Max Verstappen hat als Triumphator mit einer irren Show in der Schlussphase des Österreich-Grand-Prix die Siegesserie von Mercedes abrupt gestoppt. Lewis Hamilton kann am Sonntag beim Heimrennen in Silverstone den Silberpfeil wieder auf die Spur bringen.
Der Alpen-Grand-Prix in Spielberg war für Sieger Max Verstappen alles andere als ein Spiel am Berg. Für den Jung-Bullen aus dem Rennstall Red Bull war es die härteste Schufterei in seinen bisherigen 90 Formel-1-Rennen. Der Start von Platz zwei war schon ein Desaster. Kupplungsprobleme und in den Keller fallende Drehzahlen warfen Verstappen bis auf Rang sieben zurück. Doch dann begann der 21-Jährige seine furiose Aufholjagd. Der Holländer schnappte sich einen Gegner nach dem anderen, unter anderem die alten Haudegen um Weltmeister Lewis Hamilton im Mercedes, Sebastian Vettel im Ferrari und Kimi Räikkönen im Alfa Romeo. Ein Husarenritt. Gegen Rennende hatte er nur noch Ferraris Jungstar Charles Leclerc vor seiner (Auto-)Nase. Der Kronprinz der Roten hatte von der Pole Position das Rennen komfortabel und fehlerfrei angeführt. Alles sah nach dem ersten Sieg des Monegassen und dem ersten Erfolg Ferraris nach 16 sieglosen Rennen aus. Der letzte Ferrari-Sieg war am 26. August 2018 in Spa von Vettel. Doch in der 68. von 71 Runden auf dem Red-Bull-Ring war der Widerstand von Leclerc gebrochen. Mit einem beinharten, sehenswerten, spektakulären, grandiosen, famos-furiosen Manöver mit Rad-an-Rad-Duell, bei dem es zur Berührung kam, stach „Mad Max" an Leclerc vorbei. Es war ein „Duell auf der Rasierklinge", wie die „Kronen-Zeitung" schrieb. Der ebenfalls 21-jährige Jungspund Leclerc verlor in letzter Sekunde seinen sicher geglaubten ersten Sieg. „Was zum Teufel soll das?", machte Leclerc über Boxenfunk seinem Ärger Luft. Mit seiner entfesselten und irren Überhol-Show, seinem zweiten Erfolg nach 2018 beim Red-Bull-Heimrennen und dem sechsten Triumph in seiner F1-Karriere, verwandelte Verstappen die Bullen-Arena in ein Tollhaus.
„Es geht ja nicht um die goldene Ananas"
Seine 30.000 angereisten und später bierseligen Landsleute in Orange und die österreichischen Bullen-Fans wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass der Sieg ihres Helden am seidenen Faden hing. Die Rennleitung und ihre vier Kommissare hatten eine Untersuchung des entscheidenden Zweikampfs eingeleitet. Drei Stunden und 20 Minuten hatte das „Hohe Gericht" darüber gebrütet, ob der Niederländer den Monegassen regelwidrig von der Strecke gerammt hatte. Ergebnis: Die Regelhüter konnten keinem der beiden Fahrer die Schuld geben. Keiner der beiden Rivalen war „ganz oder mehrheitlich verantwortlich für den Zwischenfall. Deshalb werten wir es als einen Renn-Zwischenfall", hieß es in der Begründung. Für Verstappen war der Fall ohnehin klar, er war sich keiner Schuld bewusst. „Das war Racing, hartes Racing, das ist doch besser als langweilig hinterherzufahren. Wenn solche Dinge nicht erlaubt sind, macht es keinen Sinn, Formel 1 zu fahren, dann können wir gleich zu Hause bleiben", verteidigt der „fliegende Holländer" seine Kampflinie. Der zutiefst enttäuschte Leclerc haderte mit seinem Schicksal. „Ich konnte gar nichts machen. Bei seinem zweiten Angriff hat Max mir keinen Platz mehr gelassen. Es ist ein mieses Gefühl, dass die Entscheidung am grünen Tisch fällt", konterte der Beinahe-Sieger. Sein zehn Jahre älterer Teamkollege fühlte mit ihm. „Es tut mir schon ein bisschen weh für Charles. Ich bin mir aber sicher, wenn er so weitermacht, kommt sein erster Sieg bald", glaubt Vettel, der Vierter wurde. Der vierfache Weltmeister, dem in Kanada wegen einer umstrittenen Fünf-Sekunden-Zeitstrafe der Sieg „geklaut" und stattdessen dem „falschen Sieger" Hamilton zugeschrieben wurde, zeigte diesmal Verständnis für die Entscheidung der Kommissare. „Es geht ja nicht um die goldene Ananas, sondern um ein bisschen mehr. Da sollten Ellenbogen schon erlaubt sein", äußerte sich der Altmeister.
Für ihn kam es wieder einmal knüppeldick. Im Qualifying bremsten Technik-Probleme Vettel aus, er startete nur von Platz neun. Im Rennen hatte seine Boxentruppe wegen einer Funkpanne die Reifen für den Wechsel nicht parat. „Es gab ein paar Sachen, die nicht passieren dürfen", so Vettel in Richtung Team. „Das Rennen war grundsätzlich okay, mit etwas Glück wäre Platz drei drin gewesen." Vettel und Leclerc hatten mit ihrem Ferrari zum dritten Mal in dieser Saison das schnellste Auto im Feld.
