Die Friedrichstraße liegt doch am Strand. Der ist zwar in Wirklichkeit in Tel Aviv und erst einmal nur Teil einer wandfüllenden Foto-Collage. Das neu eröffnete „Joseph" am Oranienburger Tor vermittelt dennoch lebhaftes Beach-Restaurant-Feeling bei israelischem Essen zum Teilen.
Yalla, Yalla!" Und los geht’s! Ich eile. Orientalisches Tempo und Temperament fordern mich beim Besuch des „Joseph" heraus, noch bevor ich überhaupt einen Fuß in das neu eröffnete Restaurant an der Friedrichstraße gesetzt habe. Vermeintlich verspätet, de facto aber beinah eine halbe Stunde vor Öffnung, bin ich da. Bämm. Entschleunigung! Alle Plätze sind leer, denn nach dem Lunch-Geschäft ist gerade noch geschlossen.
Doch ich bin nicht die Einzige, die sich durch die Fensterfront, die hübsche Tischreihe auf dem Bürgersteig und die geöffnete Tür eingeladen fühlt, einzutreten. Eine englischsprachige Frau darf drinnen schon einen Blick in die Karte werfen. Sie entscheidet sich, zu bleiben und ihre Begleitung zum Oranienburger Tor zu lotsen. Serviceleiter Vito Abatecola nimmt mich in Empfang. Ich wurde erwartet und platziere mich am „Schaufenster". Die Köche in der offenen Küche direkt hinterm Entree sind, ebenso wie der Service, in den letzten Vorbereitungen fürs Abendgeschäft.
Viel mehr Zeit als das „Vorgärtlein" mit Bistrotischen und blühenden Kübelpflanzen auf dem Bürgersteig direkt vor dem U-Bahn-Eingang und der Tram-Haltestelle Oranienburger Tor zu fotografieren und zu instagrammen bleibt mir nicht. Da tritt schon die stets eher überpünktliche Begleiterin ins „Joseph" ein. Stehen eine „Limonrimon" und eine „Limonana" zur Erfrischung vor uns. Hebt Vito Abatecola zur Erklärung der Kaltgetränke an, schaut Küchenchef Robert Christow mit ersten Vorschlägen von der Karte vorbei. Füllt sich das Restaurant in Windeseile. Ganz schön was los, noch bevor ich überhaupt Block und Stift ausgepackt und mich eingenordet habe.
Ich notiere: „Limonrimon" – mit Granatapfel, Verjus und Sodawasser. Die Basis der minzigen Schwester im Glas ist dagegen eine Essenz aus einem Kilo eingekochter Nana-Minze. Die Service-Lotterie hat der Begleiterin und mir die insgeheim favorisierten und nach wechselseitigem Probieren so bestätigten Sorten zugespielt. „Nicht aufdringlich die Minze, sehr dezent", bin ich angetan.
Die Freundin mag die Mischung aus abgemildertem Verjus – dem gepressten Saft unreif geernteter Trauben – und süßem Granatapfel besonders gern. „Das ist eine Idee, wie ich Verjus mixen kann und er besser verträglich wird." Verjus ist unter anderem eine als Aperitif geeignete, alkoholfreie Alternative zu Sekt, die sich jedoch bei purem Genuss säurelastig bemerkbar machen kann.
Wo Harissa draufsteht, ist auch echter Pep drin
Die mixologische Wissenslücke wurde en passant vor den ersten Happen von Kibbeh und Wildkräutersalat geschlossen. Zum Start ins zeitgenössisch israelische Dining schickt uns Robert Christow Bulgur-Kibbeh, eine Art Dumplings mit Gemüse-Innenleben, auf Mango-joghurt „und mit selbstgemachter Harissa", wie er uns verrät. „Achtung, wirklich scharf!", warnt die Begleiterin. Aber gut. Die Würzpaste aus frischen Chilis, Koriandersaat, Kreuzkümmel, Knobi, Salz und Olivenöl beißt den Bällchen ziemlich spicy in den Allerwertesten und gibt ihnen Kontur. Der Mangojoghurt gleicht dagegen geschmeidig aus.
