Exakt 50 Jahre nach Alice Coopers Debüt „Pretties For You" erschien nun das zweite Album der Hollywood Vampires. Bevor die Band mit ihrer überraschend harten Platte „Rise" auf Tour geht, zieht der Schock-Rocker solo im Rahmen von „Rock Meets Classic" durch die Lande. Im Interview spricht er über seine bizarren Anfänge, Johnny Depps Wut und die Notwendigkeit, auf der Bühne zu sterben.
Alice, „Rise" ist ein ziemlich harter Brocken mit deutlichen Einflüssen von Alternative Rock und Detroit Rock. Wirken die Hollywood Vampires auf Sie wie ein Jungbrunnen?
Die Entstehungsgeschichte dieser Platte ist sehr interessant. Als wir das Album schrieben, gab ich mir große Mühe, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Ich wollte vermeiden, dass sie wie eine Alice-Cooper-Platte klingt. Und ich glaube, Joe Perry hat sich sehr bemüht, Anklänge an Aerosmith tunlichst zu vermeiden, weil wir eben starke musikalische Persönlichkeiten sind. Ich habe in der Vergangenheit 27 Alben gemacht. Immer, wenn ich einen fremden Song höre, habe ich das Gefühl, ich müsste ihn neu arrangieren – und zwar so, wie ich es mir vorstelle. Bei den Hollywood Vampires besteht unsere Rolle darin, uns zurückzuhalten, damit die Songs sich ganz natürlich entfalten können. Dabei kommen nicht zwangsläufig radiokompatible Nummern heraus. Entstanden ist ein neuer Hardrock-Sound.
Manches auf der Platte erinnert an Detroit Rock-Bands wie Iggy Pop & The Stooges, Bob Seger und The MC5. Sind das Ihre Einflüsse?
Unsere Platte hat diese Elemente, weil Detroit Rock in meiner DNA ist. Ich bin ja aus Detroit. Ich finde, im Moment gibt es nicht genug Hardrock-Scheiben, die man im Radio spielen kann. Deswegen haben wir den Hollywood-Vampires-Sound ganz bewusst kreiert. Er hebt sich von dem ab, was wir alle sonst so machen.
Die Songs auf dem neuen Album „Rise" wurden von Ihnen, Johnny Depp und Joe Perry komponiert. Warum hat Depp fast alle Texte geschrieben?
Weil Johnny Depp einfach ein guter Schreiber ist. Er war bereits Musiker, bevor er Schauspieler wurde. Er schreibt und spielt die ganze Zeit und spuckt ständig neue Ideen aus. Als wir uns zu den Hollywood Vampires zusammenschlossen, schmissen wir auch unsere Ideen zusammen. Ich mag die freie Form unserer Texte, die sich nicht notwendigerweise an Reimschemata orientieren. Das ist für mich sehr erfrischend, weil ich eigentlich ganz anders schreibe.
Die Botschaft des Songs „Who’s Laughing Now" lautet: Ich habe das alles überlebt und bin immer noch stark. Verbindet Sie diese Grenzerfahrung mit Ihren Bandkollegen?
Als wir das erste Vampires-Album einspielten, haben wir über Leute gesungen, die am exzessiven Konsum von Drogen und Alkohol mit nur 27 Jahren gestorben sind. Jedoch waren alle Leute, die diese Platte gemacht haben, nüchtern. Weil Johnny, Joe und ich die Exzesse hinter uns haben, haben wir das Recht und die Autorität, über unsere toten Freunde Jim Morrison, Janis Joplin oder Jimi Hendrix zu schreiben. Wir, die Überlebenden, salutieren ihnen hiermit.
Und wie sind Sie das neue Album angegangen, auf dem sich neben wütenden eigenen Songs David Bowies Klassiker „Heroes" befindet?
