Die bittere Final-Niederlage bei der EM wirkt bei den U21-Nationalspielern noch nach. Die Verantwortlichen kümmern sich aber eher um die Qualität der nächsten Generationen.
Es klingt fast wie ein Trostpreis, für den man sich nichts kaufen kann. Gleich sechs deutsche U21-Spieler wurden von den Technischen Beobachtern der Europäischen Fußball-Union (Uefa) in die Mannschaft des Turniers gewählt, sogar einer mehr als von Europameister Spanien.
Den Iberern dürfte das ziemlich egal sein. Sie haben mit dem 2:1-Finalsieg in Udine gegen die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) den Titel gewonnen und erfolgreich Revanche für die Endspiel-Niederlage vor zwei Jahren genommen. Und die deutschen Spieler trauerten der verpassten Chance auf den zweiten Titel in Folge beim wichtigsten Junioren-Wettbewerb im europäischen Fußball nach. „Wir sind natürlich brutal enttäuscht. Das ist das Härteste, was ein Sportler erleben kann", sagte Abwehrspieler Timo Baumgartl in seiner ersten Reaktion. Der Profi des Bundesliga-Absteigers VfB Stuttgart ergänzte aber: „In den nächsten Tagen wird der Frust hoffentlich dem Stolz weichen." Doch wer in die traurigen Gesichter der Spieler schaute, bekam diesbezüglich Zweifel. „Es tut weh, viel mehr kann man dazu nicht sagen", so Nadiem Amiri (TSG 1899 Hoffenheim), der genau wie viele andere unmittelbar nach dem Schlusspfiff bittere Tränen vergoss.
Auch U21-Auswahltrainer Stefan Kuntz war enttäuscht, doch nach außen zeigte er das kaum. Viel wichtiger war ihm, seine jungen Spieler im Moment der Niederlage mit tröstenden und lobenden Worten aufzufangen. „Wir können hier mit ganz dicker Brust aus dem Turnier gehen", sagte der 56-Jährige: „Wenn ich sehe, was wir für eine Entwicklung gemacht haben, wie der ein oder andere sich in den vier Wochen präsentiert hat, dann muss ich sagen: Hut ab, da kann man als Trainer nur stolz sein." In der Tat machte das Auftreten der Mannschaft auf und neben dem Platz Freude. Spielerisch und taktisch präsentierte sich der deutsche Nachwuchs in Italien und San Marino überraschend ausgereift – und das honorierten auch die Fans. Das Endspiel verfolgten 9,2 Millionen TV-Zuschauer, der Marktanteil betrug stolze 32,2 Prozent. „Wir haben das ganze Land mitgezogen", meinte Amiri stolz.
„Ein bisschen Leichtigkeit und Fröhlichkeit"
Auch Bundestrainer Joachim Löw schaute genau hin, schließlich liefen mit Jonathan Tah (Bayer Leverkusen) und Lukas Klostermann (RB Leipzig) nicht nur zwei aktuelle A-Nationalspieler bei der U21-EM auf. Auf dem Platz spielten sich auch andere in den Vordergrund und könnten bald eine Einladung des Bundestrainers erhalten. „Das Team hat viel von dem gezeigt, was wir auch sehen wollen. Große Spielfreude, viel Disziplin, Ordnung. Und sie haben auch Widerstände überbrückt", sagte Löw, der als Tribünengast beim Finale gegen Spanien leider kein Glück gebracht hatte. „Unsere Mannschaft hat gegen die starken Spanier eine gute Einstellung gezeigt und bis zum Schluss gekämpft. Auch wenn es am Ende nicht für den Titel reichte, hat die Mannschaft ein tolles Turnier gespielt und eine sehr gute Visitenkarte abgegeben", ergänzte Löw.
Bei aller Euphorie verschließen die DFB-Verantwortlichen aber nicht die Augen vor der Realität. Löw und Kuntz warnen, dass die Qualität im Nachwuchsbereich in Deutschland nicht mehr so groß sei. Das jetzige EM-Finale könnte auf absehbare Zeit das letzte gewesen sein. „Bei den Jahrgängen dahinter sind wir in der Breite nicht so gut aufgestellt", sagte Löw: „Da müssen wir uns schon Gedanken machen, wie die Zukunft aussieht."
Bei der Europameisterschaft der U17-Teams im Mai flog Deutschland bereits in der Vorrunde raus, die U19 konnte sich für die kontinentalen Titelkämpfe erst gar nicht qualifizieren. Von den aktuellen Vize-Europameistern bleiben lediglich Arne Maier, Markus Schubert, Johannes Eggestein und Lukas Nmecha der U21 erhalten. Womöglich wird bei der nächsten EM auch nicht mehr Kuntz an der Seitenlinie stehen, denn der Europameister von 1996 hat sich in Italien und San Marino für höhere Aufgaben beworben. Löw sieht den früheren Profi des 1. FC Kaiserslautern sogar als möglichen Nachfolger für ihn auf dem Bundestrainer-Stuhl. Kuntz habe „sehr viel Empathie" bewiesen und „trotz aller Konzentration und Disziplin immer auch ein bisschen Leichtigkeit, ein bisschen Fröhlichkeit" gezeigt, lobte Löw.
