Für Bewohner auf dem Land bleibt das Auto unverzichtbar
Wer nicht in der Stadt, sondern auf dem Land groß geworden ist – so wie ich in Weiten auf dem lieblichen Saargau – kann sich noch an ein damals unter Jungs sehr beliebtes Ratespiel erinnern: Man saß am Straßenrand an einer uneinsehbaren Kurve und wartete auf ein vorbeifahrendes Auto. Was damals nicht sehr häufig passierte, denn damals hieß das Saarland noch Saargebiet und der Ministerpräsident Johannes Hoffmann (JoHo). Kam eines, musste man – lange bevor das Auto in Sichtweite kam – am Motorgeräusch erraten, welche Marke da auftauchen würde. Wer die meisten Autos erriet, hatte gewonnen.
Heute steht man im gleichen Dorf an der Hauptstraße und wartet, bis man diese gefahrlos überqueren kann. Aufgrund der zunehmenden Verkehrsdichte ist dies allerdings auch auf dem Land erheblich schwieriger geworden. Ampeln oder Zebrastreifen wie in der Stadt sind hier meist Fehlanzeige.
Ein Punkt, der kaum thematisiert wird. Medien und Politik beschäftigen sich stattdessen mit großem Fleiß fast ausschließlich mit Verkehrs- und Umweltproblemen in Städten und Ballungsgebieten. Mit Staus, Dieselfahrverboten, NOx- und CO2-Grenzwerten und deren Auswirkungen auf die Gesundheit, um nur ein paar Schlagworte zu nennen. Neuerdings geht es auch noch um Elektroroller, sogenannte E-Scooter, die City-Maut, Forderungen nach Anlage von Nah- und Fernverkehrs-, Radwegen und vieles mehr.
Unentwegt haben Gesetzgeber, Umweltaktivisten und auch autokritische Redakteure die urbane Brille auf. „Schützt die Umwelt, verbietet Autos, Autos raus, geht zu Fuß oder nutzt das Fahrrad." So oder so ähnlich schallt es einem immer wieder und überall entgegen. An die Bedürfnisse und Probleme der ländlichen Bevölkerung denkt kaum jemand.
In Deutschland gibt es 76 Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern, darunter vier Millionenstädte. Aber mindestens die Hälfte der Gesamtbevölkerung lebt auf dem Land oder in der ländlichen Peripherie von Ballungsräumen. Dass die gesamte verkehrspolitische Diskussion über Abgase, Staus, Dieselverbote und Ähnliches vollkommen an den Problemen der Landbevölkerung vorbeigeht, scheint niemand zu interessieren. Dort gibt es keine U-Bahn, keine Bus- oder Straßenbahnhaltestelle um jede Ecke. Dort hat nahezu jeder Erwachsene ein eigenes Auto – weil er darauf angewiesen ist.
Der Tante-Emma-Laden, der Bäcker oder Metzger sind verschwunden, der nächstgelegene Supermarkt oder Discounter mit dem Fahrrad oder fußläufig nicht zu erreichen. Was bleibt ist das eigene Auto! Gesunde Luft und reichlich Parkplätze sind nicht die Probleme der ländlichen Mitbürger. Teilnahme an der Zivilisation und gleiche Lebensqualität wie die Städter – darum geht es hier. Das eigene Auto und eine bezahlbare Mobilität sind für mindestens die Hälfte der Bevölkerung lebensnotwendig.
Natürlich gibt es Gründe für die vorherrschende, einseitige Konzentration auf städtische Mobilitätsprobleme. Der wichtigste ist wohl dem Umstand geschuldet, dass sich sämtliche relevanten Institutionen in Politik, Wirtschaft und Medien in den Zentren der großen Millionenstädte befinden, angefangen von Berlin, über Hamburg, Köln bis München. Dort also, wo Verkehrschaos täglich erlebbar ist, und wo sich verantwortliche Politiker medienwirksam und Verbandsvertreter und Zeitungsleute leicht mit Fahrrad oder öffentlichem Nahverkehr von A nach B bewegen können. Und nicht verstehen können, warum andere noch Auto und nicht mit alternativen Verkehrsmitteln fahren.
Höchste Zeit, dass all die gutmeinenden Umweltschützer und Autogegner ihre cityzentrierte Betrachtung überdenken: Es gibt auch Mobilitätserfordernisse außerhalb der Stadt, die nur mit dem Auto gedeckt werden können.