Mitte August findet in Nalbach die neue Auflage des Akustik Open-Festivals statt. Singer-Songwriter Joey Cape, Mitbegründer der kalifornischen Punkrock-Band Lagwagon, hat fünf Soloalben veröffentlicht – sein jüngstes trägt den Titel „Let Me Know When You Give Up". Vor dem Konzert gibt er Einblick in sein Leben und Denken.
Joey, es gibt zahlreiche Punkrock- und Emorock-Musiker, die längst auch Singer-Songwriter sind. Haben Sie eine Erklärung für dieses Phänomen – sprich: den Wechsel von lauten, verzerrten Gitarren zur Akustikgitarre?
Ist das ein Phänomen? Für mich ergibt das total Sinn, dass Sänger alleine auftreten wollen, wenn sie auch die Songs schreiben. Man muss es von dieser Warte aus betrachten: Du kannst zu Hause nicht auf einer lauten Gitarre oder einem Schlagzeug Songs schreiben. Dafür musst du ein leises Instrument wählen –
ein Piano oder eine Akustikgitarre. So wird es zur selbstverständlichen Gewohnheit, die Songs auf diese Art zu spielen. Ich schreibe seit vier Jahrzehnten Songs auf der Akustikgitarre und habe so immer die Demos für meine Bands aufgenommen. Mit der Zeit bekamen andere Leute Notiz davon und mochten sie, und ich fühlte mich immer wohler damit, sie alleine vorzutragen. Zudem ist es viel einfacher, alleine Shows zu spielen. Der Aufwand ist geringer. Ich schätze, ich werde immer beides tun: Band- und Soloshows geben. Ich liebe beides und beides gibt mir in kreativer Hinsicht viel.
Sie sind seit vielen Jahren Teil der Musikindustrie. Wie sehen Sie die jüngsten Entwicklungen in diesem Bereich – Stichwort: Streaming. Wie schwer haben es professionelle Musiker heutzutage, mit der Musik ihren Lebensunterhalt zu verdienen?
Ich akzeptiere die Dinge so, wie sie sind. Das muss man. Streaming macht in meinen Augen durchaus Sinn. Die Musik ist eine Fingerbewegung weit entfernt. Für Künstler ist dieser Umstand nicht ideal, aber wir müssen die Situation einfach hinnehmen und weitermachen. Es ist sehr schwierig, damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Noch kann ich das, indem ich außergewöhnlich viel toure. Es ist insgesamt schwierig, aber auch möglich. Ich kann mich schon sehr glücklich schätzen. Wenn ich je aufhöre, zu touren, wird sich einiges für mich ändern. Ich bin eine Krankheit, ein Leiden entfernt von einem Alltagsjob.
Sie würden sicherlich der These zustimmen, dass der beste Weg für Künstler, Geld zu verdienen, Touren und der Verkauf von Merchandising ist.
Auf jeden Fall.
Kommen wir auf den künstlerischen Aspekt Ihrer Musik zu sprechen: Wenn Ihnen eine Songidee im Kopf umherschwirrt, wie selektieren Sie, ob sie für einen Lagwagon- oder für einen Solosong besser geeignet wäre?
Einige Ideen bieten sich für beides an. Ich kann mich manchmal nicht entscheiden, ob der jeweilige Song seine volle Kraft eher im Band- oder im Solo-Kontext entfalten kann. Diese Unterscheidung fällt mir immer schwerer. Manchmal passt meiner Meinung nach beides, daher habe ich mein letztes Soloalbum auch mit einer kompletten Band eingespielt.
Sie schrieben die neuen Songs zusammen mit Asher Simon, bekannt von Ihrer Alternative-Rock-Band Joey Cape’s Bad Loud, und Brian Wahlstrom, der Sie schon in der Vergangenheit auf der Bühne begleitet hat. Wie groß war deren Einfluss auf die Songs beziehungsweise das Album?
Sie sind großartige Musiker und Kollegen. Mit Asher habe ich an den Texten gearbeitet. Er ist ein sehr belesener Mensch und der ideale Mann, wenn es darum geht, sich gegenseitig Ideen zuzuspielen. Wir sind alte Freunde und lieben es, über alles Mögliche zu diskutieren. Er hat stets eine empathische und erkenntnisreiche Sicht auf die Dinge. Brian wiederum ist ein großer Arrangeur und spielt unglaublich gut Klavier. Das Klavier ist ein wichtiger Grundstein für eine Komposition und deren Klang. Ein besseres Instrument kann ich mir nicht vorstellen, um mir die zur Verfügung stehenden Arrangement- und Überleitungsmöglichkeiten anzuhören. Insofern sind Brian und Asher sehr wichtige Faktoren im Entstehungsprozess der Songs gewesen. Ohne sie wären es ganz andere Songs. Sie halfen mir, neue Wege zu beschreiten. Nach all den Jahren des Alleine-vor-sich-hin-Tüftelns ist es doch spannender, mit ihnen zu arbeiten.
Im Begleittext zu Ihrem neuen Album heißt es: „Obwohl wir in sehr schwierigen Zeiten leben, ist es wichtig, nicht in diesem Sumpf stecken zu bleiben." Wie bekommen Sie das hin? In meinen Augen wird es immer schwieriger, da so viel auf einen einprasselt.
