Eintracht Frankfurt mauserte sich in den vergangenen Jahren vom Abstiegskandidaten zum Pokalsieger und Europa-League-Halbfinalisten.
Doch mit dem Erfolg kamen auch Probleme.
Fredi Bobic wurde nicht gerade mit offenen Armen empfangen, als er im Sommer 2016 die Nachfolge des langjährigen Chefs Heribert Bruchhagen übernahm. Mit viel Skepsis waren Fans, Medien und auch Mitarbeiter der Geschäftsstelle dem früheren Nationalspieler begegnet. Und dass Bobic in einer seiner ersten öffentlichen Aussagen als Sportvorstand von Eintracht Frankfurt auch noch betonte, „jeden Stein im Club umdrehen" zu wollen, vergrößerte nur das Unbehagen.
Drei Jahre später lässt sich feststellen: Die Anstellung von Bobic war ein absoluter Glücksgriff für den hessischen Bundesligisten. Unter seiner Regie mauserte sich der Club vom Abstiegskandidaten zum Pokalsieger und Europa-League-Halbfinalisten. Und nicht nur das. Mit den von Mannschaft und Fans zelebrierten Europacup-Festen mauserte sich die „Diva vom Main" sogar zum großen Sympathieträger in Deutschland und über die Grenzen hinaus.
Doch der Erfolg hat seinen Preis, das bekommt Bobic nun zu spüren. Die Doppelbelastung der vergangenen Saison verhinderte mit großer Wahrscheinlichkeit den möglichen Champions-League-Einzug, der den Handlungsspielraum auf eine ganz andere Ebene gehoben hätte. Und den Topstars werden mit Millionen-Angeboten die Köpfe verdreht. Die „Büffel-Herde", wie das kraftvolle Angriffs-Trio der Frankfurter ehrfurchtsvoll genannt wurde, ist schon gesprengt. Serbiens Jungstar Luka Jovic wechselte für die Rekordsumme von 60 Millionen Euro zum spanischen Spitzenclub Real Madrid. Der französische Stoßstürmer Sébastien Haller, der 2017 für die damalige Rekordsumme von sieben Millionen Euro an den Main kam, ist auf dem Sprung zu West Ham United. Und auch Ante Rebic liebäugelt mit einem Wechsel zu einem ambitionierteren Verein, seine Berater klopfen im Hintergrund die Bedingungen ab.
Mit Verkäufen seiner Topspieler nimmt Frankfurt zwar viel Geld ein, doch das wissen die anderen Vereine auch. So stockte der Transfer des bislang nur ausgeliehenen Innenverteidiger Martin Hinteregger an der Ablöseforderung des FC Augsburg, der ein gutes Geschäft witterte. 15 Millionen Euro forderte der FCA, obwohl der Österreicher nach der öffentlichen Kritik an Ex-Trainer Manuel Baum eigentlich keine Zukunft mehr im Verein hat. Auch der Verbleib der anderen Leihspieler Kevin Trapp und Sebastian Rode, die maßgeblichen Anteil am Aufschwung hatten, war bei Redaktionsschluss offen.
Und so ist in diesen Tagen wieder das Verhandlungs- und Improvisationsgeschick von Fredi Bobic gefragt. Genau wie bei seinem Amtsantritt vor drei Jahren muss er „jeden Stein umdrehen". Die gestiegenen Einnahmen aus Transfers und internationalen Spielen haben den lange Zeit finanziell angeschlagenen Verein zwar handlungsfähiger gemacht, doch die Grenzen bleiben eng gesteckt. Für einen Spieler eine zweistellige Ablösesumme bezahlen, „das werden wir natürlich nicht machen", betont Bobic. „Wir müssen gut haushalten und haben ja nicht nur sportlich Nachholbedarf. Es bewegt sich ja im gesamten Verein viel."
Die Fans mögen um die Verluste von Jovic und Haller trauern, Bobic sieht eher die vielen Vorteile. Neben der enormen Ablöse sieht sich der Club nun auch im harten Wettstreit um die begehrten Jungtalente in einer deutlich besseren Position. Viele aufstrebende Nachwuchsspieler glauben an die Eintracht als Sprungbrett für die Topadressen in Europa. Deshalb flattern auf Bobic’ Schreibtisch auch „pro Tag locker 30 bis 50 Anfragen für irgendwelche Spieler" ein, wie er berichtet. Die meisten davon landen sofort wieder im Papierkorb, manche hatten Bobic und sein Team schon vorher auf dem Zettel. Und bei ganz wenigen kommt es tatsächlich zum Abschluss. So wie bei Dejan Joveljic, der nicht nur wegen seines ähnlich klingenden Nachnamens in die Fußstapfen von Jovic treten soll.
„Pro Tag locker 30 bis 50 Anfragen"
In Sachen Selbstvertrauen steht der 19-Jährige seinem erfolgreichen Vorgänger schon mal in nichts nach. „Ich bin ein hart arbeitender Stürmer, der weiß, wie man Tore schießt", sagte Joveljic bei seiner Vorstellung. „Der Strafraum ist meine Zone. Ich kann aus allen Positionen schießen." Der Strafraum war auch Jovic’ bevorzugtes Revier, doch damit enden die Parallelen nicht. Beide gingen durch die harte Schule von Roter Stern Belgrad, Durchsetzungsvermögen steht hier an erster Stelle. „Der Druck war ständig da und sehr groß", berichtet Joveljic. Der auf dem ersten Blick eher schmächtige Stürmer setzte sich aber durch, vor allem sein letztes Jahr in Belgrad war beeindruckend: In 17 Spielen erzielte er acht Tore und bereitete zwei vor.