Diesmal war die Zeit reif, unsere eigenen Songs zu schreiben. Diese Band wird in künstlerischer Hinsicht immer größer. Wenn wir eine Bühne betreten, grooven wir unweigerlich zusammen. Das klingt toll. Am Anfang haben wir nur zusammen gespielt, aber mit der Zeit sind wir zu einer echten Band geworden, weil wir angefangen haben, eigenes Material zu schreiben.
Johnny Depp lässt in seinen Texten den Frust über seine Ex Amber Heard und den Gerüchten über seinen Gesundheitszustand raus. Wie fühlt es sich an, Depps wütende Tiraden zu singen?
Ich bin niemand, der auf Fake News hereinfällt. Als wir mit den Hollywod Vampires voriges Jahr erstmals in Moskau spielten, las ich in einer Zeitung, Johnny Depp würde nur noch 55 Kilo wiegen, sei depressiv und würde zu viel trinken. Aber er saß mir gegenüber und sah in seinem ganzen Leben nie besser aus! Er war in bester Verfassung und kein bisschen depressiv. Alles, was ich über ihn gelesen habe, waren Lügen! Deshalb kann ich verstehen, dass er so wütend ist. Irgendjemand in der Medienwelt scheint beschlossen zu haben, eine Schmierenkampagne gegen ihn zu fahren. Dabei hat Johnny Depp gerade die beste Zeit seines Lebens! Er spielt Gitarre in einer Band, die aus Leuten besteht, die er sehr gut leiden kann. Johnny liebt es, mit uns zu spielen und auf Tour zu gehen, weil er auf diese Weise diese ganzen schmierigen Sachen kompensieren kann. In diesen Momenten fühlt er sich frei. In seiner Position braucht man eine dicke Haut.
Welche Gerüchte hat die Boulevardpresse über Sie verbreitet?
So viele, dass die Zeit nicht reicht, sie alle aufzuzählen. Irgendwann hatte das Ganze einen Punkt erreicht, an dem es schon wieder ulkig wurde. Mein Gott, waren diese Geschichten absurd! Was die Boulevardmedien damals über uns schrieben, bewegte sich im Bereich der Fiktion. Gleichzeitig wollte ich aber, dass Alice Cooper ein Bösewicht ist. Unsere Show konnte man auf die unterschiedlichste Weise interpretieren. Es dauerte eine ganze Weile, bis man den Humor dahinter erkannte und begriff, dass Alice Cooper nur eine Rolle war. Für mich war er eine fantastische Figur wie Captain Hook oder Dracula.
Und wie verhält es sich mit Depp?
Viele Leute halten Johnny Depp für einen Schauspieler, der versucht, einen Rockstar zu spielen. Es ist aber keine Rolle. Johnny fühlt sich auf einer Konzertbühne viel wohler als vor einer Kamera (lacht).
Wann kommen die Hollywood Vampires wieder nach Europa?
Wir werden 2020 definitiv auf Tour gehen. Aber vorher spiele ich noch eine Solotour. Ich bin sechs Monate im Jahr mit meiner eigenen Band unterwegs, Aerosmith haben viele Live-Verpflichtungen und Johnny dreht regelmäßig Filme. Deshalb müssen wir bei den Hollywood Vampires alles ein Jahr im Voraus planen.
„Rise" ist exakt 50 Jahre nach Ihrem ersten Album „Pretties For You" erschienen. Wie fühlt es sich an, noch immer im Rampenlicht zu stehen?
Das Tolle an meiner ersten Platte war, dass sie so bizarr klang, dass selbst der Oberfreak Frank Zappa sie nicht verstand. Sie ist auf seinem Label Straight Records erschienen. Unsere Musik war einfach zu experimentell und psychedelisch, sodass sie für ihn einfach keinen Sinn ergab. In den Kritiken hieß es: „Die Band wird nicht länger als zwei Wochen existieren!" 50 Jahre später sind wir aber immer noch da und machen Platten. Da haben die Kritiker sich wohl geirrt! Sie haben „Pretties For You" gehasst und nannten es mein schlechtestes Album, aber heute sehen sie es mit anderen Augen und bezeichnen es als Kunstwerk. 1969 war meine Musik ihrer Zeit voraus.
