Tatort Wolfsschanze, Görlitz, Polen: Hier jährt sich am 20. Juli zum 75. Mal das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler. Besucher können heute in einem ehemaligen Bunker eine kleine dreisprachige Ausstellung zur Geschichte des Nationalsozialismus sehen und erleben.
Inmitten der dunklen Wälder Masurens liegen die Trümmer der gesprengten, bis zu sechs Meter dicken Bunkerwände und formen eine grausig-groteske Felslandschaft. Der polnische Staat will nun das einstige Führerhauptquartier, das von Tausenden Zwangsarbeitern errichtet wurde, in eine seriöse Gedenkstätte verwandeln. Es soll auch künftigen Generationen als Mahn- und Gedenkstätte erhalten bleiben.
Zweifellos ist es einer der wichtigsten Orte in der Geschichte des Dritten Reichs. Außer ein paar Infotafeln auf dem weitläufigen Gelände gab es bislang kaum Informationen, die auf das historische Ereignis hindeuteten. „Nun können Besucher in einem ehemaligen Bunker eine kleine dreisprachige Ausstellung zur Geschichte des Nationalsozialismus sehen und erleben", erklärt Magdalena Korzeniowska Beckmann vom polnischen Fremdenverkehrsamt in Berlin. „Noch dauern die Aufräum- und Säuberungsarbeiten an. Wildwuchs wird entfernt, um die Wege wieder passierbar zu machen und die Sicht auf die Ruinen freizugeben." Neue Beleuchtungsanlagen sind geplant, um die Wolfsschanze auch nach Einbruch der Dämmerung besichtigen zu können.
Weiter erhalten die Besucher auch Informationen über die Tier- und Pflanzenarten, die in den gesprengten Bunkeranlagen einen geeigneten Lebensraum finden. So nutzen etwa zahlreiche Fledermausarten die höhlenartigen Bunkerreste als Winterquartier. Die Ausstellung zur Geschichte des Nationalsozialismus entstand in Zusammenarbeit mit dem neu eröffneten Museum in Danzig über den Zweiten Weltkrieg. Sie soll der Grundstein für eine umfassende museale Schau zur Geschichte des Ortes und des dort am 20. Juli 1944 gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler sein. Zum Einsatz kommen neben Originaldokumenten auch audiovisuelle Materialien. Im Sommer 2020 soll zudem ein neuer Info-Weg über die einzelnen Objekte der früheren militärischen Anlage informieren, die ab 1940 gut getarnt in den masurischen Wäldern errichtet wurden.
Aufräumarbeiten dauern an
Die Ausstellung ist gleichzeitig ein Teil des neuen Natur- und Kulturwegs „Große Waldroute". Das landesweite Netzwerk an Lehrpfaden soll einzigartige Natur- und Kulturgüter Polens in einen größeren Kontext stellen und erlebbar machen.
Darüber hinaus ist geplant, neue Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten in den polnischen Wäldern zu schaffen. Der erste Teil, die „Wolfsroute", führt zu acht Orten im ganzen Land, die eng mit dem bedrohten Raubtier verbunden sind. „Neben der Wolfsschanze ist auch die Pflegestation für kranke und verletzte Wölfe im masurischen Hohenstein Teil der Route", ergänzt Korzeniowska Beckmann.
Den Decknamen „Wolfsschanze" gab Adolf Hitler der Anlage selbst, angelehnt an das von ihm verwendete Pseudonym „Wolf", das auf die Bedeutung seines Vornamens Adolf zurückzuführen ist und das er hauptsächlich in seiner privaten Korrespondenz der 20er-Jahre verwendete. Ein weiterer Tarnname des Führerhauptquartiers Ost war „Görlitz".
Die Wolfsschanze wurde ab 1940 oberirdisch errichtet. Zum Schutz gegen Luftaufklärung lag sie in einem dichten Wald unter nicht brennbaren Tarnnetzen und war mit einem tarnenden Mörtel versehen. Zahlreiche Flakstellungen sicherten sie gegen Luftangriffe. Seit 1941, mit Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion (Unternehmen Barbarossa), war die Wolfsschanze der Hauptaufenthaltsort Hitlers. Heute erinnert fast nichts mehr an die Architektur der rund 40 Wohn-, Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude sowie an die sieben massiven und 40 leichten Stahlbetonbunker von einst.