Natürlich hätte die Eintracht Joveljic vor der Verpflichtung gern noch länger unter die Lupe genommen, doch das geht in Zeiten eines völlig überhitzten Transfermarktes nicht mehr. Und so schlug Bobic zu, er überwies vier Millionen Euro an Roter Stern Belgrad und stattete das Talent mit einem Fünfjahresvertrag aus. „Dejan ist ein sehr guter Mittelstürmer, der auch über die Flügel kommen kann", sagte Bobic, der aber vor zu großen Erwartungen warnt. Vor allem vor dem Vergleich mit Jovic: „Er ist noch jung und wird lernen müssen." Zumindest das Einleben dürfte dem Neuzugang dank der serbischen Landsleute Filip Kostic und Mijat Gacinovic leicht fallen. Genau wie Joveljic betonten auch die anderen Neuzugänge Erik Durm, Djibril Sow und Dominik Kohr, dass Eintrachts spektakuläre Auftritte im Europapokal vergangene Saison ein wesentlicher Grund für ihren Wechsel in die Main-Metropole gewesen seien. „Ich habe alle Spiele der Eintracht im Fernsehen gesehen", sagte Joveljic.
Die Sympathiewerte für den Club sind deutlich gestiegen, was auch die Sponsoren freut und sie investitionsfreudiger macht. „Wenn die Menschen glücklich und stolz sind, zur Eintracht zur kommen", weiß Bobic, „möchten sie auch finanziell dabei sein, sich verbunden fühlen." Das neue Ziel des Clubs lautet daher nicht mehr Klassenerhalt, sondern ein dauerhafter Platz unter den Top Ten der Bundesliga. Die Bedingungen dafür sind gegeben: Die 200-Millionen-Euro-Umsatzmarke wurde überschritten, der Etat wird wohl auf über 60 Millionen Euro steigen. Zahlen, von denen man vor drei Jahren noch nicht zu träumen gewagt hatte. Auch die Infrastruktur hat sich unter Bobic sichtbar verbessert. Die Besprechungsräume für Trainer sind mit hochmodernem Videoequipment ausgerüstet, die medizinische Abteilung wurde auf ein neues Niveau gehoben. Die Eintracht boomt auf allen Ebenen.
Dass das Team auch auf dem Rasen wieder viel Spaß bereitet, dafür ist Trainer Adi Hütter verantwortlich. Der Österreicher hatte einen schweren Start im vergangenen Sommer, doch inzwischen ist der geduldige und kommunikationsstarke Fußballlehrer unantastbar. Damit das so bleibt, will er seine Mannschaft unberechenbarer auf- und einstellen, denn die Fokussierung auf das schnelle Umschaltspiel über die drei „Büffel" Jovic, Rebic und Haller hatte die Konkurrenz zum Ende der Saison längst entschlüsselt. „Ich möchte versuchen, dass wir im Ballbesitz besser werden", verrät Hütter. Eine besondere Bedeutung kommt dafür den Neuzugängen Sow und Kohr zu, die in der Schaltzentrale vor der Abwehr mehr Gestaltungsfreiräume erhalten. Dynamik, Tempo und Technik sind gefragt, und beides bringen Sow (vorher Bern) und Kohr (Augsburg) mit. Und die Außenspieler sollen nun noch höher stehen und „versuchen, in der gegnerischen Hälfte den Ball schnell zu erobern".
Hütter warnte jedoch vor einem holprigen Saisonstart: „Wir müssen den neuen Spielern die Spielidee erst vermitteln." Zeit und Geduld sind aber sehr kostbare Güter im Profigeschäft Fußball, zumal die Eintracht bereits am 25. Juli zum ersten Qualifikationsspiel für die Europa League antreten muss. Das erschwert die Vorbereitung, doch ein Abschenken des Europacups ist nach den grandiosen Erfahrungen der Vorsaison undenkbar. „Wir werden parat sein", kündigte Hütter an.
Trotz gestiegener Erwartungen versuchen die Hessen, den Höhenflug realistisch einzuschätzen. „Ich glaube nicht, dass draußen die Erwartung vorherrscht, dass wir wieder ins Halbfinale der Euro League stürmen", sagt Vorstandsmitglied Axel Hellmann. „Aber wer Adi Hütter und Fredi Bobic kennt, der weiß, wie groß ihre Ambitionen sind. Was man intern anstrebt und was nach draußen als fixes Ziel verkündet wird, muss ja nicht ein und dasselbe sein."
Die Eintracht will also weiter hoch hinaus – und stapelt dafür öffentlich tief. „Im Erfolg werden die größten Fehler gemacht", mahnt Bobic. Man müsse sich in der Bundesliga den Erfolg jedes Jahr aufs Neue hart erarbeiten. „Wir müssen jetzt noch zielstrebiger und noch besser arbeiten", ergänzte der Sportvorstand, „weil es schwer ist, oben zu bleiben."