Ein Kaleidoskop rund um ein Thema, das im Alltag allgegenwärtig ist – das ist die Ausstellung „Food for the Eyes" im C/O Berlin. Bis Anfang September werden Werke von 50 Fotografen rund ums Thema Essen gezeigt – mal authentisch, und geradezu dokumentarisch, dann wieder kunstvoll stilisiert.
Essen – das sei nicht nur ein physisches Bedürfnis, Essen spiegele auch kulturelle Zusammenhänge im Wandel der Zeit, so der Ansatz der beiden Kuratorinnen der Schau, Susan Bright und Denise Wolff. Und Essen oder auch die Erinnerung daran sei stets emotional besetzt – die Amerikanerin Denise beispielsweise kann sich gut an die heißen Pommes erinnern, die ihr als Kind immer vom Teller rutschten. Während die Britin Susan beim Thema Essen sofort das Bild der Brotkrümel vor dem inneren Auge sieht, Reste einer Mahlzeit mit Freunden.
Zahlreiche renommierte Fotokünstler haben sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder mit dem Ritual des Essens, mit Lebensmitteln, mit gastronomischen Klischees auseinandergesetzt. Von Wolfgang Tillmans und Cindy Sherman über Andy Warhol und Nan Goldin bis Irving Penn oder Martin Parr. Eine Fülle höchst unterschiedlicher Sichtweisen ist so im C/O versammelt – rund 400 Fotos haben die Kuratorinnen zusammengetragen. Auf manchen ist das Authentische festgehalten worden – in Schwarzweiß, verblichen oder fast zu intensiven Farben. Oder es wird inszeniert und stilisiert – die Ananas funkelt schillernd wie ein Schmuckobjekt. Es geht um Essen im Zusammenhang mit Familie und Tradition, mit Armut und Ekel, mit Konsum und Verschwendung.
Wie ein Drei-Gänge-Menü kommt die Schau daher – mit den Bereichen „Still Life", „Around the table" und „Play Ground". In den rosa, gelb und grün leuchtenden Ausstellungsräumen wird der zeitliche Bogen von 1853 bis heute gespannt. Den Auftakt macht das vergilbte Schwarz-Weiß-Foto „Karaffe und Frucht (circa 1853–60) von Roger Fenton. Ein Foto, das sich (als ältestes der ausgestellten Werke) noch an der traditionellen Malerei und ihren Allegorien orientierte. Die Fotografie selbst wurde erst später als künstlerische Ausdrucksform anerkannt, zuvor war man vor allem davon fasziniert, mithilfe des neuen Mediums jedes Detail festhalten zu können. Fentons Motiv ist eine üppige Komposition aus Pfirsichen und Äpfeln, den verbotenen Früchten. Die über allem schwebenden Trauben erinnern an Dionysos, der in der griechischen Götterwelt auch für Fruchtbarkeit und Ekstase steht.
Gleich gegenüber ein Zeitsprung: Volker Niehaus hat für das 2000 entstandene Foto (ohne Titel) sorgfältig gepellte Früchtchen im klassischen Stillebenformat drapiert. Sie wirken entblößt und klinisch. Bei Irving Penn kann der Blick förmlich ins Bild hineinschmelzen. Seine Skulptur „Frozen Food" (1977) wurde im Moment des Schmelzens fotografiert, wobei die eigentliche Farbe der Früchte erst beim Abtauen sichtbar wird – ein schmaler Grat zur natürlichen Farbveränderung.
Nickolas Muray, der bereits in den 30er-Jahren damit begann, neue Druck- und Reproduktionstechniken zu entwickeln, brachte die Essensfotografie in Hochglanz-Magazine. Lebensmittel wurden wie Mode gestylt – die Fülle wurde inszeniert, auch als Reaktion auf die Jahre des Mangels nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein ganzes Spalier überkolorierter und durchkonstruierter Weightwatcher-Rezeptkarten aus den 70er-Jahren erinnert an heutige Instagram-Food-Fotos. Die enge Verbindung zwischen Essen und Fotografie steht gestern wie heute für ein Lifestyle-Statement. Die Kombination der beiden Medien bietet die Möglichkeit, die Zeit scheinbar im Moment anzuhalten. Wie beispielsweise, wenn der Zuschauer – oder Follower des Instagram-Accounts – offenbar Zeuge eines wie nebenher ablaufenden Kochvorgangs wird. Kein Wunder, dass sich nicht nur Starköche sondern zig Foodblogger und nebenberufliche Gastro-Fans dieser Technik bedienen. Gerichte werden förmlich auf die Teller gemalt, kunstvoll drapiert – Nachahmen ist ausdrücklich erwünscht.
