Eine Kreuzfahrt in Peru ist etwas für betuchte Natur-Junkies. Und wer mutig ist, geht sogar dort baden, wo Piranhas und Anakondas nicht weit sind.
Der Motor des Beiboots verstummt und es gleitet immer langsamer über das dunkle Wasser. Touristenguide Jesús ist aufgestanden, steht breitbeinig da, um die Balance zu halten. Und er findet kitschige Worte: „Lauscht dem Sound des Dschungels." Aber das Zirpen, Rasseln, Pochen, Pfeifen, Tackern und Surren ist irreal. Zu sehen ist nichts – bis auf die Baumsilhouetten, die im Mondlicht glänzen.
Wir sind mitten drin in der Natur, so, wie dies kaum woanders auf der Erde möglich ist: Das Amazonastiefland gilt mit mehr als 20 Millionen Tier- und Pflanzenarten als das artenreichste Ökosystem der Erde – immer noch, obwohl dieses Mekka durch menschliche Beutezüge gigantische Flächen eingebüßt hat. Bodenschätze wie Gold oder die Fruchtbarkeit brandgerodeter Flächen für die Landwirtschaft sind die Gründe für das unter Umwelt- und Klimaschutzaspekten fatale Handeln. Der Regenwald ist ein riesiger CO2-Speicher, und unser Ziel, der immerhin größte Nationalpark Perus, La Reserva Nacional Pacaya Samiria, nur ein Teil davon.
Wir sind unterwegs mit der „Delfin II", einem Flusskreuzfahrtschiff im klassischen Stil mit 14 Suiten, Kiellegung 2009, gefertigt aus Capirona-Holz. Drei Tage und drei Nächte geht es entlang des Río Ucayali, der zusammen mit dem Río Marañón erst den eigentlichen Amazonas bildet. Und wie jetzt mit Jésus im Beiboot tuckern wir immer wieder in die Seitenarme, die Namen tragen wie El Dorado, obwohl vermeintliche Gefahren warten wie Anakondas oder Piranhas. Ihnen zum Trotz werden wir auch baden gehen.
Im Lichtkegel von Jésus’ Taschenlampe blitzt ein roter Punkt auf. Inmitten der dichten Wasserpflanzen badet ein kleiner, noch längst nicht ausgewachsener Kaiman. Es blitzt in einem fort, die Gäste starren auf ihre Displays und grummeln vor Genugtuung. Ein Baby-Reptil sieht man nicht alle Tage. Auf dem Rückweg zur „Delfin II" tragen die Gäste kastige Klarsichtbrillen gegen die Insekten im Fahrtwindtunnel und sehen damit aus wie 90er-Jahre-Rapper.
Luxusschiff mit 14 Suiten
Nicht nur wegen der langen Anreise aus Europa ist Amazonien nicht mal eben zum Vorbeigucken, denn zur Tierbeobachtung braucht es Geduld und messerscharfe Blicke. Daran ändert auch das Tageslicht nichts. Das Leben, so fühlbar es ist, findet auch bei Hellem im Verborgenen statt. Ausnahme bilden Massen an Vögeln, die manchmal den Himmel verdunkeln. Jaribus begleiten das Boot wie Möwen einen Nordseekutter.
Etliche Tierarten im Amazonastiefland sind selbst Forschern, die diese dort vermuten, noch nie begegnet. Und das gilt auch für Menschen – zwei Millionen Ureinwohner gibt es noch, erzählt Jesús. 20 Prozent hätten noch nie Kontakt zur sogenannten Zivilisation gehabt. Darunter Menschen, die sich als Schmuck Knochen durchs Gesicht schieben, Frauen von anderen Stämmen entführen und Schrumpfköpfe an die Bäume hängen.
Unzivilisiert, das war gewissermaßen auch Jesús einmal. Seine Erzählung steht im krassen Kontrast zur antiseptischen Atmosphäre einer nicht nur für örtliche Verhältnisse teuren Amazonaskreuzfahrt, auf der die mit Mahagoniholz ausgeschlagenen Kajüten den Nebel der Duftspraydose atmen. Er wurde in der Wildnis geboren, wuchs in ihr auf, 15 Kilometer nördlich von Iquitos, wo seine Familie vom Stamm der Bora noch lebt. Einige der gut zwei Dutzend Passagiere haben auf den Polstermöbeln Platz genommen und sind gebannt. Er habe harte Füße vom unbeschuhten Laufen bekommen. Sei bei Krankheit mit der Medizin des Waldes geheilt worden. Zum Beispiel mit der Milch des Ficus benjamina-Baumes gegen Parasiten. Palmwurzeln schützten gegen Malaria, der Saft des Bismia-Baumes gegen Mückenstiche, die Milch einer tropischen Weinsorte heilte offene Wunden. Wohl an die 3.000 Medizinpflanzen habe sein Großvater gekannt, ein „weißer Schamane", der anders als die „schwarzen" den Menschen Gutes tun wollte.