Davon profitierte vor allem Luca Waldschmidt. Der Stürmer des SC Freiburg begeisterte mit viel Spielwitz und einer herausragenden Abschlussstärke. Mit sieben Treffern in fünf Spielen avancierte der 23-Jährige zum erst zweiten deutschen Torschützenkönig bei einer U21-EM. Dieses Kunststück war zuletzt 1982 Pierre Littbarski gelungen. „Diesen Rekord hat er sich redlich verdient. Es freut mich für den Jungen", sagte Littbarski. Waldschmidt egalisierte zudem den EM-Rekord des Schweden Marcus Berg, der 2009 ebenfalls siebenmal getroffen hatte. Gegen Spanien hatte der Freiburger in der 83. Minute die große Chance für seinen achten Treffer und damit den alleinigen Rekord, doch aus drei Metern verpasste er knapp das Tor. „Der Rekord wäre mir egal gewesen", sagte er hinterher: „Das Tor wäre an sich wichtig gewesen, egal ob es das erste oder achte gewesen wäre. Da fasse ich mir an die eigene Nase und weiß, dass ich den reinmachen muss."
Bis dahin zeigte sich der schnelle und technisch versierte Angreifer aber in Höchstform. In den Notizblöcken der zahlreichen Scouts, die sich auch bei dieser EM auf den Tribünen tummelten, dürfte der Name Luca Waldschmidt mit Sicherheit dick unterstrichen worden sein. Seinen Marktwert vom Zeitpunkt vor der EM in Höhe von zwölf Millionen Euro, laut transfermarkt.de, dürfte Waldschmidt mit den begeisternden Auftritten deutlich nach oben geschraubt haben.
Die Verantwortlichen seines aktuellen Arbeitgebers zeigen sich zumindest nach außen noch sehr entspannt. „Wir können natürlich nicht verhindern, dass andere Vereine auf ihn aufmerksam werden und sich aufgrund der guten Auftritte mit ihm beschäftigen", sagte Freiburgs Sportvorstand Jochen Saier, der von einem Verbleib des Top-Talents ausgeht: „Inhaltlich ist es für beide Seiten richtig, den gemeinsamen Weg fortzusetzen, um die gute Entwicklung weiter voranzutreiben und zu stabilisieren."
Vertraglich steht Waldschmidt dem SC noch bis 2022 zur Verfügung, doch sollte der EM-Shootingstar künftig auch in der Bundesliga solche Topleistungen abrufen, ist er für den Breisgau-Klub nicht zu halten. Angeblich haben unter anderem Lazio Rom und Champions-League-Teilnehmer RB Leipzig schon jetzt ein Auge auf den Angreifer geworfen. Saier hat nichts gegen diese Avancen – solange die Leistung stimmt: „Wir hoffen, dass er diese Leichtigkeit und Torgefahr auch bei uns in der kommenden Saison auf den Platz bringt."
Nübel wurde zur tragischen Figur
Neben Waldschmidt ragte bei der deutschen Mannschaft auch Torhüter Alexander Nübel heraus. Doch die grandiosen Paraden während des Turniers rückten durch seinen Patzer im Finale gegen Spanien, als er einen eigentlich harmlosen Schuss von Fabian Ruiz nach vorne abprallen ließ und damit das 0:2 von Dani Olmo erst ermöglichte, in den Hintergrund.
Nübel, der sonst so abgeklärt wirkt, brach in heftige Tränen aus. Erinnerungen an Oliver Kahn und die WM 2002 wurden wach, als sich der Titan auf den Tag genau vor 17 Jahren im Finale gegen Brasilien in Yokohama (0:2) einen ähnlichen Patzer geleistet hatte.
Dass Nübels Freunde und Bekannte seines Heimatvereins TSV Tudorf extra 1.000 Kilometer mit dem Auto nach Udine gefahren waren, um den Schalker Schlussmann live zu sehen, machte die Sache nur noch dramatischer. „Als Torhüter ist man versucht, sich alleine die Schuld zu geben", sagte Trainer Kuntz. „Er hätte den Ball sicherlich festhalten können. Aber letzten Endes sind wir auch wegen Alex ins Finale gekommen." Auch aus dem Spielerkreis gab es keine Vorwürfe an den Torwart. Alle waren sich darin einig, dass man ohne den reflex- und nervenstarken Nübel gar nicht erst so weit gekommen wäre. „Alex hat ein Weltklasse-Turnier gespielt", meinte nicht nur Amiri.
Auch die Verantwortlichen von Bayern München werden sich von dem Patzer nicht blenden lassen und einen Transfer weiter ins Auge fassen.
Der TV-Sender Sport1 berichtete unmittelbar nach der EM, dass sich der Rekordmeister mit Nübel und seinem Berater im „intensiven Kontakt" befinden würde, noch sei aber nichts fest vereinbart oder gar schriftlich fixiert.
Dies würde Schalke 04 die Chance erhalten, den im kommenden Sommer auslaufenden Vertrag mit Nübel vielleicht doch noch zu verlängern. „Wir werden es versuchen", heißt es dort. •