Sind Sie damals oft zusammen mit Iggy Pop & The Stooges aufgetreten?
Oja, fast jedes Wochenende. Damals lebte ich noch in Detroit und spielte regelmäßig im East Town und im Grand Theatre. An einem Abend sind zum Beispiel die Alice Cooper Band, Iggy & The Stooges, The MC5 und The Who aufgetreten, eine Woche später waren es Alice Cooper, Ted Nugend, Bo Seeger und Savoy Brown. Wir waren damals eine junge Band, die bekannt werden wollte. Wir haben unzählige Shows mit den Stooges gespielt.
Haben Sie und Iggy Pop sich gegenseitig beeinflusst?
Nein, wir waren sehr unterschiedliche Performer. Als ich Iggy das erste Mal live sah, war das meine erste Erfahrung mit Punk. Die Shows von Alice Cooper hingegen waren ziemlich komplex und erinnerten an das „Phantom der Oper". Meine Bühnenfigur war damals schon sehr weit entwickelt und ziemlich verquer. Wir machten Kunst für ein eher intellektuelles Publikum, Iggy hingegen war ein purer Detroit-Punk. Ein Typ von der Straße ohne Shirt und Schuhe. Seine Band war genau das Gegenteil von intellektuell, sie spielte extrem harte und raue Punkmusik. Aber Iggy und ich haben uns gegenseitig respektiert. Nach Alice Cooper und den Stooges wollte niemand mehr spielen. Eine Softrockband hatte in Detroit keine Chance.
Wie man hört, haben Sie sich kürzlich wieder mit den Musikern von Ihrer ersten Band getroffen – Mike Bruce, Dennis Dunaway und Neal Smith. Werden die drei auf Ihrer nächsten Soloplatte zu hören sein?
Mit Neil, Dennis und Mike arbeite ich regelmäßig zusammen. Wir sind ein sehr gutes Songschreiber-Team. Zwischen uns gab es in den vergangenen 50 Jahren immer eine schöne Harmonie. Wir hassen uns nicht und verklagen uns auch nicht gegenseitig, weil wir immer noch beste Freunde sind. 2012 sind wir am Record Store Day in einem Plattenladen in Texas in Originalbesetzung vor 200 Leuten aufgetreten. Der Film „Live From Astroturf, Alice Cooper" erhielt einen Preis als beste Dokumentation. Es fühlt sich an, als sei überhaupt keine Zeit vergangen. Wenn ich mit diesen Jungs auf der Bühne stehe, weiß ich exakt, was sie spielen werden.
Jeder erwartet von Alice Cooper, dass er am Ende einer Show unter der Guillotine, am Galgen oder auf dem elektrischen Stuhl stirbt. Was reizt Sie am Bühnentod?
Das ist eine Notwendigkeit. Wenn man ein Schurke ist, muss man auf der Bühne einfach sterben! (lacht) In jedem guten Drama, Film oder Roman muss der Böse am Ende dran glauben. Deshalb wird Alice am Schluss einer Cooper-Show immer hingerichtet. Aber: Er kommt immer wieder! Er weiß, dass er unsterblich ist.
Nächstes Jahr werden Sie im Rahmen von „Rock Meets Classic" auf Tour gehen. Was reizt Sie als Rocker an einem Sinfonieorchester?
Die „Rock Meets Classic"-Tour macht mir so großen Spaß, dass ich immer wieder gerne mit dabei bin. Ich mag es, verschiedene Dinge auszuprobieren. Ein 90-köpfiges Sinfonieorchester ist sehr weit weg von einer Rockband wie die Hollywood Vampires. Diese Abwechslung liebe ich. Dafür suche ich mir immer jene Songs aus meinem Repertoire heraus, die ich gerne zu Streichern singen möchte. „Poison" zum Beispiel funktioniert sehr gut mit einem gigantischen Klangkörper im Rücken.