„Wir kommen noch stärker zurück"
Und Serien-Sieger Mercedes, der 2018 einen Doppelausfall erlebte? WM-Spitzenreiter Hamilton stand auch diesmal nicht auf dem Podium, er musste sich mit Platz fünf zufriedengeben. Entscheidend war ein Fahrfehler, als er zu wild über die Kerbs rumpelte. Die Folge: Ein beschädigter Frontflügel, der beim Reifenwechsel getauscht werden musste. Elf Sekunden Standzeit insgesamt, die er nicht mehr aufholen konnte. Außerdem hatten die Silberpfeile gegen Überhitzung zu kämpfen, Bei der Hitzeschlacht mit 35 Grad Luft- und 60 Grad Asphalttemperatur geriet das Kühlsystem außer Kontrolle. „An den schlechten Tagen lernen wir am meisten und kommen dadurch nur noch stärker zurück. Genau das haben wir uns für das Rennen in Silverstone vorgenommen", so Sportchef Toto Wolff attackenfreudig in der Mercedes-Pressemitteilung.
Für Superstar Lewis Hamilton wird sein Heimrennen am kommenden Sonntag (14.10 Uhr RTL/Sky) der Saisonhöhepunkt. Nach zwei Rennen im Doppelschlag mit dem Schleich-Langweiler in Le Castellet (dazu später mehr) und mit dem Spielberg-Thriller ist die Formel 1 jetzt reif für die Insel. In seinem „F1-Wohnzimmer" hat Hamilton noch was gutzumachen. Wenn es im vergangenen Jahr, als er zum fünften Mal Weltmeister wurde, einen Tiefpunkt gab, dann war es sein Heimrennen. Ausgerechnet an der Geburtsstätte der Formel 1 (13. Mai 1950) wurde der Lokalmatador vor 130.000 Zuschauer gedemütigt. Und ausgerechnet von seinem Titel-Erzrivalen Sebastian Vettel. Der Ferrari-Pilot distanzierte Hamilton um 2,264 Sekunden und verwies ihn auf Platz zwei. Mit seinem zweiten Silverstone-Sieg nach 2009 (im Red Bull) durchbrach Vettel die Serie von Lewis Hamilton, der von 2014 bis 2017 vier Mal in Folge mit Mercedes auf der Insel gewonnen hatte. 2013 hieß der Silverstone-Sieger ebenfalls Mercedes, damals mit Nico Rosberg als Triumphator.
„Es wird niemals langweilig"
Am Sonntag aber will Hamilton die Schmach von 2018 vergessen machen. „Ich werde alles geben und versuchen, in diesem Jahr den Spieß umzudrehen", blickt Hamilton optimistisch auf den England-Grand-Prix. „Wenn ich vor diesem fantastischen Publikum fahre, weiß ich, warum ich diesen Sport so sehr liebe", schwärmte der sechsmalige Saisonsieger einmal, „hier finde ich immer noch mal das eine oder andere Zehntel." F1-Experte und Ex-Pilot Marc Surer: „Lewis ist bei seinem Heimrennen normalerweise eine Klasse für sich. Er fährt in den schnellen Kurven eine andere Line wie seine Gegner, eine Linie wie von Zauberhand."
Eine Klasse für sich war der Brite auch beim Frankreich-GP. Mercedes hat Ferrari in Le Castellet nach deren Zwischenhoch in Kanada seine Grenzen aufgezeigt. Und zwar mit einer Machtdemonstration im Schongang. Seriensieger Lewis Hamilton raste von seiner 86. Pole Position mühelos und entspannt nach 2018 zu seinem zweiten Triumph an der Cote d’Azur. Für den Briten war dieser furiose Start/Ziel-Sieg gleichzeitig der sechste Erfolg im achten Saisonlauf und der 79. Karriere-Sieg im 237. Grand Prix. Teamkollege Valtteri Bottas machte mit Platz zwei ein goldenes Jubiläum der Silbernen perfekt: Es war der 50. Doppelerfolg für den Branchenprimus. Für die übermächtigen Mercedes-Boliden war Ferrari in Südfrankreich nicht mehr als ein Sparringspartner. Jungstar Charles Leclerc rettete mit Platz drei noch halbwegs die Ehre der Scuderia. Für den Frontmann der Roten, Sebastian Vettel, reichte es nach einer verkorksten Zeitenjagd beim Qualifying von Startposition sieben nur für Rang fünf hinter dem Jung-Bullen Max Verstappen. Trotz vieler neuer technischer Teile zerschlugen sich die Hoffnungen der Scuderia auf eine erneute Attacke gegen die Silberpfeile. „Wir wollten hier eigentlich näher dran sein an Mercedes und den Abstand verringern. Aber das haben wir nicht geschafft", analysierte Vettel tief enttäuscht. „Wir müssen verstehen, warum einige der Teile nicht funktioniert haben. Das Ergebnis ist in Ordnung, mehr war nicht drin." Überflieger Hamilton sprach nach seiner imposanten Frankreich-Show von einem „wunderschönen Tag" und einem „phänomenalen Wochenende". „Es ist immer eine Herausforderung, und ich liebe es, das Limit zu finden und diese Maschine zu bändigen. Ich fahre schon seit langer Zeit Rennen, aber es wird niemals langweilig." Für die 50.000 Besucher und die TV-Zuschauer aber war es ein ereignisarmer Sonntagnachmittag. Oder wie der „Corriere dello Sport" ironisch feststellte: „Die Formel 1 ist spannend wie eine Schafsherde auf einer Weide." Vor dem England-GP führt Hamilton mit 197 Punkten im WM-Klassement weiter souverän vor Bottas (166) und Verstappen (126), der sich den Bonuspunkt für die schnellste Runde sicherte. Vettel (123) fiel weiter zurück. Für den Ferrari-Frontmann wird der Kampf um den WM-Titel immer aussichtsloser.