„Food for the Eyes" im C/O Berlin – das sind aber auch gläserne Vitrinen mit Dutzenden Kochbüchern. Die den Wertewandel im Lauf der Jahrzehnte ziemlich eindrucksvoll widerspiegeln. Mal sind es die „Kochbibeln" der Sterneköche, mal unprätentiöse Anleitungen für den banalen Alltag – dazu kommen werbliche Markenbroschüren der 50er- und 60er-Jahre. Neue Kochgeräte wie Schnellkochtopf oder Schongarer sind nicht nur Symbole der Wirtschaftswunderjahre, sondern stehen für eine Technisierung im Haushalt, bringen Glanz und Selbstbewusstsein in die deutschen Nachkriegs-Küchen. Darin spiegeln sich aber auch Rollenklischees – es sind Frauen, die für diese schicken hochmodernen Kochutensilien werben.
Der Ausstellungsteil „Play Ground" jongliert mit dem Spiel rund um Nahrungsmittel – und mit der mitunter hauchdünnen Trennlinie zwischen Ästhetik und Abscheu. Fast schmunzeln lässt die „Wurstserie" (1979) des Schweizer Künstlerduos Peter Fischli und David Weiss mit dem Titel „Fashion Show". Krumme Wiener Würstchen, Bockwürste, Schinken, Petersilie und Gewürzgurken sind die Zutaten einer schon grotesk wirkenden Szenerie. Die Projektion „Meat Joy" von Carolee Schneeman von 1964 dagegen ist ein Beispiel für die Happening-Kunst der 60er-Jahre, auf der Leinwand halbnackte Körper in einer Art orgiastischem Tanz, dazwischen noch blutendes Fleisch – heutzutage in dieser Form auch wegen des Umgangs mit toten Tieren nicht mehr vorstellbar. Appetit oder Ekel, bei jedem mögen die mitunter provokativen Kunstwerke wohl unterschiedliche Assoziationen auslösen. Hannah Collins’ Nahaufnahme von Austern (1992) betont das fleischige Innere der Meeresfrucht und lässt eine fast beschämende Intimität spüren. Nicht für jeden: Manche sehen nur die Auster und erinnern sich an den letzten Atlantikurlaub.
Im letzten Kapitel der Ausstellung mit der Überschrift „Around the Table" geht es um Rituale des gemeinsamen Essens. Und um Werte und kulturelle Identitäten, die sich darin widerspiegeln. Zusammen am Tisch zu sitzen ist zwar zeitlos, sagt aber gleichzeitig viel über die Gesellschaft, die Zeit und den jeweiligen Lebensstil aus. Nicht umsonst kennt quasi jeder den zeitlosen Klassiker der picknickenden Familie an der Marne von Henri Cartier-Bresson (1938), ein Foto, das den Endpunkt der Ausstellung bildet.
Doch egal, wer mit wem am Tisch oder auf einer Decke sitzt: Essen geschieht ganz im Moment, erschafft Rituale und Gemeinsamkeiten, wie wohl kaum ein anderer Akt des Alltäglichen. Es spiegelt tiefsitzende Wünsche und erschafft Augenblicke des Vergessens. Die Ausstellung liefert vom farblosen Stillleben bis zum knallbunten Stroboskop-Foto ein schillerndes facettenreiches Spektrum. Dazu gehören auch Provokationen und Anspielungen auf den allgegenwertigen Konsum sowie sozialkritische Ansätze. Denn die Besucher der Schau sollen an die Menschen erinnert werden, die vertrieben und hungrig sind. Essen erschafft nun mal starke zwischenmenschliche Brücken.