Oh ja, es ist schwer, loszulassen. Philosophie ist zeitlos und weitaus interessanter als nur über angenommene Tatsachen zu debattieren. Es gibt einige berechtigte Verhaltensmuster in der heutigen Debattenkultur; ich bin aber diese Sensationsgeilheit dermaßen leid. Wir wurden erzogen, dass eine Bewertung der Dinge gern gesehen und gar erwünscht ist. Es scheint jedoch so, als würden wir dafür belohnt, selbstbewusst und selbstdienend zu agieren. Empathie und Mitgefühl sind essentiell, scheinen aber auszusterben. Wir definieren uns über jedwede Stimme, die einen ungewöhnlichen Sound abgibt. Die Leute lechzen nach etwas Neuem. Veränderungen sind verführerisch. Wir sollten zuhören, doch das fällt schwer, weil so viele schreien und die meisten von ihnen verborgene Motive und Hintergedanken haben. Wir müssen uns wieder daran erinnern, empathisch und mitleidsvoll zu sein – und zwar in Bezug auf all unser Handeln und alle Aspekte unseres Lebens. Ich weiß, dass ich hier jetzt das Offensichtliche sage, aber manchmal loszulassen und die Dinge simpel zu halten, ist der weniger schädliche Weg, um seine Erfüllung zu finden. Damit meine ich nicht, aufzugeben, an Hoffnung und Veränderung zu glauben. Apathie ist nicht meine Antwort. Ich schlage eine Vereinfachung vor, den Fokus auf das zu richten, was wichtig ist, und weniger zu debattieren. Wir müssen uns wieder kümmern und natürlich müssen wir handeln. Zugleich müssen wir unser Leben genießen, Spaß miteinander haben, wertschätzen, was wir haben, und uns nicht durch Argumente definieren. Auch kleine Taten können auf unsere Zukunft eine Langzeitwirkung haben. Ich bin gewiss keine religiöse Person. Ich versuche jedoch, dieses eine Leben, das ich habe, so friedvoll für mich und alle anderen in meinem Umfeld zu gestalten, wie es nur geht.
Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Loslassen und bei all den negativen Nachrichten auf der Welt nicht in Depressionen zu verfallen und ihre Augen zu verschließen, alles um sich herum zu ignorieren und nur das eigene Ding zu machen, selbst mit der Gefahr, zu einem selbstgefälligen Menschen zu mutieren?
Meiner Meinung nach ist eine Debatte oft selbstgerecht, und Menschen sind oft egozentrisch. Vielen ist es scheinbar wichtiger, einen Kampf zu führen, als das, worum es bei diesem Kampf überhaupt geht. Meine allerwichtigste Frage ist immer: Hast du das schon mal gesehen oder gehört? Je älter ich werde, je öfter sehe ich, wie sich Fehler wiederholen und wiederholen. Ich höre die immer gleichen ignoranten Argumente. Vielfach haben die Leute das Ziel aus den Augen verloren, welches wäre, ein Leben zu führen, ohne andere zu provozieren oder anderen innerhalb oder außerhalb des eigenen Umfelds zu schaden.
Ihr neues Album trägt den Titel „Let Me Know When You Give Up". Das klingt so, als wollten Sie einspringen, sobald jemand daran denkt, aufzugeben.
Genau das. Wenn jemand daran interessiert ist, eher das Philosophische und weniger Konfrontative zu diskutieren, bin ich dabei. Viele der Themen, die wir diskutieren, sind nicht klar umrissen. Menschen scheinen von der Identitätspolitik und der Grundlage der Debatte zu leben, anstatt sich auf tatsächliche Lösungen zu einigen. Ich sehe ganz selten, dass Menschen dazulernen. Alles, was ich höre und lese, scheint auf einen Ort des Zorns und der Schützengräben beschränkt zu sein. Jeder scheint tief in seinem Glauben verwurzelt zu sein. Weshalb es so wenige erkennbare Entwicklungen gibt. Es fällt schwer, ohne Kompromisse oder Fortschritt weiterhin über diese Themen zu diskutieren.
Zurück zur Musik: Bei einigen Songs werden Sie von Streichern und zahlreichen Musikern begleitet. Aber Sie sind bei Konzerten alleine auf der Bühne. Würden Sie die Songs auch gern mitsamt einer Band vortragen?
Das wäre die Idealvorstellung, und ich hoffe, es wird eines Tages auch passieren. Unglücklicherweise kann ich es mir schlichtweg nicht leisten, all die Musiker mit auf Tour zu nehmen oder sie für Proben zu engagieren. Das ist eine Schande. Für die anstehenden Europatermine arbeite ich gerade an den vereinfachten Versionen der Songs. Dadurch klingen sie natürlich ganz anders. Glücklicherweise finde ich, dass sie auch so sehr gut funktionieren.
Wenn Sie Solokonzerte geben, spielen Sie dann von Zeit zu Zeit auch Lagwagon-Lieder?
Ja, manchmal spiele ich sogar recht viele. Viele funktionieren ganz gut in dieser minimalistischen Form. Es macht auch großen Spaß, sie aufs Wesentliche zu reduzieren. Ich mag es, wenn das andere Künstler machen und höre mir gern diese Versionen an. Es ist die Reinform der Songs.
Meine Fans freuen sich, wenn ich Lagwagon-Lieder spiele. Aber natürlich spiele ich immer weniger davon je mehr Soloalben ich mache. Ehrlich gesagt hängt das aber auch immer von meiner aktuellen Verfassung beziehungsweise Laune ab.
„Hang", das letzte Lagwagon-Album erschien 2014. Wird die Band noch ein weiteres Studioalbum aufnehmen und veröffentlichen?
Das ist ein Geheimnis, aber ich sage es mal so: Die Zukunft sieht rosig aus!