Am Morgen geht es wieder ins Beiboot, Frühstück auf dem Wasser. Jesús und Renny, ein anderer Guide, haben Ferngläser vor den Augen, um auf Faultiere oder Affenbanden hoch im Geäst hinzuweisen. Dann streifen sie weiße Handschuhe über, um zu servieren. Aus Kühlboxen zaubern sie Fruchtspieße, Muffins, frisch gepresste Säfte. In den Bäumen im nahen Sumpf sitzen die flugfaulen Stinkvögel – es gibt sie seit Millionen von Jahren.
Weiße Handschuhe sind auch am Abend im Schiffrestaurant das Unterscheidungsmerkmal. Die Küche ist kreolisch angehaucht und peruanisch-exzellent. Nachdenklich stimmt: Ein Aberglauben lasse die Ribereños, die Menschen, die in Verschlägen am Ufer wohnen, nur unabgekochtes Wasser aus dem Amazonas trinken. Deswegen seien sie, so Jesús, kleinwüchsig und hätten Blähbäuche. An Bord der „Delfin II" vergisst man so etwas erschreckend schnell.
Eine exzellente, kreolisch angehauchte Küche
Mit vollgeschlagenen Bäuchen versinken die Passagiere müde im Kingsize-Bett. Die großen, über zwei Meter breiten Kabinen-Fenster zum Fluss sind mit schweren Gardinen versehen, die die „Delfin II" für die Nacht versiegeln. Am Morgen behindert nur ein Vorhang aus Regen die Weitsicht, das Dickicht am Ufer betört den Sehsinn milchig grün – vom Kingsize-Bett aus ein Vergnügen! Der Bug des Flusskreuzfahrtschiffs schneidet auf der Weiterfahrt eine Furche in den wasserreichsten Fluss der Welt, die sich jäh wieder verschließt. Braun und reich an schlammigen Sedimenten ist die Brühe.
Dann durchbrechen runde Buckel die Wasseroberfläche. Es sind rosafarbene Flussdelfine, die die Gäste vom Oberdeck aus entdeckt haben. Die Entzückung ist abermals groß, aber die Tiere leiden in Peru an einem beträchtlichen Imageschaden: „Sie sind böse", sagt Jesús. „Wir essen ihr Fleisch nicht, weil man davon verrückt wird – oder impotent. Außerdem: Ist eine Frau ‚ungeklärt’ schwanger, war’s der Delfin in Gestalt des ‚Encantado’, einem jungen, charmanten Mann. Also haltet euch fern." Immerhin – gejagt werden die Flussbewohner nicht. Rätselhaft bleibt, warum der Reeder seine Schiffe ausgerechnet auf „Delfin" taufte.
So majestätisch der Strom in seiner Breite von bis zu zehn Kilometern ist, das wahre Vergnügen sind die Trips in die Flussarme. Die „Delfin II" hat an der Mündung des Seitenflusses El Dorado festgemacht. Die Sonne steht im Zenit. Es geht wieder ins Beiboot. In den Wipfeln baumeln die Nester des Oropendula-Vogels wie Ohrringe. Von Ast zu Ast, von Liane zu Liane tanzen Totenkopfäffchen und scheuchen die Insekten auf – für die Vögel die beste Gelegenheit auf eine Mahlzeit. Das Ufer ist durchlöchert. Es sind die trockengelegten Geburtshöhlen der Welse, die während der Regenzeit in den überschwemmten Wäldern geboren wurden. „Haltet Ausschau nach Anakondas, sie liegen am Ufer, wenn es heiß und trocken ist", sagt Jésus.
Nach einstündiger Fahrt erreicht das Boot den Schwarzen See (Lago Yanayaco). Jesús und Renny kramen als Anakonda-Ersatz – so ihr Scherz, denn Originale zeigen sich uns nicht – bunte Styroporwürste hervor und lassen ein Leiterchen ins Wasser. „Jetzt zum Baden ins Wasser!" Und Piranhas oder Schlangen? Die gebe es an dieser Stelle nicht. Die Selbstverständlichkeit ihrer Aufforderung lässt manchen Gast ins Wasser springen. Dann Aufschreie. Denn irgendetwas zwickt doch.
Es sind nur kleine Fische, die an der weißen Haut knabbern, so lange man nicht wild zappelt. Piranhas werden die Gäste ein paar Flusskilometer flussabwärts später fürs Abendessen mit hölzernen Angeln selbst fischen. Als es längst dunkel ist, drapieren weiße Handschuhe im Innern der „Delfin II" ein gegrilltes Exemplar auf dem Buffettisch.