Sehr fein nuanciert und mild präsentiert sich wiederum der Wildkräutersalat mit marinierten und in Weißwein gebratenen Pilzen – hallo Pfifferling, da bist du ja für diese Saison! Blauschimmelkäse macht auf smoothen Begleiter, und ein fruchtiges Dressing trägt seinen Teil dazu bei, dass ich mich beim Aufschreiben beeilen muss, noch die eine oder andere Gabel zu ergattern. Die Begleiterin ohne Extraaufgabe hat Vorsprung. Wir stellen schon in der ersten Runde fest: Würzen können sie im „Joseph". Mal dezent und fein ausbalanciert, mal mit Krawumms und Theaterdonner. Immer aber zum Charakter der Gerichte passend.
Alles das ist eine schöne Sache zum kulinarischen Eingrooven. Im Restaurant summt und brummt es inzwischen gewaltig. Die Musik erreicht mittlere Club-Lautstärke, angeregtes Palavern und Teilen von Tellern und Platten allenthalben. Am Nachbartisch werden Hühnerteile mit großer Geste vom Grillspieß gestreift. Die Collage mit vielen Strandfotos hinter mir scheint sich von der schwarz-weißen Wandbekleidung in eine farbige 3D-Szenerie verwandelt zu haben. Wir sitzen mitten drin, eigentlich in einem angesagten Strandrestaurant in Tel Aviv. Ist das „Joseph", das das Restaurant vom neuen Hotel Amo, aber sehr eigenständig und in seiner beiläufigen Trubeligkeit der Stadt zugewandt ist, nicht nach dem Vater von Besitzer Ariel Schiff benannt? Deutsch-israelische Geschichte und Gegenwart schwingen mit, nicht nur auf den Tellern.
Geschichte und Gegenwart vereint
Wir sind jetzt ganz in der Gegenwart beim Auberginen-Carpaccio und erörtern mit dem Küchenchef Rauchnoten und Vorlieben. „Die Auberginen sind lange, lange, lange gegrillt", verrät Robert Christow, bevor sie sich in dünnen Scheiben und in sehr mildem Olivenöl von Kreta „mit nur 0,3 Prozent Säure!" wälzen durften. Die Begleiterin ist als Raucharoma-Fan angetan. Ich dagegen bin Team „Kein Rauch" und freue mich, dass das fruchtige Topping aus Granatapfelkernen, Tomaten-Concassée, roten und Frühlingszwiebeln und Trina eine eigene Sprache spricht. Trina? Was sucht ein Mädchenname auf dem Carpaccio? „Das ist die israelische Version von Tahini", sagt Christow. Bevor das Tahini zu Trina wird, wird die Sesampaste noch mit Eiswasser und etwas Olivenöl und Zitrone verrührt und angereichert. „Alles vegan, voll im Trend." Sogar schon seit Hunderten von Jahren.
Wir lassen erneut einen Rest auf dem Teller. „Aber nur, weil wir wissen, dass noch weitere Gänge kommen!", beeilt sich die Begleiterin mitzuteilen. Selbst wenn so ein tendenziell wuchtiges Gericht wie das Auberginen-Carpaccio im „Joseph" eher leichtfüßig und frisch daherkommt, würden wir sonst nichts mehr von der Dorade mit grünem Masabacha – einem mit Petersilie und Koriander aufgepeppten Hummus, Salzzitronen, Knoblauch und gebratenen Kichererbsen – würdigen können. Das wäre zu schade. Denn die „so schön kleinen", wie es der Begleiterin entfleucht, gerösteten Kichererbsen, die ebenfalls zu Creme verarbeitet wurden, und das gebratene Filet gehen eine ziemlich schmackhafte Liaison miteinander ein.
