Während Bundesliga-Kicker sich nur selten zu Themen neben dem Sport zu äußern pflegen, hat sich der Arsenal-Spieler Héctor Bellerín auch abseits des Rasens durch sein mutiges Engagement einen Namen gemacht.
Ein Kicker, dem Anfang 2018 gelehrte Wissenschaftler im Auditorium der renommierten Oxford University lauschten und der in einer Podiumsdiskussion allerlei Bemerkenswertes zu den wesentlichen kulturellen Unterschieden zwischen Barcelona und London von sich gab. Um dann auch noch informativ-unterhaltsam seine Meinung über den „Fußballer von heute", seine Rolle in der modernen Gesellschaft auch abseits des Platzes vorzutragen. Was hierzulande eine Sensation wäre, ist für den bei Arsenal London unter Vertrag stehenden spanischen Nationalspieler Héctor Bellerín (Moruno) keine so große Sache. Schließlich pflegt sich der gerade mal 24-jährige Spieler, der im Star-Ensemble der Gunners bis zu seinem im Match gegen Chelsea am 19. Januar erlittenen Kreuzbandriss den Posten des rechten Außenverteidigers fest im Griff hatte, regelmäßig öffentlich und auch schon mal streitlustig zu allen möglichen sozialen, politischen oder kulturellen Themen zu äußern.
Weil er seine Prominenz als Ausnahme-Fußballer auch dazu nutzen möchte, seine Position zu Missständen in allen möglichen Bereichen zu erläutern und möglichst viele seiner allein 2,7 Millionen Follower auf Instagram zu überzeugen. Bellerín sieht sich selbst als Influencer der ganz besonderen Art, aber er ist gleichzeitig auch ein klassischer Influencer, da er dank seines individuellen und zugleich hochwertigen Mode-Stils ein bewundertes Vorbild für jede Menge Anhänger ist. „Wir Fußballer haben eine Plattform", so Bellerín, „die wir nutzen müssen, um für eine bessere Welt zu kämpfen. Gerade wir sind es, die unsere exponierte Stellung nutzen und bestimmte Themen nicht nur ansprechen, sondern geradezu herausschreien sollten, damit wir als Gesellschaft uns weiterentwickeln." Er halte es für falsch, sich aus allem rauszuhalten und nur gemütlich auf dem Sofa sitzend über den erfreulichen Kontostand oder die Zahl der Luxuskarossen zu sinnieren. Schließlich solle man als Mensch nicht nach seinem Besitz beurteilt werden, sondern nach dem, was man zugunsten des Allgemeinwohls Zeit seines Lebens getan habe.
Regelmäßige Debatten
Solch ungewöhnliche Ansichten aus dem Mund eines Kickers, der inzwischen neben täglichen Reha-Besuchen auch wieder zarte Übungen auf dem Arsenal-Trainingsgelände absolviert, sind natürlich nicht jedermanns Sache. Was Bellerín natürlich nur zu bewusst ist: „Das Problem ist, dass die Leute eine Vorstellung haben, wie Fußballer aussehen, wie sie sich benehmen, worüber sie reden sollen. Wenn man sich ein bisschen anders verhält, wird man zur Zielscheibe. Es gibt einen Druck, dich anzupassen. Das ist sehr gefährlich. Im Leben soll erlaubt sein, sich auszudrücken. Man ist so glücklicher." Gemäß diesem Motto gibt es eigentlich kein heißes gesellschaftliches Eisen, das Bellerín sich anzupacken scheuen würde. Er wettert gegen Klimawandel, Umweltverschmutzung, vor allem gegen Plastikmüll, Treibhausgase oder Feinstaub, gegen das weltweite Hunger- oder Armutsproblem, gegen Diskriminierung, Rassismus, Homophobie oder Intoleranz.
Und er hatte es sogar gewagt, sich in die Brexit-Diskussion einzumischen, weil er den Austritt Großbritanniens aus der EU als großen Fehler angesichts eines eigentlich auf Zusammenwachsen ausgerichteten Europas ansieht. Speziell mit seinen Brexit-Ansichten löste er einen gewaltigen Shitstorm aus. Aber auch sein Eintreten für Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben hat ihm im Web zahllose üble Anfeindungen eingebracht. Schließlich ist Homosexualität im internationalen Fußball noch immer ein absolutes Tabu-Thema. Wer es wagt, homophoben Angriffen offensiv entgegenzutreten, dem wird schnell selbst die Heterosexualität abgesprochen. So zwangsläufig auch geschehen bei Héctor Bellerín, der wegen seiner langen Haartracht, die er meist in Dutt-Form bändigt, und weil er viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres legt (ein Kreuz als Ohrschmuck inklusive), als „Lesbe" verunglimpft wurde. Obwohl er bekanntermaßen schon geraume Zeit mit der Spanierin Berta Requeno liiert ist und ihm daher gleichgeschlechtliche Vorlieben nicht unterstellt werden können.
Die „Lesbe"-Attacken machten ihm durchaus zu schaffen, wie Bellerín in einem mutigen Interview mit der Tageszeitung „The Times" bekannt hatte: „Die Leute haben mich Lesbe genannt, weil ich meine Haare wachsen ließ. Es gibt andere homophobe Beschimpfungen. Das kann sehr hart sein, die Beschimpfungen finden meist online statt, aber man hört sie auch im Stadion. Ich habe gelernt, ein dickes Fell zu haben, aber das kann sich dennoch auf dich auswirken. Immer wieder bekommt man Selbstzweifel. Ich habe die Apps eine Weile gelöscht. Später habe ich entschieden, sie wieder zu aktivieren. Twitter ist eine große Informationsquelle. Ich lerne jeden Tag besser, mit Mobbing umzugehen."
