ära der modernen Medien geradezu absurd hoch zu sein. Sie wollte die Marktlücke durch Erstellung einer digitalen Datenbank aller Klamotten und Accessoires schließen. Dank eines umfangreichen Schlagwort-Verzeichnisses sollte die Kategorisierung per Tag sekundenschnell dem jeweiligen User-Interesse gemäß visuell verfügbar sein. Wenn also beispielsweise jemand nach einem „pinkfarbenen Jumpsuit" suchen würde, sollte blitzschnell eine Moodboard-Aufstellung samt Namen der Labels und der Präsentationssaison erscheinen. FORUM hat den Test durch Eingabe des Stichworts „Fishnet", einem aktuellen Trendthema, gemacht und erhielten eine schier unerschöpfliche Bilder-Collage, alphabetisch nach Brand-Namen geordnet (beginnend mit Alexander McQueen).
Nachdem Alexandra Van Houtte sich das Okay aller großer Labels zur Verwendung ihrer Bilder geholt hatte, begann sie mit dem Aufbau der Datenbank. Inzwischen sind bei Tagwalk mehr als 150.000 Bilder mit Tags gespeichert und können mithilfe von mehr als 2.800 Keywords aufgerufen werden. Die Nutzung ist kostenlos, für umfangreichere Recherchen ist allerdings eine Registrierung erforderlich, zum ersten Reinschnuppern genügt das Eintippen des Namens der Webseite tag-walk.com. Leider ist die Seite noch nicht in deutscher Sprache zugänglich, dafür aber in Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch. Tagwalk zeigt Womenswear, Menswear, Accessoires oder Streetstyle von den großen Runway-Shows. Zusätzlich gibt es Trend-Übersichten, einen Überblick über neue Models oder aufstrebende Design-Talente, Kurzinterviews, News oder Gerüchte aus der Branche sowie Shoppingtipps. Die Suche kann nach Keywords erfolgen oder auch durch Aufrufen einer der vier Fashion-Metropolen, bestimmter Saisons oder einzelner Designer. Es ist möglich, sich ein ganz persönliches Moodboard zu erstellen und als PDF downzuloaden.
26 Prozent sind Nutzer aus der Medienwelt
Tagwalk ist fraglos die erste perfekt strukturierte Fashion-Suchmaschine der Welt. Designer lassen sich von ihr beim Kreieren neuer Klamotten längst ebenso inspirieren wie modeinteressierte User. Dabei hatte Alexandra Van Houtte ursprünglich eigenem Bekunden zufolge nur ihre Styling-Kollegen, Modestudenten, Fashion-Journalisten und Trendsüchtige als Zielgruppe ins Auge gefasst. Inzwischen hat sie einen genauen Überblick darüber, wer sich regelmäßig auf Tagwalk zu tummeln pflegt: 26 Prozent der User sind Angehörige der Medien, 25 Prozent stammen aus der Garde der Designer oder der Kreativ-Szene, 18 Prozent sind Mode-Studenten, elf Prozent gehören zu den Fashion-Einkäufern, und der Rest ist breit aufgesplittet zwischen Persönlichkeiten aus Beauty und Business. Die Mehrzahl der Tagwalk-Besucher stammt aus europäischen Ländern (Anteil von
52 Prozent), Nordamerika mit 22 Prozent und Asien mit 16 Prozent sind sicherlich noch ausbaufähig.
Mit der renommierten venezolanischen Internet-Pionierin im Luxus- und Modesegment Carmen Busquets (sie hob seinerzeit Net-à-Porter und CoutureLab mit aus der Taufe) und dem chinesischen Geschäftsmann Adrian Cheng hat Tagwalk zwei kapitalstarke Investoren gefunden und konnte ein rasantes Wachstum hinlegen. Derzeit beschäftigt das Unternehmen in der Pariser Zentrale 16 Mitarbeiter, die wöchentlich bis zu 25.000 neue Bilder bearbeiten und in die Datenbank einpflegen.
Dank ihres Erfolgs mit Tagwalk ist Alexandra Van Houtte inzwischen auch als Beraterin bei führenden Fashionlabels sehr gefragt. Geld wird aber auch durch das kontinuierlich ausgebaute Shopping-Segment der Plattform in die Kasse gespült sowie durch Verkauf der diversen von Talkwag erstellten User-Analysen, beispielsweise welche Shows der vergangenen Wintersaison die meisten Interessenten online angelockt hatten: In New York waren das Calvin Klein, Phillip Lim und Bottega Veneta, in London J.W. Anderson, Erdem und Christopher Kane, in Mailand Gucci vor Dolce & Gabbana und Prada, in Paris Dior vor Chanel und Saint Laurent. Geld bringt auch die Erhebung von Gebühren für die Aufnahme von Fashion-Bildern kleiner oder noch unbekannter Labels in die Datenbank. Deren Kreationen können dann gleichberechtigt neben denen der ganz Großen bestaunt werden.
Weitere Informationen im Netz unter: www.tag-walk.com