Die Anlage hatte einen Bahnanschluss und besaß einen eigenen Flugplatz. Das gesamte Gelände war von einem 50 bis 150 Meter breiten Minengürtel und einem zehn Kilometer langen Stacheldrahtzaun umgeben. Ständige Funk- und Telefonverbindung nach Berlin und zu allen Frontabschnitten garantierten neueste Informationen über die Ostfront. Und mittendrin – im Bunker 13 – war Hitler und plante den Krieg gegen Russland. Und hier überlebte er am 20. Juli 1944 einen Bombenanschlag. Einer der Attentäter war Heinrich Graf von Lehndorff, der im September des gleichen Jahres hingerichtet wurde. Er hinterließ eine Frau und vier Töchter. Eine davon ist Vera von Lehndorff (siehe auch Infokasten). Die meisten kennen sie unter dem Namen Veruschka, die einst schönste Frau der Welt, wie sie auf den Titelbildern unzähliger Modemagazine genannt wurde.
Sein Leichnam wurde nie gefunden
Nach Jahren im Ausland ist Vera zurückgekehrt, sitzt in der Lobby im „Adlon", dem berühmten Berliner Hotel, und sagt: „Hier, in einem der Zimmer im ersten Stock, hat meine Mutter den letzten Brief meines Vaters ausgehändigt bekommen. Das war kurz nach seiner Hinrichtung." Das Mädchen war zu der Zeit schon in einem der Kinderheime untergebracht und sollte zur Adoption freigegeben werden. Kinder von Nazi-Gegnern wurden den Eltern weggenommen und in linientreue Familien integriert oder in Eliteinternate, die sogenannten Napolas, gesteckt.
Ihr Vater Heinrich Graf von Lehndorff hatte nur eine Schuld auf sich geladen: Gemeinsam mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg und weiteren Verbündeten hatte er das Attentat auf Hitler geplant und ausgeführt. Dabei zugute kam ihnen die unzureichende Sicherung der Wolfsschanze. Denn der Wachoffizier des inneren Sperrkreises hatte keine Durchsuchungsbefugnis der Besucher. Außerdem waren die Tore lediglich aus Holz, die Zäune aus Maschendraht. Sofern Generäle passierten, wurde deren Begleitung ebenfalls nicht weitergehend kontrolliert.
Als das Attentat scheiterte wussten die Männer, dass das ihren Tod bedeutet. Kurz vorher hatte Lehndorff seine Kinder nach Rastenburg gebracht und sie dort in den Militärzug nach Berlin gesetzt.
Vera war die älteste der drei Schwestern und erkannte die Verantwortung, die man ihr wortlos übertrug. Sie erinnert sich an das ernste Gesicht ihres Vaters außen, ganz nah an der Scheibe des Zugfensters. Heute ist dieses Gesicht die letzte Erinnerung an einen Mann, der Deutschland befreien wollte und sich dafür selbst opferte. Vielleicht ahnte er damals schon, dass er seinen verzweifelten Mut mit dem Leben bezahlen würde.
Nur ein Findling erinnert an Besitzer
Einen Tag nach dem gescheiterten Anschlag fuhr die Gestapo nach Schloss Steinort im heutigen polnischen Masuren, um den Familienvater zu verhaften. Mit einem Sprung durchs Fenster versuchte er, in die dichten Wälder rings um das Gut zu entkommen. Als man ihn schließlich fasste und nach Berlin brachte, gelang ihm erneut die Flucht. Erst nach Tagen in der Wildnis wurde er verhaftet. Der erste Senat des Volksgerichtshofs verurteilte ihn wie auch die anderen Verschwörer zum Tod. Schwer misshandelt wurde er am 4. September 1944 in Berlin-Plötzensee gehängt. „Ich sterbe mutig und ohne Todesangst, sehe darin eine Fügung Gottes, habe vollkommen Trost in meinem Glauben gefunden", waren seine letzten Worte.
Sein Leichnam wurde nie gefunden. Seine Frau Gottliebe kam ins Gefängnis und brachte dort ihre vierte Tochter zur Welt. Vera und ihre Schwestern blieben in den Kinderheimen der Nationalsozialisten – wie alle übrigen Kinder der Beteiligten des Attentas vom 20. Juli. Die Familie wurde auseinandergerissen und fand erst nach Jahren wieder zueinander. Nach außen hin war Graf von Lehndorff ein Hitler- und linientreuer Offizier, in dessen Haus Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop ein- und ausging. Niemand ahnte, dass er bereits seit 1940 dem Widerstand angehörte. Die perfekte Fassade fiel erst mit seinem Scheitern. Vier Monate später, am 20. November 1944, als die Rote Armee immer näher rückte, verließ Hitler sein Hauptquartier, die Wolfsschanze, endgültig.
Heute erinnert ein unscheinbarer Findling vor dem verfallenen Gebäude in Steinort an den letzten Eigentümer. „Es vollzieht sich eine völlige Wandlung, wobei das bisherige Leben allmählich ganz versinkt und gänzlich neue Maßstäbe gelten", lautet die Inschrift. Es waren die letzten Zeilen aus dem Abschiedsbrief an seine Frau.