„Es soll erlaubt sein, sich auszudrücken"
Und Bellerín, der zusätzlich auch mit seinem Bekenntnis zu veganer Ernährung weiter angeeckt ist, ist daher bereit, seinen Kampf gegen Homophobie fortzusetzen. Auch wenn er selbst längst erkannt hat, dass Homosexualität speziell in einer so durch das Merkmal Männlichkeit geprägten Sportart wie Fußball, in der Schwulsein noch immer in breiten Kreisen der Fan-Szene mit Schwäche gleichgesetzt wird und sich daher bestens zum Aufbauen eines Feindbildes zu eignen scheint, einen schweren Stand hat. Bellerín: „Es ist unmöglich, dass sich jemand als schwul outet. Einige Fans sind nicht bereit. Als das im Rugby der Waliser Gareth Thomas gemacht hat, haben die Leute seine Entscheidung respektiert. Im Fußball ist die Kultur anders. Es kann sehr persönlich und sehr böse werden, gerade für die Spieler der gegnerischen Mannschaft."
Selbstverständlich hatte sich der am 19. März 1995 im katalonischen Badalona geborene, 1,78 Meter große Kicker, der sämtliche spanische Junioren-Nationalmannschaften durchlaufen hat, im Alter von 16 Jahren aus der Jugendabteilung des FC Barcelona zum FC Arsenal auf die Insel gewechselt war, sein erstes Premier-League-Spiel im Oktober 2014 bestritten und sein erstes Tor in der englischen Elite-Klasse im Februar 2015 erzielt hatte, im Sommer 2018 auch in der Özil-Debatte zu Wort gemeldet. Wobei er für seinen Arsenal-Kollegen vehement Partei ergriff: „Es ist surreal, dass jemand, der auf und abseits des Platzes so viel für sein Land geleistet hat, derart despektierlich behandelt wird." Ganz egal, ob die von Mesut Özil gegen den DFB erhobenen Diskriminierungs- und Rassismus-Vorwürfe gerechtfertigt waren oder auch nicht, so hatte die „Times" doch in Hinblick auf Özil und den auffallend oft in den britischen Medien kritisierten, bei Manchester City unter Vertrag stehenden britischen Nationalspieler Raheem Sterling, Spross einer aus Jamaika eingewanderten Familie, eine interessante Sündenbock-Parallele aufgezeigt: „Für Immigranten ist Zugehörigkeit nur ein bedingtes Konzept. Spielst du gut, bist du einer von uns. Spielst du schlecht, bist du einer von denen."
Mag sein, dass Belleríns ungewöhnlich starkes gesellschaftliches Engagement etwas mit seiner katalonischen Herkunft zu tun hat, wie das Magazin „11Freunde" spekuliert hat. In der nach Unabhängigkeit strebenden nordspanischen Region sei schließlich alles irgendwie politisch und werde unaufhörlich kontrovers debattiert. Das könne auf den jungen Bellerín abgefärbt haben, der daher schon früh gelernt habe, selbst brisante Themen anzupacken. Kein Wunder daher, dass Bellerín, der inzwischen bei Arsenal für die kommende Saison in die engere Wahl für die Kapitänsbinde aufgestiegen ist, schon mal angekündigt hat, nach Ende seiner Kicker-Karriere in die Politik einzusteigen. Doch bis dahin dürfte es ja noch etwas dauern. Reichlich Zeit für Bellerín, gewissermaßen über den britischen Tellerrand hinaus auch mal etwas zu jüngsten Rassismus-Vorfällen in anderen Fußball-Ländern zu sagen.
In Katalonien ist alles irgendwie politisch
Denn während in britischen Arenen dank einer strengen Gesetzgebung offener Rassismus beinahe verschwunden und die Öffentlichkeit ohnehin wegen der kolonialen Vergangenheit schon seit Langem für die Themen Rassismus und Diskriminierung viel stärker sensibilisiert ist, kommt es auf dem Kontinent trotz Fifa- und Uefa-Kampagnen wie „Say no to Racism", „Äqual Game" oder „Respect" immer wieder zu schlimmen fremdenfeindlichen Eklats. Bei Mario Balottelis Comeback in der italienischen Nationalmannschaft im Mai 2018 wurde der dunkelhäutige Spieler mit ghanaischen Wurzeln mit einem Plakat verunglimpft, auf dem zu lesen war: „Mein Kapitän muss italienisches Blut haben". Im März 2018 wurde der Franzose Ousmane Dembele beim Match der Equipe tricolore im russischen St. Petersburg durch nachgeahmte Affenlaute rassistisch beleidigt. Und im Stadion von Lazio Rom gehören rassistische Verhöhnungen ohnehin schon fast zum Tagesgeschäft, ganz krass beispielsweise im Oktober 2017 aufgetreten, als Lazio-Fans Aufkleber mit Anne Frank im Trikot des verhassten Stadt-Rivalen AS Rom samt antisemitischen und homophoben Sprüchen verteilt hatten.