Das „Seafood Haime", ein Meeresgetier-Eintopf mit viel, viel einreduzierter Tomate, confiertem Knoblauch, „selbst eingelegter Salzzitrone und einfachem griechischem Joghurt, der ist der beste dafür", wie Robert Christow verrät, essen wir kurzerhand ganz auf. Lachsfilet versteckt sich unterm DYI-Tomatenpüree; Garnelen und Sepiatuben wollen ebenfalls eintauchen. Das pure Wohlgefallen überkommt uns. Es fehlte nicht mehr viel, dann hätten wir noch den Saucenrest mit dem Finger aus der Schale gewischt. Die Begleiterin erfreut sich an einem Glas Jonathan White von Recanati, einem israelischen Weißwein aus Galiläa. Die Cuvée aus 85 Prozent Chardonnay und 15 Prozent Colombard bleibt mit 11,5 Prozent Alkohol angenehm leicht. Der Colombard verhilft dem blumigeren Chardonnay zu einem würzigen Upgrade. Das bekommt dem ausdrucksstark abgeschmeckten Fisch und Meeresgetier und hält ihm problemlos stand.
Die meisten Gerichte kosten zwischen 10 und 19,50 Euro
Die östlich mediterrane Küche und ihre Gerichte sind Kreationen des israelischen Spitzenkochs Yossi Elad, dessen „ordentlicher" Vorname ebenfalls Joseph ist. Er entwickelte gemeinsam mit den Gastronomen James und David Ardinast aus Frankfurt am Main, die mit dem Hoteleigner-Ehepaar Mirit und Ariel Schiff befreundet sind, das Konzept des Restaurants und ist als Berater an Bord. Robert Christow ist der kulinarische Sachwalter und Chef vor Ort. Der 38-Jährige ist in Berlin kein Unbekannter: Er arbeitete als Koch im „Bandol Sur Mer" und war zuvor Küchenchef im „3 Minutes Sur Mer" sowie im „Vabali Spa".
Das sechsköpfige Küchenteam arbeitet, ausschließlich vor den Augen der Gäste, auf überschaubarer Fläche gleich neben der Bar. „Das ginge anders gar nicht mit der Küche", sagt Christow. Der denkmalgeschützte Altbau hätte eine andere Platzierung nicht zugelassen. Also wird ab morgens nicht nur der Lunch vorbereitet, damit ab 18 Uhr alles startklar ist. Obwohl Restaurant und Hotel gerade erst einen Monat geöffnet haben, ist das „Joseph" um 20.30 Uhr an einem ganz normalen Dienstag voll. Das liegt nicht nur an Touristen. „Man bekommt in Mitte unter der Woche in den richtig guten Läden nichts ohne Reservierung", weiß die Begleiterin, die dort arbeitet.
Es gibt ein weiteres gutes Argument: Das Essen ist in dieser Liga und Lage günstig. Für zehn bis 19,50 Euro stehen die meisten Gerichte auf dem Tisch. Trotz der 60 Plätze im Gastraum und ein paar Tischen vor der Tür könnte das mit dem Reservieren im „Joseph" deshalb bald abends durchgängig nötig sein.
Für den Sommer ist allerdings erst einmal ein weiterer Außenbereich im Entstehen. Im loungig möblierten Innenhof mit dem Eingangspavillon zum Hotel wird das „Joseph" bald eine Grillstation in Betrieb nehmen. Auch die unterirdische „Amo Bar" streckt ihre Fühler dorthin aus und serviert schon an warmen Abenden dort die Kaltgetränke. Die Kombi von unkompliziertem israelischen Essen zum Teilen und Spaßhaben mit mixologisch ausgeklügelten Drinks von den „Kinly Boys" aus Frankfurt und München könnte in diesem Sommer also eine weitere, ganz eigene Outdoor-Erfolgsgeschichte schreiben.